Schulhausplatz
Ex-Stadtplaner Wanner: «Baden muss mit Staus leben»

Am 27. November stimmt Baden über das «Jahrhundertprojekt» Schulhausplatz ab. Hans Wanner, der 30 Jahre lang Stadtplaner war, äussert sich differenziert – und sagt, es handle sich um eine gute, aber nicht dauerhafte Lösung.

Patrik Müller und Roman Huber
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Der frühere Stadtplaner Hans Wanner vor dem Schulhausplatz, der neu gestaltet werden soll.

Der frühere Stadtplaner Hans Wanner vor dem Schulhausplatz, der neu gestaltet werden soll.

Walter Schwager

Herr Wanner, der Schulhausplatz ist notorisch überlastet. War er von Beginn an eine Fehlkonstruktion?
Der Platz wurde 1965 zusammen mit der Bahnverlegung total neu gebaut. 20 Jahre lang funktionierte er. Es war allerdings absehbar, dass er in dieser Form irgendwann nicht mehr genügen würde.

Löst die Neugestaltung des Schulhausplatzes, über die nun abgestimmt wird, die Probleme?
Nicht dauerhaft. Das Projekt bringt wesentliche Verbesserungen, vor allem für den öffentlichen Verkehr – rund 30 Millionen Franken werden in die Bustunnels unter der Bruggerstrasse und unter dem Schulhausplatz investiert – auch zugunsten einer verkehrsfreien Weiten Gasse. Es handelt sich um einen guten Kompromiss, aber nicht um einen grossen Wurf. Es ist eine Zwischenlösung.

Wie meinen Sie das?
Der geplante Schulhausplatz wird als «Jahrhundertwerk» bezeichnet, doch die Bevölkerung wächst, es entstehen mehr Arbeitsplätze, die Mobilität nimmt zu: Langfristig wird man nicht um grossräumige Lösungen herum kommen. Mit dem Baldeggtunnel ist die Diskussion bereits lanciert, doch dieser wird höchstens mittelfristig realisierbar sein.

Der neue Schulhausplatz ist – etwa bezüglich des Stauproblems – nicht der grosse Befreiungsschlag?
Weil unser Stadtzentrum in einer engen Klus liegt, werden wir wohl immer mit Staus und Verkehrsproblemen leben müssen. Es gab vor 40 Jahren Ideen für einen Befreiungsschlag: Man plante den Grossen Ring, bestehend aus einer Ost- und Westtangente. Damit hätte man das Problem Schulhausplatz tatsächlich gelöst, nur: Das Stadtbild wäre weitgehend zerstört worden.

Das Wachstum der Stadt und des Verkehrs wurde aber offenbar lange Zeit unterschätzt?
Es gab verschiedene Epochen. In den 60er-Jahren herrschte die grosse Wachstumseuphorie. In den 70er-Jahren kam – nicht zuletzt mit dem Club of Rome und der aufkommenden Sorge um unsere Umwelt – eine Wachstumsskepsis auf. Danach stand auch in Baden die Wohnqualität im Vordergrund; der öffentliche Verkehr wurde gefördert, der Individualverkehr musste zurückstehen. Mit dem Planungsbericht 1975 gab es in Baden erste Vorschläge für ein Road pricing! Wer in die Stadt hineinfahren wollte, sollte zahlen.

Ein Strassenzoll, wie er in London eingeführt wurde?
Road pricing wäre auch heute eine Überlegung wert, obwohl es schwer realisierbar wäre. Was wir damals effektiv einführten, waren Pförtneranlagen am Stadtrand: Der Verkehr wurde ausserhalb des Zentrums gestaut, wo weniger Menschen wohnen und es Platz für Busspuren gibt. So entstand als Pionieranlage die Einfahrtsregelung Mellingerstrasse beim Badener Tor.

Auch dieses Verkehrskonzept ist inzwischen am Anschlag. Trotzdem hält das neue Projekt Schulhausplatz daran fest. Genügt das?
Am Knoten Schulhausplatz können nicht alle Probleme gelöst werden, darum gibt es richtigerweise flankierende Massnahmen. Nur: Die Erweiterung der Pförtneranlage beim Badener Tor mit einer zweiten Stauspur halte ich für problematisch. Die Stadt wird so noch schlechter erreichbar, denn die Wartezeit könnte sich für Autofahrer verdoppeln. Irgendwann sagt man sich: Dann fahre ich halt nicht mehr in diese Stadt! Das System der Pförtnerung – für den gesamten Regionalkern – finde ich trotzdem sehr sinnvoll, es darf aber nicht überspannt werden.

Einzig die Grünen sind gegen die Schulhausplatz-Vorlage. Sind aber in Tat und Wahrheit nicht die Autofahrer die Verlierer?
Wie gesagt, handelt es sich um einen Kompromiss, der auch darum zustande kam, weil man dem öffentlichen Verkehr konsequent Priorität einräumt. Das ist grundsätzlich richtig. Der Individualverkehr sollte gemäss der Vorlage eigentlich auch verflüssigt werden...

... aber der Einwohnerrat will das nicht!
Er hat beschlossen, dass zu Spitzenzeiten die Leistungsfähigkeit des motorisierten Individualverkehrs im Gesamtsystem Baden Zentrum nicht erhöht werden soll. Man leistet sich also den Luxus, dass der Schulhausplatz nicht nur nicht mehr leisten kann, sondern nicht mehr leisten darf! Ich bin der Meinung, dass für den Wirtschaftsstandort Baden die Erreichbarkeit für alle Verkehrsteilnehmer gewährleistet werden sollte. Das gilt übrigens auch während der dreijährigen Bauzeit. Das Gewerbe hat grosse Befürchtungen, dass die Stadt abgewürgt wird. Diesbezüglich braucht es noch sehr kreative Massnahmen.

Häufig wird kritisiert, dass Fussgänger und Velofahrer unter den Boden müssen, während die Autos oben sind.
Am Schulhausplatz geht das nicht anders – wegen des nahegelegenen Bahntunnels, der überquert werden muss. Würde man den Strassenverkehr ins Untergeschoss befördern, würden die Zufahrtsrampen zu steil. Das Projekt kann für Fussgänger und Velofahrer auch unterirdisch attraktive Bereiche schaffen.

Wagen Sie eine Prognose, wie die Abstimmung am 27. November ausgeht?
Achtet man auf die Parteiparolen, müsste es über 80 Prozent Ja geben. Aber das Abstimmungsverhalten ist unberechenbar geworden, das zeigte die gescheiterte Fusion mit Neuenhof. Es wird wohl knapp. Es gibt ablehnende Argumente, aber man hat sich bei schwierigen Randbedingungen zu einem guten Kompromiss durchgerungen, der unterstützt werden muss. Fachlich und politisch wurde in den letzten Jahren eine grosse Arbeit geleistet.