Wettingen
Helvetia heisst auch «Strubeli»

Zum 100. Geburtstag des Philatelistenvereins Baden-Wettingen gabs eine Philexpo.

Fabienne Tanoa
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Kenner unter sich: Im Tägerhardsaal gibt es reichlich Gelegenheit, um zu stöbern und sich auszutauschen.

Kenner unter sich: Im Tägerhardsaal gibt es reichlich Gelegenheit, um zu stöbern und sich auszutauschen.

Fabienne Tanoa

Mit flinken Fingern blättert der ältere Herr durch die Mäppchen und beugt sich über die Schachtel. Ein Sekundenbruchteil genügt seinem geschulten Auge, um zu entscheiden, ob die Briefmarke auf dem Umschlag interessant ist. Ab und zu zieht er ein Mäppchen heraus, senkt den Kopf um über den Brillenrand zu sehen und studiert das Exemplar, bevor er es zurücklegt oder mit Kopfnicken dem Händler zu verstehen gibt, dass er fündig geworden ist.

Für ein Wochenende ist Wettingen das Mekka für Briefmarkensammler – oder Philatelisten, wie es in der Fachsprache heisst. Im Tägerhard konnten die Besucher der Philexpo aufwendige Briefmarkensammlungen bestaunen, und Händler boten ihre Ware feil. Zeitgleich fand die Versteigerung einer heiss begehrten «Basler Taube» statt.

Sibille Gautschi (28), Untersiggenthal Mein Chef hat mich mit seiner Faszination für die Philatelie angesteckt. Für ihn arbeite ich zurzeit an der Entwicklung eines Briefmarken-Online-Shops. Spannend finde ich vor allem die älteren Briefmarken und deren Geschichte.
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Nancy Probst (55), Basel Mein Mann ist Briefmarkenhändler und so bin ich dazu gekommen. Am Anfang war alles Neuland für mich. Heute reisen wir zusammen an Messen und Börsen in der Schweiz und der Welt. Mich beeindruckt die enorme Vielfalt der Briefmarken.
Roland Kuster (57), Gemeindeammann Wettingen Seit ich 7 Jahre alt bin, sammle ich Briefmarken und führe diese Sammlung auch heute noch. Briefmarken sind für mich Kultur- und Kunstobjekte und darum hat auch jeder Brief, den ich verschicke, eine Briefmarke drauf.
Roger Günther (67), Engelberg Die Philatelie ist bei mir Hobby und Beruf seit 1972. Es ist eine schöne Szene, wo man sich kennt und einander unterstützt. Mein Traum wäre es, einmal eine Basler-Taube-Mischfrankatur zu besitzen. Das kostet aber fast so viel wie ein Haus.
Lorenz Stecher (72), Boppelsen Ich habe bereits in der Schulzeit begonnen, Briefmarken zu sammeln. Besonders stolz bin ich auf eine Stempelsammlung aus dem Engadin. An die Philexpo komme ich, um zu stöbern und den einen oder anderen Bekannten zu treffen.

Sibille Gautschi (28), Untersiggenthal Mein Chef hat mich mit seiner Faszination für die Philatelie angesteckt. Für ihn arbeite ich zurzeit an der Entwicklung eines Briefmarken-Online-Shops. Spannend finde ich vor allem die älteren Briefmarken und deren Geschichte.

Fabienne Tanoa

Szene mit Zusammenhalt

Während sich die einen in die Angebote der Händler vertiefen, sind andere in Gespräche vertieft. Es werden Hände geschüttelt und Neuigkeiten ausgetauscht. Man kennt sich in der Szene. In einer Zeit, wo es an Nachwuchs fehlt und die Briefmarken immer seltener im Einsatz sind, halten die Philatelisten zusammen. «Jeder hat sein Spezialgebiet», erklärt Händler Roger Günther. Darum konkurrenziere man sich meist nicht direkt. Günther konzentriert sich auf Briefmarken aus dem 2. Weltkrieg. Anders Roland Herzog: Seine Spezialität ist nicht die Briefmarke, sondern ein Stempel: der OAT-Stempel (Onward Air Transmission). Diesen gab es in England am Flughafen, wenn die Post direkt weitergeflogen wurde. Weil jeweils nur der oberste Umschlag jedes Briefbündels gestempelt wurde, sind sie heute umso seltener und beliebter.

