Ein unverfrorener Zürcher Gastronom

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Die Bezahlung für den prestigeträchtigen Auftrag nahm einen unerwarteten Verlauf.

Die Bezahlung für den prestigeträchtigen Auftrag nahm einen unerwarteten Verlauf.

Bild: Amy Bollag

Livio Hartmann waren meine Fasnachtsmalereien im grossen Saal des Badener Hotels Linde aufgefallen. Nicht kürzlich, nein, schon vor über siebzig Jahren. Schon längst erhebt sich ein Hochhaus an dieser Stelle, kaum jemand erinnert sich an das grosse Linde-Gebäude beim verschwundenen Bahnübergang und der ebenso verschwundenen Brauerei Falken. Hartmann war zu jener Zeit der Boss des einst bekannten und heute längst vergessenen Etablissments Columna zur Treu im Zürcher Niederdorf.

Den «Columna-Chef» mussten meine Badener Karnevals-Figuren schwer beeindruckt haben. Er telefonierte und bat mich um ein Treffen, wobei er erwähnte, dass es sich um einen eventuellen Auftrag handle. Wie stolz fühlte ich mich damals, als frischer Absolvent der Zürcher Kunstgewerbeschule, dass ich das berühmte Niederdorf-Lokal verzieren sollte.

Verhandeln – ein ungenauer Ausdruck

Pünktlich fand ich mich im feudalen Restaurant ein, um mit Herrn Hartmann zu verhandeln. Verhandeln ist ein ungenauer Ausdruck, verhandeln hat mit Geld zu tun, und mir war aber die Freude an der Arbeit viel wichtiger. Er zeigte mir die zu verarbeitenden Räume. Mit kleinen Skizzen entwarf ich während der Besichtigung Ideen, wich ich die Ausmalung vorstellte. Er schien begeistert und lud mich zu einem Glas Wein ein. Am Tisch begutachtete er meine skizzierten Ideen.

Ausser einigen kleinen Änderungen liess er mir bei der Gestaltung viel Freiheit. Jetzt müssten wir nur noch über das Geld reden, meinte er. Das Material und die Wände mit hellem Packpapier zu bespannen, gehe zu meinen Lasten. Er werde mir für die fertige Arbeit neunhundert Franken bezahlen. Ohne weitere Diskussion stimmte ich seinem Vorschlag zu. Wie für die Arbeit, die ich vorher für die «Linde» vollendet hatte, besorgte ich Farben, kaufte eine Riesenrolle helles, starkes Packpapier und verschiedenes Befestigungsmaterial. Schon nach wenigen Tagen machte ich mich mit Begeisterung und Enthusiasmus an die Arbeit. Jede Fahrt Baden-Zürich war eine Lust.

Es störte mich nicht, wenn die Leute mir beim Malen zusahen, auch Kritik hemmte mich nicht. Fast wie in einem Rausch kreierte ich Figuren und Situationen. Sogar das Essen hätte ich vergessen, wenn nicht die liebenswürdige Kellnerin mir ab und zu ein belegtes Brötchen mit Kaffee gebracht hätte. Damit ich nicht vom Fleisch falle, meinte sich lächelnd.

Am späten Nachmittag des dritten Tages beendete ich mein Werk. Livio Hartmann besichtigte während meines Schaffens von Zeit zu Zeit meine Schöpfungen, komischerweise ohne jeden Kommentar. Ich hatte den Eindruck, dass er mit meiner Gestaltung zufrieden sei. Vollends glaubte ich an einen Erfolg, als er mir zum Abschluss noch ein feines Essen servierte. Nachdem wir gut gespeist hatten, freute ich mich nun auf die geldmässige Anerkennung meiner Kunst. Aber das Dessert, die Bezahlung, nahm einen unerwarteten Verlauf. Hartmann zückte seine Brieftasche, schaute mich wohlwollend und gönnerhaft an, meinte mit der grössten Unverfrorenheit, für drei Tage Arbeit könne er mir keine neunhundert Franken zahlen. Ich hätte die Arbeit mit Leichtigkeit ohne einen Strich vorzuzeichnen vollbracht. Sprachs und drückte mir drei Hunderternoten in die Hand. Ich war perplex und ratlos. So ratlos, dass ich mich, noch etwas verwirrt, bedankte.

Amy Bollag ist 1924 in Baden geboren. Im Badener Tagblatt schreibt er regelmässig über seine Erinnerungen an die Stadt.