Stadtratswahlen Baden
Erich Obrist: Atypischer Sozi, dem der Stallgeruch fehlte

Die Stadtratskandidaten im Porträt – heute Erich Obrist: Schon vor seinem Parteiaustritt hat er politische Freunde wie auch Gegner. Ein Schlüsselerlebnisfür ihn war die EWR-Debatte.

Martin Rupf
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Erich Obrist ist in diesen Tagen mit dem gelben Postwagen auf Wahlkampftour anzutreffen.
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Erich Obrist
3. September: Erich Obrist gibt seine Kandidatur als Parteiloser für den frei werdenden Sitz im Badener Stadtrat bekannt.
Erich Obrist beim Talk des «Badener Tagblatt» in der ehemaligen Druckerei.
Erich Obrist und seine Gegner Links Jürg Caflisch (SP), der gegen Erich Obrist die parteiinterne Ausmarchung gewann, ehe Obrist austrat. Rechts Mario Delviccio (FDP).

Erich Obrist ist in diesen Tagen mit dem gelben Postwagen auf Wahlkampftour anzutreffen.

Mario Heller

Erich Obrist musste sich in den letzten Tagen und Wochen einiges anhören. Aus den eigenen Reihen hiess es, er sei ein schlechter Verlierer, weil er sich über das interne Nominationsverfahren hinweggesetzt habe; ja gar von Fahnenflucht war die Rede. Dies, weil Obrist aus der SP ausgetreten ist und nun als Parteiloser Stadtrat werden möchte, nachdem er zuvor im internen Nominationsverfahren nur ganz knapp mit 19 zu 22 Stimmen seinem Kontrahenten Jürg Caflisch unterlegen war.

Von bürgerlicher Seite wird ihm vorgehalten, dass er sich jetzt zwar ins Parteilosen-Mäntelchen hülle, im Grunde genommen aber genau so ein Linker wie der SP-Kandidat Jürg Caflisch sei. Daran ändere auch nichts, dass er als sein politisches Vorbild FDP-Ständerätin und Coucousine Christine Egerszegi Obrist nennt. Mit dieser Aussage habe er sich aber nicht etwa bei den bürgerlichen Parteien anbiedern wollen, betont Obrist. «Mich hat sie immer beeindruckt, weil sie nicht auf der Parteilinie verharrt ist, sondern sich entwickelt und offen für Anliegen war, für die sich sonst andere Parteien starkmachen.»

EWR-Debatte als Schlüsselerlebnis

Doch wer ist dieser Erich Obrist (55) wirklich? Er wuchs als Sohn des Posthalter-Ehepaars im Badener Ortsteil Dättwil auf. Als Kantischüler begann er, sich für Politik zu interessieren. «Als 12-Jähriger las ich ‹die Weltwoche› und später den ‹Spiegel›. Auch mein damaliger Geschichtslehrer Kurt Gasser an der Kanti Wettingen hat mich und meine Mitschüler stark politisiert. Richtig den Ärmel reingezogen habe es ihm Anfang der 90er-Jahre im Zusammenhang mit der EWR-Abstimmung.

«Es störte mich, dass man der SVP faktisch die Deutungshoheit zu diesem Thema überliess, und ich habe es deshalb auch sehr begrüsst, dass der damalige SP-Präsident Peter Bodenmann der SVP mit einer eigenen starken Position Paroli geboten hat.» Und so kam es, dass Obrist – obwohl er zu Hause eher bürgerlich politisiert wurde – 1997 der SP Baden beitrat, um ihr knapp 20 Jahre später wieder den Rücken zu kehren.

Warum ist er im parteiinternen Nominationsverfahren gescheitert? Hat er zu wenig für seine Nomination geweibelt? «Das glaube ich nicht. Am Schluss war es einfach ein sehr knapper Entscheid», sagt er – und fügt sogleich selbstkritisch an: «Vielleicht hat mir auch ein wenig der SP-Stallgeruch gefehlt. Und wenn ich ehrlich bin, habe ich das Vertrauen der Fraktion in der Vergangenheit auch verspielt.» Tatsächlich: In den letzten knapp zehn Jahren als SP-Einwohnerrat ist Obrist immer mal wieder von der offiziellen Partelinie abgewichen.

So sprach er sich etwa für die Dreifachturnhalle beim Schulhaus Burghalde aus. Und bei der Debatte im Einwohnerrat zum Familienzentrum Karussell fiel er der Partei quasi in den Rücken: «Wir haben in der Fraktion abgemacht, dass wir keinen Antrag zum Lohn stellen, damit das Projekt nicht noch zusätzlich unter Beschuss kommt.

