Baden
Hier bewegen sich Tänzer wie ratternde Nähnadeln

Aufrüttelndes im Kurtheater: Helena Waldmanns „Made in Bangladesh“ ist ein brisantes Tanzstück über die Textilindustrie. Ihre Botschaft ist klar: Boykottiert Bangladesh nicht, aber tragt dazu bei, die Arbeitsumstände der Näher zu verändern.

Elisabeth Feller
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Shoma Sharmin, Shareen Ferdous und Trina Mehnaz während einer Probe des Tanztheaters «Made in Bangladesh».

Shoma Sharmin, Shareen Ferdous und Trina Mehnaz während einer Probe des Tanztheaters «Made in Bangladesh».

Wonge Bergmann

Niemand im Zuschauerraum kann diesen Videos ausweichen. Sie zeigen Näher in einer Textilfabrik in Bangladesh. Eine dieser Fabriken erlangte 2013 traurige Berühmtheit: Ihr Einsturz hatte unzählige Tote und Verletzte zur Folge.

Damals war die deutsche Choreografin Helena Waldmann bereits intensiv daran, ein Stück auf die Beine zu stellen, das die ausbeuterischen Zustände in den Textilfabriken thematisiert. „Made in Bangladesh“ heisst die von ihr und ihrem Co-Choreografen Vikram Iyengar erarbeitete Produktion mit 12 einheimischen Tänzerinnen und Tänzern. Damit klingt im Titel an, was in spottbilligen Kleidern als Etikett eingenäht ist.

Der flammende Zorn über die unhaltbaren Zustände in den fernen Fabriken mag noch so gross sein – auf der Bühne muss er unter die Haut gehen. Dass er das tut, verdankt sich Waldmanns Zugriff auf den bengalischen Tanz Kathak, der durch seine rasante, perkussive Fussarbeit an die ratternden Nähnadeln erinnert. Gesteigert wird das Aufklatschen nackter Füsse von dem wie ein Staccato-Gewitter gesprochenem Tike-Tike-Tak-Tak des Ensembles und von Hans Narvas metallisch-grollendem Sound. Unbequem: Zu Beginn sausen riesige Nähnadeln auf den Videos rauf und runter – und wie die Nadeln bewegen sich auch die Tänzer in der Vertikale.

Der repetitive Charakter äussert sich in weiteren Bewegungen, aber: „We are happy.“ Eine der Tänzerinnen hat zum Mikrofon gegriffen. Dann: ein Knall. Videos von der eingestürzten Fabrik; Sirenengeheul, Stimmengewirr, Schreie. Jedoch aller Leiden zum Trotz: „Bitte boykottiert uns nicht“ – so zu lesen auf der Videoleinwand.

Waldmanns Aufforderung an den Westen ist unmissverständlich: Boykottiert Bangladesh nicht, aber tragt dazu bei, die Arbeitsumstände der Näher zu verändern. Ebenso wie jene der Tänzer, die in Bangladesh wie im Westen ausgebeutet werden. Waldmanns Brückenschlag ist diesbezüglich raffiniert. Jäh wechselt der Schauplatz auf der Bühne von der Textilfabrik in den Tanzsaal – und damit zu beinharter Konkurrenz und Drill. Was bleibt: Eine Aufführung, deren ästhetischer Furor im Dienste einer aufrüttelnden Botschaft steht.