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In Baden stand eine 48-jährige Lehrerin wegen übler Nachrede vor dem Bezirksgericht, doch das Urteil fiel zu ihren Gunsten aus. An Emotionen mangelte es denn auch an der langen Verhandlung nicht.
Im Frühling letzten Jahres hatte sich der 46-jährige Rico (alle Namen geändert) als Oberstufenlehrer an einer Schule in der Region Baden beworben. Nach dem Vorstellungsgespräch zeigte sich Schulleiter Simon, 37, sehr angetan von ihm. Frohen Mutes wartete Rico deshalb auf einen Arbeitsvertrag. Als ein solcher nach zwei Wochen noch nicht bei ihm eingetroffen war, meldete er sich telefonisch bei Simon. Der war inzwischen keineswegs mehr angetan: Er habe – beschied Simon – inzwischen von Vorkommnissen aus dem Jahre 2006 rund um Rico gehört, die dessen Anstellung verunmöglichen würden.
Die Vergangenheit holte den 46-Jährigen offenbar ein: Einer Lehrerin an Simons Schule kam Ricos Nachname bekannt vor. Sie riet dem Schulleiter, ihre Freundin Katja, 48, anzurufen. Katja ist nach wie vor Oberstufenlehrerin. Ab Herbst 2005 war sie im Mutterschaftsurlaub und Rico als Vikar – als Vertretung für sie – im Einsatz.
Er war sehr beliebt bei den Schülerinnen und Schülern, überwarf sich aber eines Tages mit der Schulleitung. Es sei mit Rico, berichtete Katja des Weiteren im Telefongespräch, zu einer lautstarken Auseinandersetzung im Lehrerzimmer gekommen und Rico habe den Schulleiter «fast körperlich attackiert». Rico sei das Betreten des Lehrerzimmers untersagt worden. Solches habe sie, Katja, aus dem Kollegium erfahren.
Rico, enttäuscht und verletzt ob Simons Begründung für die Absage der «so gut wie zugesagten Anstellung», zeigte Katja wegen übler Nachrede an. Die Staatsanwältin beantragte, Katja sei hierfür mit einer bedingten Geldstrafe von 3000 Franken sowie 600 Franken Busse zu bestrafen. Die Gerichtsverhandlung in Baden fand vor Einzelrichter Patrick Jegge statt.
Von den sechs Leuten, die vor dem Gerichtssaal der Dinge harrten, die auf die zukommen würden, flüsterten zwei schon etwas ältere Männer im Freizeit-Look miteinander sowie die Frau mit einem Mann im Anzug. Zwei weitere Männer waren stumm und würdigten niemanden eines Blickes. Kurzum – es herrschte dicke Luft. Und diese wurde im grossen Gerichtssaal auch nicht dünner.
Rico – kurz rasiertes Haar, Jeans, Lederjacke, nahm als Kläger auf der einen Seite Platz. Katja – das lange dunkle Haar zum Pferdeschwanz gebunden, Jeans und schwarzer Pullover – mit ihrem Anwalt auf der anderen. Richter Jegge stellte zu Beginn fest, das es «bei den Einvernahmen emotional hoch zu- und hergegangen» sei. An Emotionen mangelte es denn auch an der über 3-stündigen Verhandlung nicht.
Da Rico die von Katja kolportierten Vorkommnisse von 2005 vehement in Abrede stellte, hatte Patrick Jegge drei Zeugen aufgeboten, deren Aussagen Rico – gefragt und ungefragt – mitunter lautstark widersprach, weshalb der Richter ihn mehrfach zur Mässigung aufforderte. Als erster bestätigte Simon, dass das Vorstellungsgespräch im März letzten Jahres sehr positiv verlaufen sei, wie er dann aber auf jene Vorkommnisse von 2005 aufmerksam gemacht worden sei und von einer Anstellung Ricos habe absehen müssen.
Als weiterer Zeuge schilderte der Schulleiter der betreffenden Zürcher Oberstufe – der 63-Jährige ist heute noch im Amt – dass das Verhältnis zu Rico zu Beginn sehr gut gewesen sei und die Schüler ihn sehr gemocht hätten. Plötzlich aber sei Rico «bockig» geworden, und schliesslich sei es im Lehrerzimmer zu einer Eskalation gekommen. Rico habe ihn körperlich nicht direkt angegriffen, aber etwas bedrohlich sei die Situation schon gewesen. «Ich musste deswegen bei der Kreisschulpflege vortraben, welche Rico dann das weitere Betreten des Lehrerzimmers verboten hat.»
Vom Verbot, so der heute 68-jährige damalige Präsident der zuständigen Kreisschulpflege als Zeuge, wisse er nichts mehr. «Aber ich erinnere mich, dass eine sehr lautstarke Auseinandersetzung im Lehrerzimmer, die selbst Schüler mitbekommen hatten, ziemlichen Ärger verursachte.» Rico sei ein guter Lehrer, den er gerne auch über das Vikariat hinaus behalten hätte, aber der Zwischenfall und das Verhalten danach hätten solches verunmöglicht.
Katja betonte, dass die Klasse Rico als Lehrer sehr gemocht habe und dass 2005 zwischen ihr und ihm noch alles in bester Ordnung gewesen sei. Rico habe dann aber eine schlechte Entwicklung durchgemacht: «Menschen verändern sich ja.» Sie bestätigte, die Vorwürfe gegen Rico nur «vom Hörensagen – dies aber von mehreren Seiten» gekannt zu haben, «denn ich war ja im Mutterschaftsurlaub».
Nach einem emotionalen Vortrag von Zivilkläger Rico – die in der Region wohnhafte Katja stecke mit Simon und den beiden Zeugen aus Zürich verschwörerisch unter einer Decke – und einem ruhigen Plädoyer von Katjas Anwalt für einen Freispruch, fällte Richter Jegge das Urteil. Aufgrund der Zeugenaussagen wurde die Beklagte freigesprochen: «Da die Vorkommnisse von 2006 übereinstimmend bestätigt wurden, liegt keine üble Nachrede vor.»