Hinter alten Briefmarken stecken oft spannende Geschichten: So wurden früher Umschläge um die ganze Welt geflogen und manchmal sogar vom Piloten unterschrieben, was sie zu wertvollen Sammlerstücken macht. Briefmarken erzählen aber auch die Geschichte ihres Herkunftslandes oder derjenigen, die eine Postkarte oder einen Liebesbrief verschickt haben. Es gibt auch Geschichten über die Briefmarken selbst. Zum Beispiel die sitzende Helvetia, deren Lorbeerkranz auf dem Kopf wie ein Wirrwarr aussah und ihr den Übernamen «Strubeli» eintrug. Heute ist das «Strubeli» sehr begehrt unter den Sammlern. Genauso die Basler Taube, welche die Basler Stadtpost im Juli 1845 herausgegeben hat. Eine «Dybli» wurde während der Philexpo auf Ricardo live versteigert. 7779 Franken betrug das höchste Gebot für den Rolls Royce unter den Briefmarken. Vor 170 Jahren kostete die Basler Taube übrigens gerade mal zweieinhalb Rappen.

Die Briefmarke wird wieder an Wert zulegen

Martin Tschan ist leidenschaftlicher Sammler aus Turgi und Präsident des Philatelistenvereins Baden-Wettingen.

Herr Tschan, zufrieden mit dem Besuch der Ausstellung?
Martin Tschan: Wir sind sehr zufrieden. Das Interesse und das Publikum waren gross. Wir hatten immer wieder regen Betrieb dank vielen Sammlern und guten Ausstellern.

Ihr Verein ist 100 Jahre alt. Glauben Sie, er wird nochmals so alt?
Daran zweifle ich nicht. Sammeln wird eine Leidenschaft des Menschen bleiben, ebenso werden die Briefmarken ihre Faszination nicht verlieren. Ich bin überzeugt, dass die Philatelie auch noch in 100 Jahren Interesse finden wird.

Das Philexpo-Publikum rekrutierte sich eher aus Philatelisten älteren Jahrgangs.
Viele haben in ihrer Kindheit Briefmarken gesammelt, und nehmen sie ums Pensionsalter wieder hervor. Es ist eben ein Hobby für Menschen und Tage, in denen man es geruhsamer nimmt, darum sind viele Sammler über 40 Jahre alt.

Haben Sie keine Nachwuchssorgen?
Nein. Es gab schon immer viele junge Briefmarkensammler. Ich bin überzeugt, dass das bleiben wird. Es ist aber tatsächlich so, dass es zwischen 25 und 35 Jahren weniger Sammler oder Interessierte gibt.

Stellen Sie auch fest, dass die Briefmarke heute mit vermehrter elektronischer Kommunikation an Bedeutung verloren hat?
Ich sehe diesen Wandel etwas anders: Die Briefmarke hat heute nach wie vor viele Freunde. Immer wieder erlebe ich, wie sich Leute darüber freuen, wenn sie Post mit einer Briefmarke erhalten. Vor allem, wenn sie eine Briefmarke schon länger nicht mehr gesehen haben. Vielleicht geht es Ihnen auch so.

Wie steht es denn heute um den Wert einer Briefmarke?
Von etwa 1960 bis ins Jahr 2000 sind Briefmarken in sehr grosser Zahl erschienen. Entsprechend sind sie im Vergleich zu Exemplaren aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg praktisch wertlos. Doch die Schweizer Post lässt auch heute noch immer wieder sehr schöne Briefmarken drucken, wenn auch in kleinerer Anzahl. Damit steigt aber ihr Wert für einen Sammler wieder an, wenn er einen vollständigen Satz hat.