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Pianist Oliver Schnyder spielte an seinem Festival in der Villa Boveri Herzensstücke
Eingeladen von der Konzertveranstalterin Marina Korendfeld, geniesst Oliver Schnyder in der Villa Boveri seit Jahren Gastrecht im Januar. Drei Tage gehören dem Pianisten – und diese nutzte er am vergangenen Wochenende für Herzensanliegen: Franz Schuberts drei letzte Sonaten zählen dazu; ebenso Werke von Mozart, Mendelssohn Bartholdy, Beethoven und Daniel Behle.
Wer sich eine solch lange Wegstrecke vorstellt, muss kurz verschnaufen. Von bewältigen will man sprechen, doch das greift zu kurz. Oliver Schnyder begeht den Weg mit einer Gelassenheit, die das Publikum nie zu jener andächtigen Haltung verdammt, die lähmt. Schnyder kann man auf Schritt und Tritt folgen und dabei feststellen: So und nicht anders muss es klingen. Etwa bei Beethovens Sonate in Es-Dur op. 31/3, die Schuberts letzter Sonate in B-Dur vorangestellt ist. Natürlich spielt Schnyder mit dem motorischen Impetus der Komposition, die im Drive des unwiderstehlichen Presto con fuoco des letzten Satzes gipfelt, aber: Er spielt Beethoven auch im Hinblick auf Schubert – mit einer Nachdenklichkeit, die viele Fragen birgt. Solche kann Schnyder bei Schubert ausgiebig stellen. Immer wieder unterbrechen Pausen, zumal vor den tiefen Trillern, den Fluss der Musik. Die Stille wird beim Pianisten jedoch nicht zur Zäsur, sondern zum Innehalten, um das soeben Gehörte Revue passieren zu lassen. Setzt die Musik dann erneut ein, erweist sich Oliver Schnyder mit seiner differenzierten und farblich reichen Anschlagskunst als wunderbarer Seismograf jener Seelenbeben, die Schubert auslöst.
Nur wenige Stunden danach, bei der Matinee am Sonntag, setzten Oliver Schnyder, Andreas Janke (Violine), Benjamin Nyffenegger (Violoncello) und Daniel Behle (Tenor) mit «Hamburg – Waterkant-Songs» auf ein atemberaubendes Kontrastprogramm. Jüngst hatte das Quartett in Wettingen Schuberts «Winterreise» (in Behles Bearbeitung) interpretiert – nun überraschte es in Baden mit einer Hommage an die norddeutsche Hafenstadt. Behles Idee: Zu bekannten Liedern neue Texte schreiben – alle mit Hamburg-Bezug. Aber Behle steuerte auch Eigenkompositionen bei: eine witzige Hymne auf den FC St. Pauli, Liebeshymnen an «meinen Steinway» oder eine kleine Möwe, die nach Helgoland fliegt.
Die Songs sind Petitessen, doch Kleinigkeiten sind sie keineswegs. Nicht, wenn sie mit derart umwerfendem Können serviert werden wie bei der Uraufführung. Behle spielt selbstironisch den Bilderbuch-Tenor samt extra forciert-hohem C sowie mit einer sprachlichen Eigenheit. Hamburger trennen «s-t» und «s-p». Demnach «s-tolpern» sie zwar über «s-pitze S-teine», aber nicht beim «Auf Wiedersehen», das im Norden ganz anders heisst: «In Hamburg sagt man Tschüss». Dies nach Schuberts B-Dur Sonate? Undenkbar. Tschüss nach den «Waterkant-Songs»? Gerne.