Roland Fitzlaff bringt vergessene und unveröffentlichte Werke des Barockkomponisten Georg Philipp Telemann auf die Bühne.
«Die Texte sind blutrünstig und es geht brutal zur Sache», erzählt Roland Fitzlaff. Dabei spricht er nicht von einem Kinothriller, sondern von Georg Philipp Telemanns Passionsoratorium «Seliges Erwägen», dass er am 1. November mit Chor und Orchester im Refektorium des Klosters Wettingen aufführt. 2014 gründete er die Telemann-Gesellschaft, mit dem Ziel, die Musik des deutschen Komponisten in der Schweiz bekannt zu machen. «Telemann hat ein enorm reiches Werk hinterlassen, das in Vergessenheit geriet», erläutert der gebürtige Deutsche. Tatsächlich wird der Komponist als Figur beschrieben, der die Musikwelt im frühen 18. Jahrhundert auf den Kopf stellte, indem er die damals neue Gattung Oper in die Kirchenmusik einführte. Und während man sich bis dahin bei der Passion Christi immer streng an die Bibelschriften hielt, schrieb Telemann zu seinem Oeuvre eigene Texte, in denen seine subjektiven Wahrnehmungen und Ansichten als Künstler im Vordergrund standen.
Der Klerus war entsetzt. Auch musikalisch dürfe man sich in Wettingen auf ein ungewöhnliches Konzert gefasst machen, erwähnt Fitzlaff, und spricht von überraschenden Wendungen, scharfen Dissonanzen bei der Auspeitschungsszene und fallenden Linien der Violinen, wenn das Blut tropft. «Das Oratorium aus dem Frühbarock hat die Leute früher schockiert. Heute fasziniert es vor allem durch seinen Abwechslungsreichtum und die ungeheure Ausdrucksstärke, mit der es den Leidensweg von Jesus Christus beschreibt», meint er. Fünf Oratorien hat Telemann komponiert, die seit Jahrhunderten nicht mehr aufgeführt wurden. Fitzlaff will ein Buch darüber schreiben, mit der Telemann-Gesellschaft eine Forschungsplattform für andere Musiker und Dirigenten bieten und alle Werke zur Aufführung bringen. «Es sind wahre Schätze», schwärmt er. Den Anfang macht er mit dem Konzert in Wettingen, das er mit dem Ensemble Musicalina, dem Capriccio Barockorchester und dem Telemann-Ensemble bestreitet.
Als Person wirkt Fitzlaff ruhig, bescheiden, auf den ersten Blick fast unscheinbar. Doch er ist ein stilles Wasser, das tief gründet. Der 46-jährige hat Romanistik und Musikwissenschaften studiert, ist ausgebildeter Opernsänger und verfügt über ein Hochschuldiplom als Dirigent. Und auch eine komische Ader verbirgt sich hinter seinem Pokerface. 20 Jahre lang war er Teil des erfolgreichen Kabarett-Ensembles FitzlaffHaenni, das seine Premieren regelmässig im ThiK feierte. Tagsüber arbeitet er als Französischlehrer an der Kantonsschule Wettingen, abends lässt er seine tiefe Bassstimme erklingen oder schwingt den Taktstock, wie er es kommenden Sonntag tun wird.
Passionsoratorium «Seliges Erwägen» von Telemann, Sonntag, 1. Nov. 2015, 17 Uhr, Refektorium Kloster Wettingen