Region Baden
Forellen und Äschen verschwinden in rasendem Tempo aus der Limmat – Forscher stehen vor Rätsel

Die beiden Fischarten verschwinden zunehmend aus der Limmat – das Aussterben unter der Wasseroberfläche ist vielleicht nicht mehr zu verhindern. Fangen darf man die Fische trotzdem weiter.

Leo Eiholzer
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Es geschieht nicht nur in der Limmat. In der ganzen Schweiz beklagen sich Fischer über immer tiefere Fangzahlen. (Archivbild)

Es geschieht nicht nur in der Limmat. In der ganzen Schweiz beklagen sich Fischer über immer tiefere Fangzahlen. (Archivbild)

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Das Aussterben unter der Wasseroberfläche geschieht lautlos. Wer von oben ins klare Wasser der Limmat schaut, würde nie vermuten, dass etwas nicht in Ordnung sein könnte. Doch in den letzten Jahrzehnten vollzogen sich im Wasser unbemerkt grundlegende Veränderungen. Zwei Fischarten leiden besonders: die Bachforelle und die Äsche. Beide sind bei Fischern beliebt, weil sie auf dem Teller gut schmecken und weil sie ein besonders buntes Schuppenkleid haben. Und beide verschwinden in rasendem Tempo aus der Limmat.

1996 fingen die Limmatfischer 615 Bachforellen. 2017 waren es noch 44, ein Rückgang von 93 Prozent innerhalb von rund zwanzig Jahren. Gleiches Bild bei der Äsche: Neun Stück wurden letztes Jahr gefangen, 1996 nahmen die Fischer noch 89 mit nach Hause, also rund zehnmal so viele.

Diese Zahlen erschrecken schon genug, doch 1996 ist schlicht das Jahr, in dem der Kanton seine Fangstatistik begann. Das leise Aussterben dauert schon etwa zehn Jahre länger. Laut der Fangstatistik des Fischereivereins Turgi-Siggenthal war der Kilogramm-Ertrag der Limmat 1995 im Vergleich zu 1985 schon um 60 Prozent gesunken. Die Realität könnte also noch viel dramatischer sein, als die kantonale Fangstatistik zeigt.

Christian Tesini, Fachspezialist bei der Fischerei- und Jagdverwaltung des Kantons, sagt: «Die tiefen Fangzahlen bei Forellen und Äschen erschrecken uns.» Er gibt aber zu bedenken, dass die Fangstatistik nicht genau zeigt, wie viele Fische in der Limmat schwimmen. So werden heute über alle Arten 75 Prozent weniger Fische gefangen als im Jahr 2003, aber die Ausbeute pro Stunde ist ungefähr gleich hoch. «Bei den Forellen und Äschen kann man aber sicher sagen, dass der Bestand stark abgenommen hat», sagt Tesini.

Das grosse Rätsel

Das leise Verschwinden der Forellen und Äschen stellt Forscher vor ein Rätsel. Es geschieht nicht nur in der Limmat. In der ganzen Schweiz beklagen sich Fischer über immer tiefere Fangzahlen. Besonders betroffen sind grosse Mittellandflüsse. Nirgends im Kanton ist die Situation aber so schlimm wie in der Limmat (siehe nachfolgenden Zusatztext).

Erfolgsstory Reuss

Ein Aargauer Fluss trotzt dem Trend: die Reuss. Dort wurden 2017 rund 2,5-mal so viele Äschen gefangen wie zwanzig Jahre davor. Im Rhein nahmen die Äschenfänge derweil um 68 Prozent ab, in der Aare waren es 59 Prozent. Warum ist die Reuss eine Ausnahme? Christian Tesini von der Aargauer Fischereiverwaltung sagt: «In den vergangenen Jahren wurde die Reuss abschnittsweise renaturiert, vor allem oberhalb von Bremgarten. Wir gehen davon aus, dass diese Massnahmen etwas bewirkt haben.» Für die Bachforelle sieht es aber mit einem Minus von 89 Prozent düster aus, ebenso an Rhein (–89 Prozent) und Aare (–84 Prozent).

