Katastrophen im Aargau
Flugzeugabsturz in Würenlingen: Goldbarren lagen wie Steine herum

Gottlieb Meier ist ehemaliger Landwirt, 76 Jahre alt und hat bereits drei Flugzeugabstürze in seinem Leben miterlebt. 1944, als er acht Jahre alt war, sah er amerikanische Bomber abstürzen.

Adrian Hunziker
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Das Flugzeug hatte Dutzende Bäume abrasiert, war in den Wald gestürzt und wurde durch den Aufprall in Tausende Teile zerrissen.

Das Flugzeug hatte Dutzende Bäume abrasiert, war in den Wald gestürzt und wurde durch den Aufprall in Tausende Teile zerrissen.

Keystone

«Ich sehe jetzt noch die Fallschirme vor mir, wie sie runterkamen. Einer der Piloten fiel in die Aare und ertrank, die anderen beiden versteckten sich im Wald», erinnert sich Meier.

Der letzte Absturz, den Meier miterlebte, war ein Kleinflugzeug mit zwei Personen an Bord. Das Flugzeug kam 200 Meter hinter Meiers Haus in einem Maisfeld runter. Beide Insassen überlebten nicht.

Doch der spektakulärste Absturz war derjenige der Swissair-Maschine am 21. Februar 1970. Es war Samstagnachmittag, als Meier einen Riesenknall hörte: «Es schneite, sodass ich das Flugzeug nicht sehen konnte. Dann sah ich aber eine Rauchwolke, die wie ein Atompilz aufstieg.» Danach wurde die Feuerwehr aufgeboten und Meier machte sich sofort auf den Weg. Als er und seine Kameraden an der Absturzstelle ankamen, waren bereits Schaulustige da. «Es brannte wie ein ‹Saucheib› und es sah so aus, als wäre eine Bombe explodiert», sagt Meier. Er sah erst am Unfallort, dass es wirklich ein Flugzeug war, vorher war es nur eine Vermutung gewesen.

Prothesen in der Schule gefunden

Er weiss noch ganz genau, wie es das Flugzeug in tausende Teile zerriss. Der Aufprall war gar so heftig, dass man im Schulhaus im Dorf oben zwei Tage später Prothesen von Passagieren fand. Auch angebrannte Äste, Reisebesteck oder andere Utensilien wurden bis zu zwei Kilometer wegspediert. «Da half auch der Wind mit. Ein Zylinder des Fahrwerks, den ich auf etwa 250 Kilogramm Gewicht schätze, wurde 300 Meter weggeschleudert. Das grösste Glück war es, dass dieser nicht noch weiterflog. Sonst hätte er einen Teil des Dorfes wegradiert», sagt der ehemalige Wachtmeister der Feuerwehr.

Die Feuerwehr war mit 30 bis 40 Mann am Unglücksort. Und auch die Landwirte mussten dort noch drei bis vier Tage aufräumen helfen - Meier gehörte auch dazu. Die Polizei hatte das Gebiet weiträumig abgesperrt. «Etwas vom Eindrücklichsten war, wie viel Gold es da gab. Zentnerweise Goldbarren lagen herum wie Steine. Die lasen wir zusammen.» Doch das war nicht alles, was Meier einsammeln musste.

Auch Leichenteile der Verstorbenen und Kleidungsstücke gehörten dazu. «Die lagen hundert Meter weg vom Flugzeug oder hingen in den Bäumen», so Meier. Später kam ein Helikopter und transportierte die Leichenteile in Kisten ab. Meier machten diese schlimmen Aufräumarbeiten aber nicht zu schaffen. Für ihn gehörte das einfach zur Arbeit. «Ich hatte nie Albträume. Ich konnte das alles gut verkraften.» Trotzdem waren die Trümmerhaufen und die Leichenteile eindrücklich für Wachtmeister Meier. «Dass es keine Überlebenden gab, war uns sofort klar. Wir wussten aber nicht, wie viele Leute im Flugzeug waren. Man sah noch nicht einmal, wie gross das Flugzeug einmal war.»

