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Ein halbes Jahrhundert Politik und Kabarett – unterscheiden wollte er das eigentlich nie: Peter Kamm ist Ehrenmitglied des Teams Baden.
«Alles über einen Kamm scheren» – vielleicht ist dieses Sprichwort einfach zu alt (und erst noch altgermanisch), um nicht irgendwann das Gegenteil zu versuchen. Nämlich alle Schur auch mal anders zu kämmen – politisch. Mit Familiennamen macht man keine Wortwitzchen. So ist es Usus ... würde Peter Kamm es selber nicht auch tun. Zum Beispiel in diesem Wahlslogan: «Die Zeiten sind lausig, es braucht einen Kamm.»
Nun ist Peter Kamm (75) von seiner Partei – dem Team Baden – verabschiedet worden. Nach 53 Jahren politischer Tätigkeit auf kantonaler, vor allem aber kommunaler Ebene. Stets mit der Maxime: «Global denken, lokal handeln». Stets mit der Lust, «wider den Stachel zu löcken». Noch ein Sprichwort, aus dem Mittelhochdeutschen. Gemeint waren damals Ackertiere, die sich wehrten, die Pflugschar zu schleppen. Bewegte Zeiten haben dann aufgerufen, die alte Ochsentour abzulegen und sich zu weigern, in der gleichen Furche weiter zu trotten.
Einige dieser animaux politiques nannten sich in jenen Jahren «Nonkonformisten» oder «Rebellen». Wie viel davon ist noch übrig bei einem alten Herrn, der Tee trinkt in der frühherbstlichen Sonne, auf der Terrasse eines Hauses, wo er mit seiner Familie seit vierzig Jahre wohnt?
Wir werden den Teufel tun und diese Frage selber beantworten. Wir stellen sie einem lebenslangen «Aktivisten» – indirekt, also harmlos verpackt. Peter Kamm spürt den Haken sofort – vielleicht weil er die Methode kennt? Wir fragen: «Wird man nach einem halben Jahrhundert aufmüpfigen Handelns nicht melancholisch, wenn ein gern alternativ sich aufführender Kreis einen zum ‘Ehrenmitglied’ ernennt? Kaum anders als ein Jass- und Folklore-Verein den Dienstveteranen ...
Peter Kamm lächelt – kurz; krachendes Gelächter ist nicht sein Stil. Provokationen scheinen ihm Spass zu machen, auch dort, wo es nicht seine sind. Eine seltene exquisite Eigenschaft eines politischen Kopfs. «Es ist wohl schwierig», sagt er, «etwas zu schenken, das nicht dick macht und auch nicht abgestaubt werden muss.» Das Team Baden änderte extra seine Statuten für den Ehrentitel, an der letzten Generalversammlung, corona-gemäss per Zoom.
Nun – so hat es aufgehört. Aber wie fing es an bei Peter Kamm? Im Aufbegehren gegen die Eltern, den «Muff der Talare»? Was genau weckte den Widerspruch damals, als sich die Jugend in breitem Mass «bewegte»? Und rasch zerfiel in Segmente, in Realos, neo-konservative, esoterische, ultra-radikale, auch bewaffnete Flügel. Wie gewann er seinen Standpunkt – mehr noch: Wie blieb der Mathematikprofessor und Oberleutnant auf ureigenem Kurs in all den Wirren?
Kamms Elternhaus war liberal. Der Vater, Lehrer und Philosoph, wählte «gelassen FDP», sagt Kamm. Das Wesen der Mutter würdigte er einmal mit einem Votum im Einwohnerrat, als es darum ging, den Samstag schulfrei zu machen: «Für mich basiert das Schulsystem nicht auf dem Kanton Uri, sondern auf der allgültigen, allwissenden und allgegenwärtigen Mutter.» Ein Onkel war rhetorisch brillant. Überhaupt herrschte am Familientisch, «nach jeweils fünf Minuten» schon, der heftigste Streit. Nicht der übliche ewige Krach, sondern heisser Disput.
