Abwahl
Geri Müller mischte das bürgerliche Baden auf – Aufstieg und Fall eines allzu menschlichen Idealisten

Geri Müller kämpfte sowohl in den Teenagerjahren als auch im Nationalrat für eine neue Energiepolitik. Er war der erste Grüne Stadtammann im bürgerlichen Baden. Er setzte sich für Menschenrechte, namentlich der Palästinenser, ein. Am Sonntag wurde er abgewählt. Die Affäre holte ihn ein.

Jürg Krebs
Drucken
Der Aufstieg und Fall des Geri Müller
19 Bilder
Die Abwahl - Quittung für eine Affäre Wahlsonntag, 24. September 2017: Geri Müller betritt den Tagsatzungssaal. Eben erst hat er von seiner Abwahl als Stadtrat und somit Stadtammann erfahren. Nach der Selfie-Affäre von 2014 konnte Müller das Vertrauen der Wahlberechtigten offenbar nicht wieder herstellen. Zwar liegt die Angelegenheit Jahre zurück, doch ist sie den Badenern noch immer präsent. Zu präsent, wie die Abwahl zeigte.
Geri Müller wurde 1960 in Brugg geboren Gerhard Hermann Müller Behrens - wie Geri Müller mit vollem Namen heisst - wird am 27. Oktober 1960 in Brugg geboren. Er ist der Sohn einer deutschen Einwandererfamilie. Der Vater ist Schreiner, die Mutter Hausfrau. Müller geht in Turgi und Baden in die Bezirksschule, besucht dann die Kantonsschule in Wettingen. Er wurde Psychiatriepfleger und studierte an der Uni Bern Psychologie. Er ist Vater von drei Kindern, lebt von seiner Frau getrennt und wohnt in Baden.
Im Kampf gegen «Kaiseraugst» politisiert Mit 15 Jahren kämpft Müller gegen das Atomkraftwerk Kaiseraugst. Das Engagement politisiert ihn. Er tritt später den Grünen bei und Energiepolitik wird eines seiner wichtigsten politischen Themen. Müller steht für seine Ideale ein: Als Wehrdienstverweigerer sitzt er ein halbes Jahr im Gefängnis.
Der Einwohnerrat von Baden Von 1991 bis 1993 ist Geri Müller Einwohnerrat in Baden. Seine Partei: die Grünen.
Der Grossrat, der für den Uno-Beitritt kämpft 2002 tritt Geri Müller anlässlich eines Podiums gegen SVP-Übervater Christoph Blocher an. Das Thema: der Uno-Beitritt der Schweiz. Müller setzte sich für einen Beitritt ein. Geri Müller sass von 1995 bis 2003 im Grossen Rat des Kantons Aargau. Er war in den Kommissionen „Fachhochschulen“, „Gesundheit“, «Aufgabenteilung Kanton-Gemeinden», «Aufgaben- und Leistungsüberprüfung der Verwaltung» und «Erziehung, Bildung und Kultur» tätig. 1999 ist er Fraktionspräsident der Grünen.
2006 wird Müller Stadtrat und Vize-Ammann 2001 kandidiert Müller bereits für den Stadtrat von Baden. Gewählt wird er 2006. Er regiert Baden bis 2017 mit.
Müller wird 2003 Nationalrat 2003 wird Geri Müller Nationalrat. Er ist in der Geschäftsprüfungskommission und der Aussenpolitischen Kommission, die er von 2007 bis 2009 sogar präsidiert. Müller gehört zum linken Flügel der Grünen. Eine Mehrzahl seiner politischen Vorstösse behandeln energiepolitische Fragen. Sien zweites grosses Thema: der Nahostkonflikt. Er ist Mitglied der Gesellschaft Schweiz-Palästina. Sein Engagement für die Palästinenser ist in der Schweiz umstritten.
Einsatz für saubere Energie Von 2003 bis 2015 ist Geri Müller Präsident der Schweizerischen Energiestiftung (SES). Energiepolitik war eines seiner zentralen Themen. Die SES orientiert sich an der 2000-Watt-Gesellschaft.
Müller, Freund der Menschenrechte, Freund der Palästinenser Geri Müllers Engagement für die Palästinenser führt 2008 zu einem Skandal. Als Präsident der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats habe er "neutral" zu sein. Müller sieht es anders und spricht am 31. Dezember während einer Kundgebung in Zürich gegen die israelische Militäraktion in Gaza. Müller wehrt sich gegen den Vorwurf, ein «Hamas»-Freund zu sein. Es gehe ihm um Völker- und Menschenrechte für die Palästinenser.
2010 ist Geri Müller Bundesratskandidat 2010 stellen die Grünen ein Dreierticket für die Bundesratswahlen auf. Es sind: Geri Müller, Brigit Wyss und Marlies Bänziger. Es geht um die Nachfolge der zurückgetretenen Moritz Leuenberger (SP) und Hans-Rudolf Merz (FDP). Die Grünen schaffen den Sprung in die Regierung nicht. Simonetta Sommaruga (SP) und Johann Schneider-Ammann (FDP) werden gewählt.
2012 empfängt Müller einen Hamas-Vertreter Als Müller 2012 im Bundeshaus Vertreter der Hamas empfängt, sorgt dies für einen Aufschrei und Kritik des israelischen Botschafters. Links neben Müller ist Mushir Al-Masri.
Müller am Ziel: Stadtammann 2013 wird Müller zum Stadtammann und Nachfolger für den den in den Regierungsrat gewählten Stephan Attiger (FDP) gewählt. Ein Grüner an der Spitze der bürgerlichen Stadt: Das Establishment ist entsetzt.
Der «neue» Stadtrat, von links: Ruth Müri (team), Reto Schmid (CVP), Daniela Berger (SP), Geri Müller (team), Stadtschreiber Heinz Kubli, Daniela Oehrli (SP), Roger Huber (FDP) und Markus Schneider (CVP); verdeckt Verwaltungsleiter Patrick Schärer.
2014 - das Schicksalsjahr Der damaligen «Schweiz am Sonntag» (gehört wie dieses Newsportal zu den AZ Medien) wird von Dritten gesteckt, dass Müller aus seinem Büro im Stadthaus Nacktfotos an eine Chat-Bekannte geschickt hat. Nachdem die Zeitung dies öffentlich gemacht hat, entbindet der Stadtrat Geri Müller von einem Teil seiner Aufgaben. Er bleibt im Amt, spricht von einer Kampagne. Müller entschuldigt sich öffentlich: Er schäme sich, seine dunkle Seite sei zum Vorschein gekommen. "Ich habe Sachen gemacht, die ich von mir nicht kenne, die ich tief bereue."
2015 erfolgt der Abschied aus Bern 2014 gibt Geri Müller bekannt, dass er im Folgejahr nicht mehr für den Nationalrat kandidieren wird. Er wolle sich ganz auf sein Amt als Stadtammann von Baden konzentrieren. Ist es eine Bündelung der Kräfte oder verhindert er mit diesem Schritt nach der Selfie-Affäre eine Abwahl?
Die Selfie-Affäre - eine Verschwörung? Gab es eine Kampagne gegen Geri Müller? Er wirft dies dem Juristen und Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde Baden, Josef Bollag, und dem PR-Berater Sacha Wigdorovits vor. Man wolle sein Engagement für die Palästinenser boykottieren. Bollag wies dies stets zurück, auch Wigdorovits.
2016 - die Chat-Bekanntschaft in der Selfie-Affäre wird verurteilt Die Chat-Partnerin wurde 2016 zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt, und zwar wegen Beschimpfung, übler Nachrede, versuchter Nötigung, Urkundenfälschung und des unbefugten Aufnehmens von Gesprächen. Die "Schweiz am Sonntag" wurde vom Presserat für die Publikation der Affäre gerügt.
Müller mit Partnerin 2017 Geri Müller und seine Partnerin Annina Sonnenwald im April 2017. Müller versucht die Wiederwahl als Stadtammann. Am 24. September 2017 scheitert er. Ist dies das Ende einer 40-jährigen Politkarriere?

Der Aufstieg und Fall des Geri Müller

Alex Spichale

Geri Müller ist als Stadtammann von Baden abgewählt. Er wird sein Amt Ende Jahr verlassen. Damit ist das Rennen neu lanciert. Der Grund für seine Abwahl ist naheliegend: die Selfie-Affäre von 2014 – lange vorbei und doch noch präsent bei den Wählern. Während sich alle Politbeobachter einig sind, will Müller das nicht so bestätigen.

Wir haben Geri Müllers politischen Aufstieg vom Atomkraftgegner über den Badener Ammann bis zum Bundesratskandidaten in Bildern (oben) nacherzählt – auch den Absturz nach der Selfie-Affäre.