Wettingen
Fast wäre die 300-jährige Dorf-Berühmtheit ausgestorben

Sie liefere den besten Most, heisst es über die «Wettinger Holzbirne». Ein Projekt verhindert, dass die dorfeigene Birnensorte ausstirbt.

Stefanie Suter
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Peter Steinauer (Geschäftsführer SKK Landschaftsarchitekten) und Klostergärtner Fabian Meier (v. l.) setzen die Wettinger Holzbirne auf dem Klostergelände. ssu

Peter Steinauer (Geschäftsführer SKK Landschaftsarchitekten) und Klostergärtner Fabian Meier (v. l.) setzen die Wettinger Holzbirne auf dem Klostergelände. ssu

Stefanie Suter

Seit mindestens 300 Jahren hat Wettingen seine eigene Birnensorte: die Wettinger Holzbirne. Fast wäre die ehemals berühmte Sorte ausgestorben – der letzte Baum steht zwar noch im Eigi-Tal, doch grüne Zweige spriessen schon länger nicht mehr. Zusammen mit dem Badener Baumschulisten Toni Suter konnte der Landschaftsarchitekt Peter Paul Stöckli die Sorte retten. Drei geklonte Nachkommen des Ur-Baumes stehen seit gestern beim Kloster in Wettingen.

Von dort kommt die Obstsorte vermutlich auch her: «Man darf annehmen, dass das Kloster der Ursprungsort der Sorte ist», sagt Stöckli. Ihr Vorkommen ist nur in Wettingen und der näheren Umgebung belegt. «Wahrscheinlich haben die Mönche durch Selektion eine wilde Art zu einer Nutzbirne veredelt.» Dies könnte auch den Namen «Holzbirne» erklären: «Wildbirnen nennt man auch Holzbirnen.» Die Wettinger Holzbirne, auch bekannt unter «Wettigerbire», war früher sehr bekannt, wie viele Quellen zeigen.

So schwärmte ein unbekannter Autor 1905: «Und was das für schöne und gesunde Bäume sind!» Und weiter: «So sieht man in Wettingen herum die mit Recht gerühmte Holzbirne, aus welcher wohl der beste und haltbarste Most oder Saft bereitet wird. (...) Auch gegen Wind sind sie nicht empfindlich. Von Baden her weht nicht selten ein scharfer Wind.» In guten Jahren sei der Baum überreich behangen, schrieb der Kapuzinerpater P. Chrysost Amrein 1905. «Ein Landwirt sagte mir, dass er von einem Baum 300 Liter Saft abgepresst habe.»

In der Fachliteratur erscheine die Holzbirne ab 1860 regelmässig, sagt Stöckli. «Eine der Quelle gibt an, die Sorte eigne sich sogar für Wein.» Dennoch verschwanden die Holzbirnen-Bäume in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Einerseits ist die Ernte der kleinen Früchte zu arbeitsintensiv, als dass sie sich finanziell lohnen würde. Andererseits erhielten die Landwirte in den 60er-Jahren Subventionen vom Bund für jeden gefällten Obstbaum. Der Staat wollte so die Überproduktion von billigem Mostobst verhindern. Erst als Natur- und Heimatschutz intervenierten, stoppte der Bund seine Zahlungen ein Jahrzehnt später wieder.

Ein Stück Wettinger Kultur

Als Stiftungsrat von «Pro Specie Rara» sieht sich Stöckli mitverantwortlich, die genetische Vielfalt in der Schweiz zu erhalten. «Es wäre schade, würde diese Sorte verschwinden – die Holzbirne ist ein Stück Wettinger Kultur.» Der Baum sei nicht nur sehr schön, sondern sei auch sehr robust und brauche deshalb kein Pflanzenschutzmittel.

Um die Sorte zu retten, hat Stöckli aus Anlass des 40-Jahr-Jubiläums von SKK Landschaftsarchitekten in Wettingen das Projekt «Rettung der Wettinger Holzbirne» ins Leben gerufen. Toni Suter, Baumschulist und Spezialist für alte Obstsorten, schnitt vor vier Jahren vom sterbenden Baum im Eigi-Tal einige junge Zweige ab, sogenannte Reiser, um sie zu veredeln: Eine Jungpflanze diente als Unterlage, auf der die Zweige der Holzbirne aufgesetzt beziehungsweise aufgepfropft wurden.

Unterlage und Edelreiser verwuchsen so miteinander. «Das ist die älteste Form des Klonens», erklärt Stöckli. «Es handelt sich um eine vegetative oder ungeschlechtliche Vermehrung, da die Gene des Ursprungsbaumes nicht mit einem anderen vermischt werden.» Die Nachkommen hätten somit die gleichen Gene wie der unterdessen verstorbene Baum im Eigi-Tal.

Zehn Nachkommen züchtete Suter auf diese Art. Drei gedeihen nun beim Kloster in Wettingen, einer wird neben dem toten Ursprungsbaum, einer auf dem Buessberg und einer an der Bergstrasse in Wettingen gepflanzt. Die anderen vier Bäumchen stehen zum Verkauf bei Toni Suter. Most kann man von aber noch keinen gewinnen: «Es wird Jahrzehnte dauern, bis die Bäume Früchte tragen – aber wer Bäume pflanzt, glaubt an die Zukunft», sagt Stöckli.