Offenbar nicht mit Langzeitlähmungen, unversöhnlichen Gräben ... höchstens phasenweise war mal etwas kritisch. Das obligatorische Schiessen zu verweigern als Offizier (die Busse betrug 700 Franken), war kein Familiendrama, es auf politischem Weg ganz abzuschaffen (was bis heute misslang), ebenso wenig wie der Umstand, dass Kamm einmal im Vierfrucht-Kämpfer zur Grossratssitzung eilte; das wurde ihm als Showeinlage ausgelegt. Nicht alles amüsiert Peter Kamm bis heute gleich; er formuliert auch ein gewisses Bauchweh hinsichtlich einer Aktion. Die Jugend etwa hat nicht unbedingt einen Sinn für tiefere Schichten der Gläubigkeit, ganz anders das Alter. Öffentlich den Kirchenaustritt propagieren würde Kamm wohl nicht mehr.
Ans erste Kabarettprogramm des Sohnes und seiner Mitstreiter in der Aarauer Innerstadtbühne gingen die Eltern selbstredend (in Aarau hielt der heute in der Wolle gewaschene Bademer auch mal die Maienzugrede). Die Familie Kamm stammt aus Glarus, ein fortschrittlicher Kanton, was die «Restschweiz» bis heute nicht richtig würdigt. Auf den Mund gefallen sind Glarner ohnehin nicht.
Je länger das Gespräch dauert mit Peter Kamm, desto deutlicher wird ein bemerkenswertes Kontinuum an sich gegenläufiger Kräfte. Ein Wechselspiel bei ihm, wie beim Team Baden, das Kamm als team 67 mitbegründet hatte: Man bleibt seiner Spur treu, indem man Änderungen, Neues rasch aufnimmt und mitgestaltet. Wo sich andere im Schlagwetter politischer Themen stets zu spät als Windfahne drehen, achtet oder achtete das Team vielleicht früher auf den Wind.
Und das klingt jetzt wie durch Wind geblasen – Entschuldigung. Aber was ist mit diesen sprechenden Details? Das Kabarett pflegt Peter Kamm heute noch, gleich hinterm Haus. Im Quartier deuten Plakate auf die politische Regsamkeit der Anwohner (Team-Mitglieder leben in der Nähe), wie auch aufs reale politische Wirken (die Wohnstrasse). Neben der Haustür stehen mit Kreide gemalte Formeln; zwar Spiel der Enkel, aber ganz auf Mathekurs des Opas. Und Kamms Schwiegersohn, Benjamin Steiner, kandidiert für den Stadtrat.
Das meinen wir mit «Kontinuum». Interessant ist das in partei-geschichtlicher Hinsicht: Wie gelingt es einem Zusammenschluss von Gleichgesinnten, à la longue nicht zu erstarren? Nicht zu verknöchern entlang der Parteilinie? Anders gefragt: Wann wird eine Linie zur vernagelten Parteidoktrin? Nochmals anders gefragt: Wie bleibt der politische Geist frei, ohne sich im Beliebigen zu verflüchtigen?
Politbeobachter glauben heute zuweilen, eine gewisse Parteimüdigkeit festzustellen, besonders unter der Jugend, nicht zuletzt wegen ideologischer Einspurigkeit der traditionellen Parteien. Die Leute geben – und sei es unausgegoren, wutschnaubend, halb wahnsinnig – zunehmend dem Überdruss Ausdruck, nicht in Widersprüchen denken zu dürfen. Aktionskomitees hatten in den letzten Jahren bei Kernthemen auffällig raschen Zulauf, eine Ad-hoc-Schwarmanziehungskraft ...
Herr Kamm, läge das Geheimnis vom Team Baden eventuell darin? Nämlich sich stets die Handlungsfolie eines Aktionskomitees zuzulegen, jedoch strukturiert – und das schon über ein halbes Jahrhundert lang?
Peter Kamm legt die Hände auf die Knie und lehnt sich kaum merklich zurück: «Nicht die permanente Revolution, aber die permanente Aktion? Ja.» Und warum funktionierte dieses Prinzip letztlich nur in Baden? «Wegen des Badener Geists – ganz einfach.»