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Gemeindeammann Peter Heiniger hat die Dorfpolitik seit 1986 geprägt. Nun tritt er ab, und sogar seine politischen Gegner sind voll des Lobes. Wie schaffte er dieses Kunststück?
«Ich verstehe nicht, warum ein so vernünftiger Mensch wie Sie nicht in der SP ist»: Dieses Kompliment erhielt Gemeindeammann Peter Heiniger im September 2015 beim Parteitag der Schweizer Sozialdemokraten in Turgi von niemand Geringerem als dem deutschen Gastreferenten Martin Schulz.
Der Spitzenpolitiker trat vergangene Woche als Präsident des EU-Parlaments zurück und wird nun als möglicher Kanzlerkandidat der SPD gehandelt. Heiniger war – wie fast immer, wenn ein Anlass im Dorf stattfand – vor Ort, und die Anekdote zeigt: Der Gemeindeammann, der in Turgi für die liberale «Bürgerliche Vereinigung Turgi (BVT) politisierte, wird auch ausserhalb der eigenen Reihen wertgeschätzt, wohl auch wegen seiner sozialen Ader.
Noch immer hört man am Dialekt, wo Heinigers Wurzeln liegen: Im Kanton Bern, genauer in Biel, woher der Ingenieur Mitte der 70er-Jahre in den Aargau zog; er trat eine Stelle bei der BBC an. Seit 35 Jahren wohnt er in Turgi, 1986 wurde er in den Gemeinderat gewählt. «Man kann sich die damalige Zeit gar nicht mehr so richtig vorstellen. Man hat noch über das normale Telefon, mit dem Fax oder persönlich kommuniziert.» Heute könne man dank Handy, E-Mail und Internet zwar viel einfacher und fast jederzeit miteinander reden.
«Doch entschieden wurde früher trotzdem schneller», sagte Heiniger an seiner Abschiedsrede an der Gemeindeversammlung Ende November. «Heute brauchen Entscheide furchtbar lange. Die Entscheidungsfreudigkeit gewisser Gremien hat wesentlich abgenommen.» Man sichere sich immer noch links und rechts ab und beschäftige eine Unmenge von Beratern, Anwälten und Amtsstellen.
Zwei Amtszeiten als Gemeindeammann hat Heiniger in Turgi absolviert. Ein erstes Mal stand er von 1991 bis 2001 an der Spitze der Gemeinde, danach zog er sich aus beruflichen Gründen für ein Jahrzehnt aus der Lokalpolitik zurück. Nachdem sein Nachfolger Theo Wenger (SP) 2011 zurücktrat, wurde er von der eigenen Partei angefragt, ob er noch einmal kandidieren wolle – er wurde ein zweites Mal zum Ammann gewählt. Zu den grössten Erfolgen seiner Amtszeiten zählt er den Bahnhof-Neubau und Turgis Gewinn des Wakkerpreises 2002 für den beispielhaften Umgang mit kulturhistorischen Objekten, verliehen vom Schweizer Heimatschutz. Zum Zeitpunkt der Preisübergabe war er zwar nicht im Amt, doch er habe zuvor 15 Jahre aktiv das Dorf mitgestaltet.
Ein wichtiges Anliegen sei ihm stets auch die Jugend gewesen, weshalb er beispielsweise das internationale Kindertheaterfest Turgi präsidiert. «Sein Engagement für Kultur und unsere Jugend habe ich ihm immer sehr hoch angerechnet», sagt Martin Christen (SP), der 2011 im Duell um den Ammannsitz unterlegen war. «Peter Heiniger ist ein sehr menschlicher Gemeindeammann. Es fällt mir nichts Negatives zu ihm ein, auch wenn ich als Ammann einige Dinge vielleicht anders angepackt hätte.» So hätte er die Entwicklung der Bahnhofstrasse stärker voranzutreiben und eine Fusion mit Baden aufzugleisen versucht.
Heiniger sagt: «Tatsächlich zählt es zu den wichtigsten Aufgaben meines Nachfolgers, die Situation der Ladenbesitzer in der Bahnhofstrasse im Auge zu behalten.» Gerne hätte er auch in seiner Amtszeit den Fussballplatz Oberau eröffnet, aber dem Projekt stünden leider viele bürokratische Hürden im Weg. «Insgesamt denke ich, kann ich aber zufrieden sein mit dem Erreichten. Wir haben in Turgi miteinander reden können und immer irgendwie eine einvernehmliche Lösung gefunden.» Beispielsweise habe es der Gemeinderat geschafft, Parkzonen zu schaffen, ohne dass es Einsprachen gab. «In anderen Gemeinden im Kanton wäre das undenkbar.»
Die politische Kultur in Turgi sei bemerkenswert gut. «Ich habe in den vergangenen 30 Jahren beobachtet, wie vielerorts der Respekt an Personen und an der Sache massiv abgenommen hat.» Littering und Vandalismus seien zwar auch in Turgi ein Thema gewesen. «Aber perfide Verunglimpfungen oder Attacken unter der Gürtellinie musste ich in Turgi nie erleben.»
«Ich wollte Gemeindeammann für alle Turgemer sein», sagt Heiniger. Eva Eliassen von der Partei «IG Turgi», die wie er in Biel aufwuchs, findet, das sei ihm gut gelungen. «Peter Heiniger ist ein Politiker der alten Schule, er war für Turgi eine Art Dorfvater.»
Heiniger gibt sein Amt Ende Dezember nun ab, weil er erstens pensioniert wird, zweitens vergangenes Jahr mit gesundheitlichen Problemen kämpfte und er drittens wieder mehr Zeit für seine Familie und Hobbys haben will. «Meine Frau und ich sind Wohnwägeler und werden wieder vermehr auf den Strassen der Schweiz und des nahen Europas unterwegs sein.»
Zudem wird sich der Vater von drei erwachsenen Kindern zusammen mit seiner Tochter Eliane der Imkerei widmen. Der Name des ersten Bienenvolkes steht bereits fest: Heissen wird es «Turgi.»