Prozess
Er legte Brände, um sie selber zu löschen: Stationäre Massnahme für Brandstifter von Neuenhof

Innert weniger Monate hatte ein heute 22-jähriger Mann aus Neuenhof 2018 sieben Mal Feuer gelegt. Dies, um selber bei der Löschung dabei sein zu können. Am Dienstag wurde er verurteilt.

Stefania Telesca
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Beim Brand in einem Mehrfamilienhaus musste die Feuerwehr dieses evakuieren. Zwei Bewohner wurden zur Untersuchung ins Spital gebracht.

Beim Brand in einem Mehrfamilienhaus musste die Feuerwehr dieses evakuieren. Zwei Bewohner wurden zur Untersuchung ins Spital gebracht.

KAPO AG

Es sei ihm nie darum gegangen, ein Feuer zu legen, das möglichst grossen Schaden anrichten oder gar Menschen gefährden sollte. «Es ging mir wirklich nur darum, einen Feuerwehreinsatz auszulösen, weil ich das Gefühl der Zugehörigkeit spüren wollte», sagte Kurt L. (Name von der Redaktion geändert) vor den Bezirksrichtern in Baden.

Der Beschuldigte – heute 22 Jahre alt - war erst wenige Monate vor der Brandserie der Feuerwehr Neuenhof beigetreten. In der Zeitspanne zwischen Juli und Oktober 2018 hatte Kurt L. in Neuenhof insgesamt sieben Mal Feuer gelegt: Einmal hatte er Äste in einem Waldstück angezündet, einmal Holzlatten in einem Kellerabteil eines Wohnhauses, einmal einen Müllcontainer und einmal die Pneus eines Autos in einer Tiefgarage.

Brandstifter entschuldigt sich bei Betroffenen

Den gefährlichsten Brand, da waren sich die Staatsanwaltschaft und der Verteidiger des Brandstifters einig, legte Kurt L. am 12. Oktober 2018 in einem Mehrfamilienhaus an der Hofmattstrasse in Neuenhof: Im Kellerabteil zündete er kurz vor 23 Uhr mit einem Feuerzeug einen Stapel Papier an.

Der Rauch breitete sich danach schnell bis ins Treppenhaus aus, die Bewohner waren eingeschlossen und mussten auf die Balkone und an die Fenster fliehen, von wo sie die Feuerwehr rettete. Einige mussten mit Verdacht auf Rauchvergiftung zur Kontrolle ins Spital.

«Es tut mit unglaublich leid, dass die Menschen eingeschlossen waren und Todesangst hatten», sagte Kurt L. vor Gericht. Er habe nur gewollt, dass er aufgeboten wird, damit er sich an der Löschung beteiligen konnte. Nur einen Tag nach diesem Brand wurde er verhaftet.

Dass er bei jedem selber gelegten Feuer zur Löschung erschien, obwohl er nicht bei allen sieben Fällen aufgeboten war, wurde ihm schliesslich zum Verhängnis. Wenige Wochen nach seiner Verhaftung gestand er alles.

Laut Gutachten ist er vermindert schuldfähig

Eine vorgeladene Gutachterin attestierte Kurt L. eine erhebliche kombinierte Persönlichkeitsstörung. Diese zeige sich in einer emotionalen Instabilität und einer Unreife. Nachdem er von seiner Freundin verlassen worden war, habe er die junge Frau nicht loslassen können und deshalb ein Verhaltensmuster zur Emotionsregulation entwickelt: Durch die Brandstiftungen konnte er sich vom Gefühl, ein Versager zu sein und vom chronischen Gefühl einer Leere, befreien, so die Gutachterin.

Während er der Gutachterin zuhörte, hielt Kurt L. den Kopf gesenkt und presste die Lippen aufeinander. Der Brandstifter wirkt jünger als er ist. Es falle ihm nicht leicht, dies alles wieder zu hören, sagte der Deutsche bei der Befragung und zeigte sich einsichtig. Er schäme sich für seine Taten, sagte er immer wieder. Kurt L. sprach klar und wirkte sehr bedacht bei der Formulierung seiner Antworten.

Es sei ihm damals nicht gut gegangen, erzählte er: «Ich bin nie mit dem Vorsatz rausgegangen, Feuer zu legen», sagte er . «Ich fühlte mich hilflos und leer und wollte dieses Gefühl loswerden». Bei abendlichen Spaziergängen habe er dann jeweils spontan Feuer gelegt und habe sich danach meist direkt zur Feuerwache begeben. Die einzelnen Brandobjekte habe er nicht gezielt ausgewählt.

Er bastelte Papierpuppen und verschandelte sie

Kurt L. war nebst der mehrfachen, teilweise versuchten, teilweise qualifizierten Brandstiftung auch wegen mehrfacher Schreckung der Bevölkerung angeklagt. Er hatte zwischen 2015 und 2018 neun lebensgrosse Frauenpuppen aus Papier gebastelt, diese mit Schnitt- und Stichwunden versehen, mit Frauenunterwäsche bekleidet und mitsamt sadistischen Briefen in der Öffentlichkeit platziert. Er hätte gerne die Unterstützung, um diese Taten aufarbeiten zu können, sagte Kurt L. vor Gericht und zeigte sich sehr gewillt, sich therapieren zu lassen.

Die Bezirksrichter in Baden verurteilten Kurt L. am Dienstag schliesslich zu einer Freiheitsstrafe von 6,5 Jahren, aufgeschoben zugunsten einer stationären therapeutischen Massnahme für junge Erwachsene. Durch eine solche Therapie könne eine Rückfallquote minimiert werden, hatte die Gutachterin zu Beginn des Prozesses gesagt.

Der Staatsanwalt hatte eine Freiheitsstrafe von 12 Jahren und einen Landesverweis gefordert. Die verminderte Schuldfähigkeit wirkte bei Kurt L. leicht strafmildernd. Die Richter verhängten zudem einen Landesverweis von 10 Jahren.