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Sieben Gemeinden im Bezirk Baden haben gar keinen Hausarzt. Die Situation wird sich verschärfen. Um dem Trend entgegenzuwirken, will der Ärzteverband gemeinsam mit dem Kantonsarzt einen Leitfaden für Gemeinden ausarbeiten.
Wer im Bezirk einen Hausarzt sucht, verzweifelt oft am Aufnahmestopp für neue Patienten. Dieser herrscht in vielen Praxen. Aktuelle Zahlen des Aargauer Ärzteverbandes zeigen: Im Bezirk gibt es sogar sieben Gemeinden, die gar keinen Hausarzt haben.
Wer in Remetschwil, Bellikon, Künten, Killwangen, Freienwil, Mägenwil oder Wohlenschwil lebt, muss auf Praxen in Nachbargemeinden ausweichen. Hans-Ulrich Iselin, Präsident des Aargauischen Ärzteverbandes, sagt: «Dieser Trend, dass Gemeinden gar keinen Hausarzt mehr haben, wird sich verschärfen.» Viele Hausärzte stehen kurz vor der Pensionierung oder haben das Alter von 65 Jahren bereits überschritten. Von den 118 Ärzten im Bezirk sind 37 älter als 61 Jahre (siehe kleine Grafik).
«Wenn sie ihre Praxis schliessen, finden sie häufig keinen Nachfolger.» Iselin geht deshalb davon aus, dass es nicht bei sieben hausarztlosen Gemeinden bleiben wird. Fabian Müller Fuchs, Präsident des Hausärztevereins des Bezirks Baden, macht auf ein weiteres Problem aufmerksam: «Gerade in unserer Region verzeichnen kleine Gemeinden ein reges Bevölkerungswachstum und benötigen auf absehbare Zeit auch eine hausärztliche Infrastruktur.»
Um diesem Trend entgegenzuwirken, will der Ärzteverband gemeinsam mit dem Kantonsarzt einen Leitfaden für Gemeinden ausarbeiten. Dieser soll ihnen bei der Neuansiedlung und Neustrukturierung der ärztlichen Grundversorgung sowie bei der Suche nach Investoren mit wirtschaftsethisch und gesundheitsökonomisch akzeptablem Hintergrund helfen. «Letztlich ist es aber eine Frage der Standortpolitik, die eine Gemeinde verfolgt», fügt Iselin an.
Zwar setzten alle Gemeinden, die keinen Hausarzt haben, auf jene in den Nachbargemeinden, die mit den öffentlichen Verkehrsverbindungen problemlos erreichbar seien. Trotzdem wünschen sie sich einen eigenen Hausarzt. So sprechen sich Mägenwil und Bellikon klar für eine Arztpraxis im Ort aus. «Unsere Einwohner wünschen sich auf jeden Fall einen Hausarzt in der Gemeinde», sagt der Mägenwiler Gemeindeammann Daniel Pfyl. Sämtliche Bemühungen, einen solchen nach Mägenwil zu bekommen, seien aber bisher nicht erfolgreich gewesen.
«Für die Gemeinde wäre es sehr wünschenswert, einen eigenen Hausarzt zu haben», sagt der Belliker Gemeindeammann Hans Peter Kurth. «Wir haben zwar die Rehaklinik, aber dort arbeiten keine Hausärzte, welche die Grundversorgung abdecken», fügt er an. Kurth ist überzeugt, dass sich eine Praxis auch in kleinen Gemeinden lohnen kann. «Jeder Hausarzt wird von Patienten überrannt, daher würde eine Praxis bei uns sicher rentieren», sagt Kurth, «aber der Trend läuft in Richtung Gemeinschaftspraxen, die sich vermutlich lieber in grösseren Gemeinden ansiedeln», gibt Kurth zu bedenken.
Anders geht Freienwil das Problem an: Gemeinderätin und Verantwortliche für das Ressort Gesundheit, Rébecca Schneider Häfliger: «Unsere Einwohner weichen auf Lengnau und Ehrendingen aus.» Es sei deshalb auch kein akutes Problem. «Weil es ohnehin zu wenig Hausärzte gibt, fördert der Gemeinderat alternativ die Nachbarschaftshilfe mit dem Fahrdienst, was insbesondere den älteren Menschen zugutekommt.»
«Meines Wissens hat es in Remetschwil nie einen Hausarzt gegeben», sagt Gemeindeammann Rolf Leimgruber. Er geht davon aus, dass die Gemeinde mit rund 2000 Einwohnern für eine Hausarztpraxis nicht rentabel ist. Zwar wäre ein Arzt in der Gemeinde ein Standortvorteil, sagt Leimgruber. «Doch eine regionale Gemeinschaftspraxis, die zentral gelegen ist, macht sicher mehr Sinn als in jedem Dorf einen Arzt.» Eine solche gebe es mit dem Doktorhaus in Fislisbach bereits. «Eine weitere Praxisgemeinschaft wäre aber sicher nicht verkehrt», fährt Leimgruber fort.
Remetschwil hatte bisher keine Nachbarschaftshilfe wie Freienwil. «Allerdings drängt sich in unserer Gemeinde, wie in vielen anderen auch, das Thema Überalterung auf.» Daher könne ein Angebot wie die Nachbarschaftshilfe oder ein Fahrdienst in absehbarer Zeit zum Thema werden, sagt Leimgruber.
«Insbesondere für Hausärzte im Aargau ist es schwierig, überhaupt eine rentable Praxis zu führen», sagt Iselin. Ein Hausarzt kann im Aargau mit einem Lohn von 150 bis 200 Franken pro Stunde rechen. «Davon gehen aber zwei Drittel für Personal und Infrastruktur weg», sagt Iselin. Zudem wollen junge Ärzte heute im Anstellungsverhältnis und Teilzeit arbeiten. «Das geht nur in Gemeinschaftspraxen.» Diese Entwicklung führt auch dazu, dass eine grössere Zahl Ärzte weniger Arbeitsstunden leisten.
Für einen Praxisbetrieb braucht es einiges an Kapital. So beginnen in der Not auch Spitäler, Praxen zu übernehmen oder neu zu gründen, eine Entwicklung mit Konfliktpotenzial. Daher werde man sich im erwähnten Leitfaden für die Gemeinden des Themas annehmen.
Nicht wenige Ärzte greifen für Praxiszusammenlegungen und Neugründungen auf die Hilfe der Argomed Ärzte AG mit Sitz in Lenzburg zurück. So war die Argomed an der Gründung des Doktorhauses Fislisbach und des Doktorzentrums Baden beteiligt. Eine weitere Gemeinschaftspraxis folgt im Sommer in Wettingen. Trotzdem werde es keine rasche Verbesserung geben, ist Iselin überzeugt. Er sieht die Zukunft der medizinischen Grundversorgung in Infrastrukturen, in denen Hausärzte, Spezialärzte, Spitex, Apotheke und verschiedene Therapiemöglichkeiten an einem Ort angeboten werden.