Im Hintergrund gab es aber einen Draht zur FDP, mit dem Signal: Ich unterstütze deinen Antrag. Die Debatte lief dann so gut, dass ich den Antrag gestellt habe, ohne die Fraktion zu informieren. Ich habe aus dem Moment heraus entschieden.» Und mit seinem Postulat letztes Jahr «In Baden einkaufen trotz Baustelle Schulhausplatz» setzte er sich für ein Anliegen ein, dass man eher aus der bürgerlichen Ecke vermuten würde.

Erich Obrist: «Im Kulturbereich ist es manchmal so, dass etwas sterben muss, damit etwas Neues entstehen kann.»

Erich Obrist: «Im Kulturbereich ist es manchmal so, dass etwas sterben muss, damit etwas Neues entstehen kann.»

Mario Heller

Doch auch wenn Obrist nun als Parteiloser in den Wahlkampf zieht, «werde ich selbstverständlich meine Grundwerte wie Toleranz, Solidarität oder Chancengleichheit in meine Politik einfliessen lassen», wie er jüngst in einem Interview mit dem «Badener Tagblatt« offenbarte. Tatsächlich: Nimmt man die beiden Profile der Wahlplattform Smartvote unter die Lupe, fällt auf, dass sich Obrist und SP-Kandidat Caflisch politisch sehr ähnlich sind.

So setzen sich beide gleichermassen für einen ausgebauten Sozialstaat, eine liberale Gesellschaft und eine wenig restriktive Finanzpolitik ein. Der Badener SVP-Präsident Serge Demuth sagt denn auch klipp und klar: «Erich Obrist habe ich immer als SP-Mitglied wahrgenommen und tue das auch heute noch. In all den Jahren, in denen in Baden die Ausgaben gewachsen sind, habe ich von ihm nie ein mahnendes Wort gehört.»

Menschlich habe er gar nichts gegen Obrist einzuwenden; er habe ihn als seriösen Politiker wahrgenommen. «Und doch bleibt jetzt ein fahler Nachgeschmack. Denn bis vor wenigen Wochen hat sich Obrist als legitimen Vertreter der SP gesehen, um sich jetzt das Etikett des Parteilosen zu geben. Irgendwann war er nicht ehrlich. Entweder damals oder jetzt», folgert Demuth.

Conrad: «Ein geeigneter Ammann»

Das alles ändert aber nichts daran, dass Obrist bis weit ins bürgerliche Lage Sympathien und Unterstützung geniesst. Am Schluss war es gar der Leserbrief von Alt-CVP-Stadtrat Peter Conrad, der ihn zur Kandidatur bewog. «Hätten die Freisinnigen eine in jeder Beziehung überzeugende Kandidatur präsentiert, hätte ich vielleicht geschwiegen», gab Conrad damals zu Protokoll.

Und mit Blick auf die Gesamterneuerungswahlen 2017 fügte Conrad gar an: «Mit Obrist steigen die Chancen, dass wir ab 2018 einen neuen und geeigneten Stadtammann haben.» Ebenfalls auf die Seite von Obrist haben sich die beiden ehemaligen FDP-Einwohnerräte Lieni Fueter und Oskar Matter geschlagen. Letzterer bläst ins gleiche Horn: «Erich Obrist überzeugt mich als integre, fachlich kompetente Person. Er hat mit seinem bisherigen Engagement für Baden gezeigt, dass er diese Stadt schätzt und offen für Neues ist.»

Diese Unterstützung aus «Feindesland» überrascht auf den ersten Blick. Doch vielleicht sind es nicht zuletzt die sechs Jahre als Mitglied der Finanzkommission – zwei davon als Präsident –, die dazu geführt haben, dass Obrist eben kein typischer Sozi ist. «Meine Erfahrung als Einwohnerrat und auch als Fiko-Präsident haben sicher dazu geführt, dass ich sachlicher geworden bin.» Und er sei sich sehrwohl bewusst, dass jeder Franken, der ausgegeben wird, zuerst auch verdient werden muss.

«Das darf aber nicht so weit führen, dass man wie etwa die SVP sagt, man finde dies oder das zwar gut, doch man können es sich aufgrund der finanziellen Situation nicht leisten. Vielmehr braucht es eine inhaltliche Diskussion», fordert Obrist. Dazu gehöre selbstredend auch eine Verzichtsdebatte. «Gerade im Kulturbereich ist es sogar manchmal so, dass etwas sterben muss und so Mittel frei werden, damit etwas Neues entstehen kann.»

Dass Obrist gerade die Kultur anspricht, ist kein Zufall. Er ist nicht nur Lehrbeauftragter für Bildnerisches Gestalten und Kunstgeschichte an der Alten Kantonsschule Aarau. Daneben bekleidet er seit 2013 auch das Amt des Präsidenten der Aargauischen Kulturstiftung Pro Argovia; seit 2015 ist er Präsident des Vereins «Freunde des Museums Langmatt». Drängt sich die Frage auf, ob Obrist nicht zu kulturlastig ist.

