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Seit November betreibt Flemming Jensen die Filiale an der McDonald’s-Badstrasse. Bald folgt der Umzug an den Schlossbergplatz.
«Jensen is down, Jensen is down.» So kommentiert ein Englisch sprechender TV-Kommentator die Szene an der Leichtathletik-WM 1987 in Rom, als der dänische Steeple-Läufer Flemming Jensen gleich zu Beginn des Rennens beim Wassergraben stürzt und in der Folge das Rennen verletzt aufgeben musste.
Was hat ein dänischer Spitzensportler aus den 1980er-Jahren mit Baden zu tun? Sehr viel: Denn seit November letzten Jahres führt der 60-jährige Däne die McDonald’s-Filiale an Badstrasse. Dass sich Jensen auch heute noch bester Gesundheit und Vitalität erfreut, macht gleich der erste Eindruck klar. Drahtig und mit klarem Blick empfängt er den Journalisten zum Gespräch.
Jensen hat letzten Herbst den Betrieb von Enzo Di Vito übernommen, der das Restaurant zuvor während 23 Jahren und somit fast seit seiner Eröffnung im Jahr 1991 geführt hatte. Viele der 30 Angestellten hatten nach Jahren plötzlich einen neuen Chef. «Wenn Du als Vorgesetzter an einem neuen Ort beginnst, ist es ganz normal, dass dich deine Mitarbeiter mit einer Mischung aus Neugier und Zurückhaltung empfangen», sagt Jensen. Doch nicht zuletzt dank seiner direkten Art sei es ihm gelungen, das Vertrauen der Mitarbeitenden zu gewinnen.
Jensen dürfte der Arbeitseinstieg in Baden auch deshalb leicht gefallen sein, weil er auf eine reiche Karriere zurückblickt. Aufgewachsen in Kopenhagen, besuchte er dort «ganz normal die Schule, um danach studieren zu gehen», so Jensen. Doch das Studium verzögerte sich – aus zwei Gründen. «Erstens habe ich nach der obligatorischen Schulzeit in den Sommerferien in einem Lebensmittelladen der Kette «Irma» gearbeitet.» Das habe ihm nicht nur sehr gut gefallen, sondern auch sein damaliger Chef erkannte Jensens Talent und überredete ihn zu einer internen Ausbildung. «Das war meine Welt: Verkauf, Marketing und Personalführung.» Kaum war die Ausbildung abgeschlossen, Jensen war damals 21 Jahre alt, überzeugte ihn ein Trainer, auf die Karte Spitzensport zu setzen. «Nach einer Blinddarm-Operation habe ich von einem Tag auf den anderen gekündigt und mich voll und ganz dem Sport verschrieben.» Mit Erfolg: Schon bald gehörte Jensen über die Mittel- und Langdistanz zur nationalen Elite. 1983 nahm er in Helsinki an der ersten Leichtathletik-WM überhaupt teil. «Das war schon sehr cool, zum Beispiel zusammen mit Carl Lewis zu frühstücken», erinnert sich Jensen. 1985 stellte er über die 3000 Meter Steeple einen Landesrekord in 8 Minuten, 23 Sekunden auf, der bis heute Bestand hat. 1992 absolvierte er in Wien sein letztes Rennen. «In meinem ersten Marathon wurde ich mit einer Zeit von 2:14 Dritter. Danach habe ich meine Sportschuhe an den Nagel gehängt.»
Der Übergang ins Berufsleben gestaltete sich insofern reibungslos, als er schon zu Zeiten als Spitzensportler ein Studium in Computer Science und später Psychologie aufgenommen hatte. «Eines Tages hat die Firma Nike bei mir angerufen – ich hatte als Sportler schon seit Jahren einen Sponsorenvertrag mit dem Sportausrüster – und mich angefragt, ob ich für sie arbeiten wolle.» Er habe zugesagt und 1993 den Job angenommen. 1998 folgte der Umzug nach Amsterdam. Dort arbeitete er rund fünf Jahre als Europäischer Operation Director und lernte bei Nike auch seine spätere Frau kennen.