Für den schweizweiten Fischrückgang führen Wissenschafter eine ganze Reihe an Ursachen an: Wasserkraftwerke, Begradigungen der Flüsse, die Nierenkrankheit PKD, Hormone, die zum Beispiel von der Antibabypille stammen, oder der allgemeine Rückgang an Insekten, die Fische als Nahrung brauchen.

«Viele Faktoren spielen eine Rolle. Unklar ist, wie gross deren Einfluss vor allem auch in Kombination in einem bestimmten Gewässer wie der Limmat ist», sagt Corinne Schmid, Biologin bei der Fischereiberatungsfachstelle (Fiber). Eine Ursache, dass vor allem die Äschen, aber auch die Forellen aus der Limmat verschwinden, ist für sie die hohe Zahl an Wasserkraftwerken. In der Limmat hat es auf den 12 Kilometern von Wettingen bis zur Einmündung in die Aare sieben davon.

Die Kraftwerke schaffen zwei Probleme: Sie halten das Geschiebe zurück; also Steine, die die Limmat natürlicherweise transportiert. Und sie schränken die Fischwanderung ein. Durch das fehlende Geschiebe ist der für die Fortpflanzung wichtige Kies kaum vorhanden. Zudem können die Fische wegen der Kraftwerke geeignete Laichplätze oft nicht erreichen.

Lockere Schonbestimmungen

Obwohl die beiden Fischarten verschwinden, darf man sie weiter fangen. Die kantonalen Schonbestimmungen sind locker: Pro Tag und Person dürfen sechs Fische der Arten Forelle und Äsche getötet werden. Sie müssen ein Mindestmass erreicht haben, also mindestens 28 respektive 32 Zentimeter gross sein.

Diese Regeln stammen aus dem Jahr 1991. Trotz des rasanten Fangrückgangs passte der Kanton die Schonbestimmungen in den letzten 28 Jahren nicht an. Mittlerweile hat er laut Tesini eine Studie in Auftrag gegeben, die klären soll, wie die Schonbestimmungen angepasst werden müssen.

Um die Fische besser zu schützen, gäbe es viele Möglichkeiten: Höhere Mindestmasse, tiefere Tageslimiten oder sogenannte Fangfenster, bei denen auch besonders grosse Fische zurück ins Wasser müssten, weil sie besonders viele Eier haben können. Der Regierungsrat hätte auch die Möglichkeit, das Fischen auf Forellen und Äschen in der Limmat komplett zu verbieten.

Wie viel ein Fischereiverbot den Fischen helfen kann, zeigte sich im Kanton Bern. In der Aare verboten die Behörden von 2008 bis 2011 testweise das Fischen auf Äschen. Resultat: Es hatte danach deutlich mehr Äschen im Wasser, und massiv mehr Tiere erreichten das notwendige Alter zur Fortpflanzung.

Ein ähnliches Fischereiverbot ist laut Tesini im Aargau momentan nicht geplant: «Wir befinden uns in einem Zwiespalt. Wir möchten gleichzeitig das Fischen ermöglichen und den Fortbestand aller Fischarten sichern.» Er verweist auf das Bundesgesetz über die Fischerei, das die Nutzung der Fischbestände dem Artenschutz gleichstellt.

In der Zwischenzeit setzen die Fischervereine zusammen mit dem Kanton weiter jährlich Tausende kleine Forellen und Äschen ein. Kürzlich stellte eine gross angelegte Studie fest, dass die meisten der eingesetzten Forellen nicht überleben, weil sie sich genetisch von der «UrLimmat-Forelle» unterscheiden.

Nun will der Kanton zusammen mit den Fischervereinen genetisch passendere Fische einsetzen. Doch es könnte schon zu spät sein. Das leise Aussterben unter der Wasseroberfläche ist vielleicht nicht mehr zu verhindern. Verschwinden bald die letzten Forellen und Äschen aus der Limmat? Tesini: «Das ist ein Horrorszenario, das eintreffen könnte.»