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Das «Badener Tagblatt» blickt in einer dreiteiligen Serie auf die Geschichte des Wettinger Einwohnerrats zurück. Im zweiten Teil lesen Sie das grosse Interview mit dem ersten Ratspräsidenten, Max Knecht (CVP), und warum der heute 87-Jährige noch auf der Tribüne sitzt, aber nie Gemeindeammann wurde.
Als das «Badener Tagblatt» den allerersten Einwohnerratspräsidenten Max Knecht in seinem Zuhause in der Etzelmatt in Wettingen besucht, steht der 87-Jährige schon neugierig am Fenster und hält Ausschau. Ein kurzes Winken vorab. Wenige Minuten später und mit Kaffee und Mineral versorgt, beginnt das Gespräch.
Max Knecht: (Lacht) Beides natürlich. Zwei- bis dreimal im Jahr besuche ich die Sitzung, wenn mich ein Geschäft besonders interessiert. Und das war beim «Tägi» der Fall.
Genau. Das Projekt Tägerhard wurde bereits im ersten Jahr des Einwohnerrats ins Leben gerufen. 1974 war ich dann natürlich auch an der Eröffnung dabei. Und so habe ich einige gute Erinnerungen ans «Tägi».
Wir haben frühzeitig ein Reglement erstellt über die Kompetenzen des Einwohnerrats und des Gemeinderats. Ich musste zu Beginn mit dem Gemeinderat noch etwas kämpfen, was jetzt vor den Einwohnerrat kommt und was der Gemeinderat selber bestimmen kann.
Bis zu welchem Betrag der Gemeinderat die Kompetenz für Finanzentscheide hat.
Nein, ich hielt eine kurze Eröffnungsansprache. Die Sitzung dauerte auch nicht so lange. Die «Schnörris» von der Gemeindeversammlung waren halt nicht mehr dabei (lacht). Und die Gemeinderäte wollten bei den ersten beiden Sitzungen meine Traktandenliste noch frisieren. Ich musste ihnen beibringen, dass ich jetzt Präsident des Einwohnerrats bin und sie mir nicht die Traktandenliste aufstellen, sondern lediglich sagen können, was wir behandeln müssen. So gab es einige Dinge, an die sich der Gemeinderat zuerst gewöhnen musste.
Ja, in dem Sinne bedeutet dies einen Machtverlust und ich vermute, dass deshalb kaum mehr Einwohnerräte gegründet werden.
In den grösseren Gemeinden sollte dies doch möglich sein. Ein Einwohnerrat garantiert Kontinuität in der politischen Diskussion einer Gemeinde. Im Gegensatz zu einer Gemeindeversammlung, an der nicht selten punktuelle Interessen vertreten werden.
Genau, dann kommt der ganze Verein samt Sympathisanten und stimmt für die Sanierung. Bei allen anderen Gemeindeversammlungen bleiben sie wieder zu Hause. Wenn an einer Versammlung von 2000 bis 3000 Stimmberechtigten 100 interessengebundene Bürger teilnehmen, dann ist das keine adäquate Volksvertretung, sondern eine Interessenvertretung – in dem Fall für ein schönes Schützenhaus.
Ja, aber das braucht eine enorme Anstrengung und wird kaum genutzt oder kommt nicht zustande.
Es gab eine Jungmannschaft, einen Turnverein, den Männerchor. In diesen Vereinen hat man natürlich über die Politik gesprochen und daraus ergab sich eine Annäherung an die CVP. Auch in Stans, wo ich im Internat war und das Gymi machte, wurde politisiert, und so kam ich später zu den Jungkonservativen Aargau.
Ich wollte meine eigene Anwaltskanzlei, und als Alfons Sinniger 1958 in Wettingen zum Gemeindeammann gewählt wurde, konnte ich sein Büro übernehmen. Aus meiner Studienzeit kannte ich bereits einige Wettinger und konnte schnell Fuss fassen.
Das war eine Sensation. 50 Prozent der Männer zwischen 20 und 60 Jahren mussten anwesend sein, damit die Versammlung überhaupt zustande kam – auch mithilfe der Polizeisammelaktionen. Dabei zog die Polizei jeweils von Beiz zu Beiz und schickte die Stimmbürger zur Gemeindeversammlung.
Nicht immer. Wenn nur noch ganz wenige fehlten, hat man ein Auge zugedrückt und die Stimmzettel derjenigen mitgezählt, die sich entschuldigt hatten. Aber es gab auch solche, die bereits um 20 Uhr kamen und den ganzen Abend jassten. Das war nur möglich, weil in der Turnhalle des Bezirksschulhauses zu wenig Platz war und man in der Werkstatt im Keller eine Ton- und Videoübertragung gemacht hat, dort konnte man natürlich dann ungestört jassen. Wir haben auch immer aufgepasst, dass die Versammlung bis 22.30 Uhr dauert.