«Das denke ich nicht. Ich habe oft genug bewiesen, dass ich mich nicht nur in Kulturbereichen wohlfühle.» So habe er sich mit Vorstössen und Anfragen etwa zum Galgenbuck in Dättwil oder oder zu einer S-Bahn-Haltestelle im Kappelerhof immer wieder für Themen der Stadtentwicklung starkgemacht.

Zudem ist ihm eine starke Region ein grosses Anliegen. So präsidiert er den Verein «Traktandum 1», der sich für die Bildung einer grossen Regionalstadt einsetzt. «Das Beispiel von Dättwil zeigt ja, dass die Identität trotz Eingemeindung oder besser gesagt Anschluss nicht verloren gehen muss.» Im Fall von Dättwil, Rütihof und Münzlishausen würden die Dorfvereine und die Chronikgruppen einen wesentlichen Anteil dazu beisteuern.

Vorgesetzter ist nicht überrascht

Identität: Man kann sagen, dass es genau diese Identität ist, die Obrist dazu bewogen hat, als Stadtratskandidat anzutreten. «Klar, es kann nicht jahrein, jahraus Badenfahrt-Stimmung herrschen in unserer Stadt. Und doch möchte ich dazu beitragen, dass Badenerinnen und Badener wieder stolz sind auf ihre Stadt und dass Baden wieder diesen ganz besonderen Esprit und dieses gute Lebensgefühl ausstrahlt.»

Und genau aus diesem Grund habe er schliesslich entschieden, als Stadtrat zu kandidieren und aus der Partei auszutreten. «Doch hätte ich den Willen meines überparteilichen Wahlkomitees nicht gespürt, welches mir grosse Wahlchancen zurechnet und mich extrem engagiert und professionell unterstützt, wäre ich nicht gestartet.» Er habe diesen Schritt auch gut mit seiner Frau besprochen. Seit 21 Jahren ist er mit Gabriele Stemmer Obrist verheiratet, Kinder haben sie keine.

Erich Obrist: «Das Beispiel von Dättwil zeigt ja, dass die Identität trotz Eingemeindung oder besser gesagt Anschluss nicht verloren gehen muss.»

Erich Obrist: «Das Beispiel von Dättwil zeigt ja, dass die Identität trotz Eingemeindung oder besser gesagt Anschluss nicht verloren gehen muss.»

Mario Heller

Ob es keinen Moment gab, wo er den Entscheid, als Parteiloser anzutreten, bereut habe? «Nein, ich spüre, dass ich von einem grossen Teil der Bevölkerung getragen werde. Jetzt oder nie möchte ich diese Chance packen. Einen Masterplan, Stadtrat zu werden, hatte ich nie, sonst hätte ich das schon viel früher versucht», sagt er lachend.

Dass er ein Alphatier ist, hat sich laut seiner eigenen Aussage ja bereits früher gezeigt. Immerhin brachte er es im Militär zum Oberleutnant – für einen eher armeekritischen SPler doch ungewöhnlich. Dieser Meinung ist auch FDP-Einwohnerrat Mark Füllemann, der damals Kommandant des Zugführers Erich Obrist war. «Er hat im Militär gute Leistungen erbracht und seine Männer mit anständigem Ton geführt. Als ich Jahre später hörte, dass er sich der SP angeschlossen hatte, war ich doch sehr überrascht.

Streng genommen hatte ich auch schon länger den Eindruck, Obrist war in der SP Baden – die immer mehr nach links gerutscht ist – nicht mehr in der richtigen Partei.» Und doch spricht sich Füllemann ganz klar für «seinen» Stadtratskandidaten Mario Delvecchio aus. «Unter dem Strich wäre Obrist halt doch deutlich staatsgläubiger als Delvecchio.»

Gar nicht überrascht von der Kandidatur Obrists zeigt sich sein Vorgesetzter, Martin Burkard, Rektor an der Alten Kantonsschule Aarau: «Ganz ehrlich: Ich habe schon länger damit gerechnet, dass er eine weitere Herausforderung sucht. Es ist halt immer so, dass die besten Leute andere Möglichkeiten haben.»

Obrist bringe alles mit für einen Stadtrat, ist Burkard überzeugt. «Er war immer bereit, Verantwortung zu übernehmen, ist sehr vielseitig einsetzbar, ist sehr umgänglich, ohne dabei aber ein Opportunist zu sein.» Sicher ist eins. Mit seinem Entscheid, aus der Partei auszutreten und als Parteiloser zu kandidieren, setzt Obrist alles auf eine Karte. Sollte es mit der Wahl nicht klappen, wars das wohl mit seiner politischen Karriere in Baden. Obrist: «Das ist so. Aber Politik macht mir einfach zu viel Spass, als dass ich mir diese Chance hätte entgehen lassen wollen.»