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Unwissenheit schützt vor Strafe nicht, besagt ein Sprichwort. Dieses kommt auch vor dem Bezirksgericht Baden zur Anwendung. Das Gericht spricht eine 52-jährige Serbin des Sozialversicherungsbetrugs schuldig, lässt aber Gnade vor Recht ergehen.
13'674.20 Franken zu viel hatte Ilka (Name geändert) von der Arbeitslosenkasse bezogen. Angeklagt des «unrechtmässigen Bezugs von Leistungen einer Sozialversicherung» sollte sie mit einer bedingten Geldstrafe von 7200 Franken, 1000 Franken Busse und fünf Jahren Landesverweisung bestraft werden.
Ilka ist 52-jährig, Serbin und lebt seit 31 Jahren in der Schweiz, wo sie stets arbeitete. Zwischen Oktober 2016 und Januar 2019 war Ilka während insgesamt 19 Monaten arbeitslos. Auf den Formularen der Arbeitslosenkasse, die sie jeden Monat ausfüllen musste, hatte sie bei der Frage, ob sie «bei einem oder mehreren Arbeitgebern gearbeitet» habe, teilweise korrekt Zwischenverdienste bei verschiedenen Firmen angegeben, teilweise auch «Nein» angekreuzt: Nicht gemeldet hatte sie ihre Tätigkeit bei Frau M. in der fraglichen Zeit. Ilka hatte damals bereits seit sieben Jahren bei der alten, sehbehinderten Dame geputzt, war jede Woche mehrfach bei der alleinstehenden Greisin und im Verlaufe der Zeit zu deren vertrauten Gesprächspartnerin geworden. Der in einem anderen Kanton lebende Sohn von Frau M. händigte Ilka jeweils den Lohn bar aus. Diesen Verdienst aus den Jahren 2016, 2017 und 2018 – rund 40'000 Franken – hatte Ilka gegenüber der Arbeitslosenkasse verschwiegen. Als es ausgekommen war, hatte sie dies unumwunden zugegeben.
Auch vor Gericht war Ilka geständig und reuig. Sie habe nicht gewusst, dass Arbeiten bei Privatleuten auch angegeben werden müssen. «Beim regionalen Arbeitsvermittlungszentrum haben mir andere Frauen gesagt, das sei nicht nötig, sie würden es auch nicht tun.» Die 13'674.20 Franken sind der Arbeitslosenkasse inzwischen auf Heller und Pfennig zurückbezahlt. Der amtliche Verteidiger betonte, dass seine Mandantin keinerlei kriminelle Energie entwickelt habe, sondern sich einfach nicht bewusst gewesen sei, dass auch Arbeiten in privaten Bereichen meldepflichtig sind. «Unwissen und Naivität schliessen ein Verschulden allerdings nicht aus», resümierte der Anwalt in seinem Plädoyer und beantragte eine mildere Geldstrafe von 2400 Franken bedingt und lediglich 300 Franken Busse.
Ganz klar aber stand die Frage nach einer Landesverweisung im Mittelpunkt. Seit vier Jahren ist eine solche von Gesetzes wegen in Verbindung mit Sozialversicherungsbetrug zwingend auszusprechen – ausser es handelt sich um einen Härtefall. Die Beurteilung, ob ein solcher vorliegt, obliegt dem Richter; die Beschuldigten haben Anrecht auf amtliche Verteidigung. «Bei einer Landesverweisung geht es darum, einer Gefährdung der inneren Sicherheit unseres Landes vorzubeugen. Von solchem ist meine Mandantin weit entfernt, weshalb von einer Landesverweisung abzusehen ist», bekräftigte Ilkas Anwalt.
1986, knapp 18-jährig, waren Ilka und ihr Mann Eltern eines Sohnes geworden. Der Mann war wenig später zum Arbeiten in die Schweiz gekommen. 1989 waren ihm Ilka und Sohn hierher gefolgt, im selben Jahr wurde eine Tochter geboren. Ilkas Eltern sind gestorben, die Schwiegereltern leben noch in Serbien. «Wir gehen sie jeweils in den Ferien besuchen», erklärte Ilka. Ihr gesamter Lebensmittelpunkt sei die Familie hier in der Schweiz. Das Oberhaupt ist ein tüchtiger Arbeiter, der ledige Sohn Handwerker. Die berufstätige Tochter – verheiratet und Mutter – ist vom Schicksal hart getroffen: Sie hatte Krebs, wurde operiert, erlitt einen Rückfall. Der 18 Monate alte Sohn liegt mit einem schweren, genbedingten Nierenleiden im Kinderspital, nächsten Monat kommt ein Geschwister zur Welt.
Unter Tränen schildert Ilka, wie sehr sie von ihren Kindern und Enkeln gebraucht werde. Gerichtspräsidentin Gabriella Fehr erkannte auf einen Härtefall und sah von einer Landesverweisung ab. Mit der bedingten Geldstrafe von 7200 Franken und 1000 Franken Busse den Anträgen der Staatsanwältin. Dazu kommen Anklagegebühr und Verhandlungskosten.