Weil es dann eine Freinacht gab und wir bis zwei oder drei Uhr morgens in der Beiz hockten.
Nein, die Sitzung fing ja bereits um 19 Uhr an, und wenn wir um 21 Uhr fertig waren, brauchte es keine Freinacht.
Ich war Parteipräsident der CVP Wettingen und war in der Parteiliste ziemlich unbestritten. Alles, was Rang und Namen hatte, kandidierte. Damals wurde das Gewerbe sehr bewusst vertreten im Einwohnerrat.
Die kam daher, dass Wettingen grössten Teils katholisch war. Es gab die grossen, einflussreichen Familienclans, die sehr stark zusammengehalten und die Politik angeführt haben. Quasi unter dem Dach der Kirche fanden politische Diskussionen statt.
Gesellschaftlich vertritt die CVP die Mitte und die Grundsätze von Familie und Gewerbe. Sie ist auch für die Arbeitnehmer, die Büezer, attraktiv geworden, weil SP und SVP die Extreme vertreten und die FDP eher die hohen Geschäftsleute mobilisiert. Das hat in Wettingen nie Anklang bei einer Mehrheit gefunden.
Es gab für mich nicht den einen Höhepunkt, sondern die Tatsache, dass ich die Ratssitzungen erfolgreich führen konnte, das war für mich ein Highlight, und dass ich die Geschäfte erfolgreich durchbrachte.
Vor Ratssitzungen habe ich jeweils mit den Fraktionspräsidenten gesprochen, um herauszuspüren, ob ein Antrag angenommen wird oder ob man ihn besser nochmals überarbeiten sollte. Während der Sitzung kann man die Diskussion aber nicht mehr beeinflussen.
(Lacht) nein, wir waren in der Fraktion fünf Kandidaten. Aber selbst wenn: Ich bin ja dann aus dem Einwohnerrat ausgetreten, weil das Amt als Grossratspräsident sehr viele Termine und Aufwand mit sich brachte.
Ich hatte nie dieses Verlangen, weil ich ja noch mein Anwaltsbüro hatte, und als sich die Chance in Wettingen bot, weil Alfons Sinniger abgewählt wurde, war ich noch zu jung.
Das war die berühmte Stuhl-Geschichte. Eine Zürcher Firma lieferte einen Musterstuhl für das Rathaus, bekam aber den Auftrag nicht. Ein Mitglied der Finanzkommission wurde auf die Stuhl-Rechnung aufmerksam und dass im Rathaus der Stuhl fehlte. Als wir dann eines Abends im Zwyssighof sassen, sahen wir abends um 23 Uhr Sinnigers Auto beim Rathaus vorfahren. Er hatte den Stuhl bei sich zu Hause gehabt. Das gab einen Riesenklamauk und eine Strafanzeige, die dann wieder zurückgezogen wurde.
(Überlegt lange). Das kann ich nicht mehr sagen.
Vielleicht hatte ich eine abschreckende Wirkung auf sie (lacht). Ich war selten zu Hause, aber wenn ich da war, verbrachte ich eine intensive Zeit mit den Buben.
1975 war ich Kandidat auf der Nationalratsliste der CVP und habe mit einem Taschenrechner die ersten Wahlanalysen und Prognosen erstellt. 1981 habe ich als erster Anwalt im Aargau einen Commodore-Computer gekauft. Seither mache ich alle zwei Jahre Wahlprognosen.
Sie sollten sich mit der Geschichte der Gemeinde befassen. Wettingen war einst eine zerrissene Gemeinde zwischen den Quartieren Kloster, Dorf und Altenburg. Es gab sogar einen Vorschlag zu Beginn des Einwohnerrats, man solle Kandidatenlisten nach Quartiervereinen machen. Unterdessen ist Wettingen zusammengewachsen. Die Parteien müssen die Gemeinde so fördern, dass alle Quartiere profitieren und sich bemühen, die Eigenständigkeit Wettingens zu wahren.
Nein, das ist nichts. Es gibt regional sehr viele Zusammenarbeiten, beispielsweise bei der Polizei. Aber Gemeinden aufheben und zusammenschliessen, das geht nicht, weil sie zu verschieden sind. Baden wird als Stadt ganz anders geführt, als wir das in Wettingen handhaben. Auch Neuenhof betrachtet sich als eigenständig. Da wäre immerhin eine Fusion denkbar, aber sie drängt sich nicht auf.