2006 dann der nächste wegweisende Telefonanruf. Ein Headhunter bot ihm eine Stelle als globaler Verkaufsleiter beim Zurzibieter Wäschehersteller Triumph in Bad Zurzach an. «Ich habe relativ schnell zugesagt. Ich spürte, es ist Zeit für etwas Neues.» Also zog er mit seiner Familie – mittlerweile waren drei Kinder dazugekommen – in die Schweiz. Erst bezogen sie eine Wohnung in Zürich, später kaufte sich Familie Jensen eine Bleibe im aargauischen Birmenstorf. Nach weiteren acht Jahren meldete sich wieder ein Headhunter und bot Jensen einen Job beim Modelabel Superdry in England an. Jensen nahm auch diese Herausforderung an und pendelte in der Folge jedes Wochenende zwischen Schweiz und England. «Doch nach knapp zwei Jahren merkte ich, dass dieser Lebensstil für mich und vor allem für meine Familie nicht gut ist.» Per Zufall sei er 2015 auf ein McDonald’s-Inserat gestossen. «Ich wusste sofort: Das ist es.» Also durchlief Jensen die interne Ausbildung und führte 2017 seine erste Filiale in Basel.
Seit 28 Jahren ist McDonald’s in Baden präsent. Das Restaurant eröffnet am 2. Januar 1991; es war der erste McDonald’s-Standort im Kanton Aargau. Vorher befand sich im Gebäude an der Badstrasse während vieler Jahre die Wirtschaft Gambrinus. Was folgt jetzt auf den McDonald’s? «Zwischennutzung: Gewerbeflächen zu vermieten», steht in grossen Lettern auf einem Plakat. Heisst das, es steht noch kein neuer Mieter ab diesem Sommer fest? «Zurzeit läuft der Vermarktungsprozess für die Liegenschaft. Wir führen Gespräche mit Interessenten und prüfen verschiedene Optionen, darunter auch eine mögliche Zwischennutzung des Gebäudes», heisst es auf Anfrage bei der Eigentümerin, der Swiss Life AG. (mru)
Erst Senior Partner bei Nike und jetzt Chef der McDonald’s-Filiale in Baden – das sieht nicht gerade wie eine steile berufliche Karriere aus? «Ich habe noch nie etwas nur für die Karriere gemacht. Ich wollte beruflich einfach immer beschäftigt und zufrieden sein.» Und das sei er hier im McDonald’s Baden absolut. «Es schliesst sich quasi ein Kreis. Es gibt sehr viele Parallelen zu meinem ersten Sommerferien-Job im Lebensmittelladen.»
Dass Jensen hier Baden überhaupt zugesagt hat, liegt vor allem an der Tatsache, dass schon bald der Umzug in das neue Gebäude am Schlossbergplatz erfolgt. «Alles wird neu. Vom Gebäude über das Mobiliar bis hin zum Bestellsystem», schwärmt Jensen. Eigentlich hätte der Umzug schon diesen Frühling erfolgen sollen (die AZ berichtete). Doch weil sich die Fertigstellung des neuen Gebäudes verzögert, müssen sich Jensen und sein Team noch ein paar Wochen gedulden.
Doch was, wenn in ein paar Jahren wieder ein Headhunter anruft und ihm einen neuen, interessanten Job offeriert? «Ich habe hier einen langfristigen Vertrag unterschrieben. Eines ist für mich klar: Ich gehe hier in Rente. Und das wird nicht schon mit 65 Jahren sein. Ich fühle mich noch jung und kann mir ein Leben ohne Arbeit eigentlich gar nicht vorstellen.» Entgegen dem Kommentator von 1987 gilt es also festzuhalten: Jensen ist noch lange nicht down.