Am Karneval der Lüste herrscht Kostümzwang – Pietät und Political Correctness sind weit weg. So auch im Badener Eventlokal, wo der Familienvater zur Dragqueen wird.
Ein Mann in Arztmontur und ein Polizist standen mit einer leicht bekleideten Frau in einer schwarzen Corsage und schwindelerregenden Highheels beim «Royal» zusammen. Die Netzstrümpfe der Dame waren zerrissen. Aber was hatte der Typ im Grosswildjäger-Kostüm dort zu suchen? Es war Teka, künstlerischer Leiter des Cabarets Bizarre, der im Verlauf des Abends noch als Löwenbändiger zum Zug kommen sollte. Er nennt den Anlass, der in ganz Europa stattfindet und eine riesen Fangemeinde hat, auch «Karneval der Lüste».
Noch einmal wurden im Badener Eventlokal erotische Fantasien angeregt, dem Spiel mit den Geschlechtern gefrönt, Grenzen gesprengt und ganz einfach das Leben mit all seinen Facetten zelebriert. Stets inklusive: eine grosse Prise Humor und Selbstironie. Das Festmotto, das jeweils einer Tarotkarte entstammt, lautete «Stärke». Wie immer herrschte Kostümzwang. Und die Besucherinnen und Besucher liessen sich nicht lumpen. Sehr gewagte Kreationen in Lack und Leder und exzentrische Make-ups gab es zu sehen. Nicht nur Frauen trugen Mieder und Strapse, sondern auch Männer.
In der engen Garderobe legte Dragqueen Sheila Wolf ihre zweite Lage Wimpern auf. Die Liebe zur Travestie entdeckte die Berlinerin vor zehn Jahren. Wenn sie nicht wie im «Royal» mit blonder Wallemähne und in hautenger schwarzer Spitze auf der Bühne steht, wird sie zum «er», ist ganz normaler Familienvater und leitet eine Werbeagentur. In Baden zeigte Sheila die verschiedenen Looks, die Mona Lisa ausser auf dem legendären Louvre-Gemälde auch noch haben könnte. Je nachdem, ob Britney Spears oder Metallica sie besingen. Master of Ceremony war Ferkel Johnson, ebenfalls Berliner. Der gelernte Clown, der schon durch Mexiko, Kurdistan und Korea tourte, wurde von seiner Mutter zu seinem Vornamen Ferkel inspiriert. «Sie findet die Variété-Nummern, die ich mache, teilweise schweinisch», erzählte er vor seinem Auftritt lachend. Als Hohepriester stimmte er das Publikum mit Weihwasser und Orgelklängen auf die Ode an den Nonkonformismus ein, erzählte derbe Witze, zauberte Blumen aus seinem Hut und Damenstrümpfe aus dem Gilet und sang melancholische Chansons über die Liebe. Die Zürcher Akrobatin Luzia Bonilla windete sich wie eine Schlange um ihren Ring und zeigte ihren Hüftschwung im neckischen Matrosenkleidchen mit einer Riesenmenge an Hula-Hoop-Reifen.
Und auch die Königsdisziplin beim Cabaret Bizarre durfte nicht fehlen: Burlesque. Salvia Badtripes aus Paris, ein Vollprofi auf diesem Gebiet, wusste sich ganz besonders reizvoll zu entblättern. Wobei bei der wiederbelebten Stripteasekunst der Fünfzigerjahre nie alle Hüllen fallen und deshalb vieles der Fantasie der Zuschauer überlassen wurde. Ziemlich auf die Spitze trieb es dann am Schluss Nightmare Funny, die sich auf der Bühne ihres lackledernen Nonnenkostüms entledigte, begleitet von einem weihrauchschwenkenden Mönch. Pietät und Political Correctness waren ganz weit weg; das Cabaret Bizarre ist definitiv nichts für Zartbesaitete, sorgte aber einmal mehr für einen aussergewöhnlich unterhaltsamen Abend mit einem tollen Haufen verrückter und kreativer Menschen.