Kollegen starben in Dürrenäsch

Beim Aufräumen musste Meier immer wieder Schaulustige wegjagen, die offenbar auch ab und zu etwas mitgehen liessen. «Ich nenne keine Namen, aber es gab auch Leute der Feuerwehr, die nicht mehr auf die Unfallstelle durften. Ob etwas wegkam, kann ich nicht sagen.»

Meier denkt nicht häufig an diese Tage zurück, die Geschichte verfolgt ihn nicht. Der Flugzeugabsturz von Dürrenäsch (Bericht folgt in der Samstagsausgabe der az Aargauer Zeitung) machte ihm mehr zu schaffen: «Das ging mir näher, weil dort zwei meiner Kollegen aus dem Militär umkamen. In Würenlingen hatte ich keinen Bezug zu den Verstorbenen im Flugzeug. Wenn noch Dorfbewohner umgekommen wären, wäre es sicher schlimmer gewesen.»

Ein oder zwei Jahre später - Meier kann sich nicht mehr genau erinnern - wurden die Feuerwehrleute zum Dank nach Kloten eingeladen. Dort wurde ihnen das aus den Trümmern wieder hergestellte Flugzeug gezeigt. «Und man durfte mit einer Cessna einen Rundflug machen. Als der Motor bei der ersten Gruppe einige Male nicht ansprang, verzichtete ich auf den Gratis-Rundflug. Das war mir doch zu heikel», sagt Meier. Doch die Cessna kam ohne Probleme wieder zurück.

Was damals geschah: Die Bombe

Am 21. Februar 1970 schneite und regnete es fast gleichzeitig. Der Start der Swissair-Maschine SR330 von Zürich nach Tel Aviv um 13.14 Uhr in Kloten war planmässig verlaufen. Doch nur wenige Minuten nach dem Start explodierte im Frachtraum eine Bombe. Terroristen, die einer Splittergruppe der Volksfront zur Befreiung Palästinas angehörten, hatten das «Paket» eigentlich in München aufgegeben. Doch da der Flug von München nach Tel Aviv grosse Verspätung hatte, war die Postsendung auf die Swissair-Maschine umgeleitet worden. So befand sich unter 322 Kilo Post auch eine Bombe im Frachtraum. Captain Karl Berlinger hatte nach der Explosion zusammen mit seinem Co-Piloten Armand Etienne noch versucht, eine Notlandung in Kloten zu bewerkstelligen. Doch die Zeit reichte nicht aus. Etwa auf Höhe Klingnau-Kleindöttingen war die Swissair-Maschine, die stark an Höhe verloren hatte, aus der dichten Wolkendecke herausgekommen. Zwar hatten die Triebwerke bis zum Absturz normal funktioniert und waren die tragenden Strukturen des Flugzeugs vor dem Aufprall intakt gewesen. Wegen starken Rauches im Cockpit aber hatten Captain und Co-Pilot die Navigationsinstrumente nicht mehr sehen können. Das Flugzeug zerschellte regelrecht, 47 Menschen liessen dabei ihr Leben. An Bord der Maschine hatten sich nebst der neunköpfigen Schweizer Besatzung als Passagiere 15 Israeli, 7 Amerikaner, 9 Deutsche, 2 Kanadier sowie je 1 Engländer, Belgier, Senegalese, Thailänder und Schweizer befunden. Fast einen Monat lang hatte ein Riesenaufgebot von Polizisten aus verschiedenen Kantonen, Feuerwehrleuten und Swissair-Angestellten die Trümmerteile zusammengetragen, die dann zu Untersuchungszwecken in einem Hangar in Kloten zusammengestellt worden waren. Auch ein Helikopter war eingesetzt worden, von dem aus die Überreste aus den Baumwipfeln eingesammelt wurden. (RMM/ahu)