Seidenstrasse
In 25 Jahren radelte Biologe Meyer mit dem Velo bis nach China

Seit 25 Jahren fährt er auf dem Rad seinem Ziel entgegen: Auf der Seidenstrasse von Freiburg nach China. Die letzte Etappe in Afghanistan im letzten Sommer war für den 72-jährigen Badener Biologen Dieter Meyer eine besondere Herausforderung.

Irmgard Lehmann
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Dieter Meyer radelte von der Schweiz aus nach China.

Dieter Meyer radelte von der Schweiz aus nach China.

zvg

Auf dem Schreibpult in seinem Haus im freiburgischen Marly stapelt sich eine Menge Bücher über Afghanistan: zur Seidenstrasse, Reiseberichte, Romane, Wörterbücher. Dieter Meyer hat sie alle gelesen und sich einige Sätze in «Dari», einer afghanischen Landessprache einverleibt. So kommt ihm etwa Salam alaikom (Friede sei mit Euch), Sahat-e schoma chub ast (Geht es Deiner Seele gut) ganz leicht über die Lippen. Diese Begrüssung signalisiert Friedfertigkeit und damit hat sich Meyer auf seiner sechswöchigen Solotour per Rad und öffentliche Bussen durch den Norden Afghanistans bei den Menschen Vertrauen verschafft.

Die Seidenstrasse abzufahren und nach den Spuren Alexanders des Grossen (gest. 323. v. Chr.) zu suchen, war ein alter Traum. So bereist Meyer jedes Jahr während der Sommerferien für vier bis acht Wochen Länder der Seidenstrasse. Radelt durch die Ukraine, Georgien, Armenien, Iran, Turkmenistan, Usbekistan auf der Nordroute. Und durch die Türkei, Syrien, Irak, Iran auf der Südroute. Mal zu zweit, oft allein, fährt er dort weiter, wo er ein Jahr zuvor aufgehört hat.

Einige tausend Kilometer sind zustande gekommen. Räder zu Boden gefahren. Geblieben sind ihm eine gute körperliche Verfassung, unvergessliche Erinnerungen und die grosse Dankbarkeit, alles heil überstanden zu haben. