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Das Aargauer und das Zürcher Limmattal wachsen zusammen. Nun soll auch eine gemeinsame Identität entstehen – ein schwieriges Unterfangen.
In einem Punkt sind sich alle Gesprächspartner einig: Das Limmattal boomt. Die Bevölkerung wächst, die Zahl der Arbeitsplätze nimmt zu, und es wird gebaut. Die Dörfer und Städte weiten sich aus und wachsen zusammen. Vielleicht gar zu einer Limmatstadt, zu einem gemeinsamen Lebens- und Wirtschaftsraum, wie viele überzeugt sind. Doch haben die Menschen im Limmattal – das sowohl auf Aargauer als auch auf Zürcher Boden liegt – auch die dafür notwendige gemeinsame Identität?
Zuerst muss geklärt werden, wo das Limmattal anfängt und wo es aufhört. «Eine schwierige Frage, die mir immer wieder gestellt wird, und auf die jeder und jede eine eigene Antwort gibt», sagt Jasmina Ritz, Geschäftsführerin der Limmatstadt AG, die kantonsübergreifend Standortförderung betreibt. Und – wie es der Name sagt – davon überzeugt ist, dass eine Stadt im Begriffe ist, zu entstehen. «Das Limmattal ist keine politische Einheit, vielmehr ein geografische Bezeichnung. Es erstreckt sich entlang der 36 Kilometer langen Limmat zwischen dem Bellevue und dem Wasserschloss.» Grob handle es sich um das Gebiet zwischen Zürich bis und mit Turgi, «einen nahezu durchgängigen Siedlungsraum».
Doch wie ist das Verhältnis der Aargauer und Zürcher Limmattaler? «Es ist eine Tatsache: Die Kantonsgrenze trennt.» Wichtig sei deshalb das Bewusstsein für die Gesamtregion. «Je mehr es in den kommenden Jahren gelingt, den vorhandenen Lebensraum gemeinsam zu gestalten, desto eher wird eine gemeinsame Identität entstehen», sagt Ritz.
Verbindend wirke, dass alle Gemeinden über unglaubliches Potenzial verfügen. «Zürich kann kaum mehr wachsen, ausser nach Norden, Baden auch nicht mehr gross, ausser nach Süden. Die Folge davon ist, dass beide Regionen aufeinander zugehen.» Die Limmattalbahn, die gebaut wird, bilde das Rückgrat dieser Stadtentwicklung.
Über 200'000 Menschen leben im Aargauer und Zürcher Limmattal, 20 bis 30 Prozent mehr werden es voraussichtlich 2040 sein, 80'000 Arbeitsplätze gibt es. Die grössten Gemeinden neben Baden und Zürich sind Schlieren, Urdorf, Dietikon, Spreitenbach und Wettingen. In den 80er- und 90er-Jahren seien erhebliche Teile der klassischen Industrien im Limmattal verschwunden. «So entstanden Brachen. Es gab Gemeinden, die eher als Unorte denn als Vororte galten», sagt Ritz. Um die Jahrtausendwende setzte die Aufbruchstimmung ein.
Die aktuelle Dynamik biete viele Chancen: Neue Quartiere entstehen, insbesondere entlang der Limmattalbahn-Linie. «Jüngste Beispiele sind das Multiplexkino Pathé oder der grösste Coworking Space der Schweiz, beide an künftigen Limmattalbahn-Haltestellen. Ein Beweis dafür, wie viel Potenzial die Wirtschaft in unserer Region sieht. Das Limmattal zählt zu den pulsierendsten Gegenden der Schweiz», sagt Ritz. Thomas Pfann, Musiker, Journalist und Autor (Triumphale Tage in Dietikon), ist überzeugt: «In gesellschaftlicher Hinsicht sind sich die Gemeinden, sind wir Limmattalerinnen und Limmattaler uns ähnlich. Was uns ausmacht und prägt, ist der Kultur- und Nationenmix.»
Der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund ist hoch, auf beiden Seiten, auf Zürcher und auf Aargauer Boden. Der Umgang damit beschäftige die Institutionen stark. «Ich wage aber zu behaupten, dass wir die Herausforderungen hervorragend meistern. Das Zusammenleben zwischen Schweizern, Ausländern, Secondos, von Jung und Alt funktioniert ausgezeichnet. Dieser Mix ist ein wichtiger Teil der Limmattaler Identität.»
Einen Graben hingegen ortet er bei der Kantonsgrenze: Thomas Pfann spricht von einem Limmattaler Röstigraben. «Er existiert, ohne Zweifel. Die Zürcher Limmattaler wollten urban sein. Dietikon ist mit über 27'000 Einwohnern grösser als jede Aargauer Stadt. Aber wir bezeichnen es selber oft als Dorf. Die Stadt, das ist Zürich.» Nach der Kantonsgrenze folge aus Sicht der Zürcher Limmattaler erst einmal ein Graben, bestehend aus ländlichen Gemeinden. «Erst Baden ist wieder richtig städtisch, Baden gilt als cool, auch weil kulturell sehr viel los ist.»
Was ist mit Wettingen – der Gemeinde, die sich weniger nach Baden orientiert, sondern eher ein «Stern im Limmattal» sein will? Thomas Pfann antwortet: «Wettingen wird im Zürcher Limmattal wohl nie denselben Status erreichen wie Baden.» Die Leuchttürme im Limmattal seien nun mal Baden und Zürich.
Vielleicht zeigt die kleine Aargauer Gemeinde Bergdietikon, wie eine gemeinsame Limmatstadt über die Kantonsgrenze hinweg funktionieren, wie der Limmattaler Röstigraben überwunden werden könnte: mit Pragmatismus. Die Oberstufenschüler gehen nach Spreitenbach, infrastrukturell lehnt sich Bergdietikon aber stark an Dietikon an. Und die Feuerwehr beispielsweise würde im Notfall von Dietikon unterstützt.
Eine besondere Rolle nimmt Bergdietikon auch wegen Napoleon ein. Er teilte das Limmattal bei der Gründung des Aargaus 1803 auf: Dietikon kam zu Zürich, Bergdietkon musste sich mit dem Aargau begnügen. Und dies, obwohl der Ort darum gebeten hatte, dem Kanton Zürich angeschlossen zu werden. «Unsere Situation ist bis heute speziell», sagt Gemeindeammann Ralf Dörig (FDP). «Wenn wir ins Aargauer Limmattal gehen wollen, beispielsweise nach Spreitenbach, müssen wir Dietikon durchqueren, also Zürcher Boden betreten, und somit die Kantonsgrenze übertreten.»
«Wir sind zufrieden mit dem Status quo, fühlen uns gut betreut vom Kanton Aargau», sagt Gemeindeammann Dörig. «Gleichzeitig fühlen wir uns dem Kanton Zürich sehr nah.» Vor allem wirtschaftlich sei Zürich von Bedeutung. «Auch die S-Bahn-Station, von der aus wir nach Zürich fahren, befindet sich in Dietikon.»
Falls es zu einer Abstimmung zur Frage der Kantonszugehörigkeit käme, würde sich das Stimmvolk von Bergdietikon für den Aargau entscheiden, glaubt Ralf Dörig. «Auch wenn, vom Gefühl her, der Kanton Zürich vielleicht näher ist.»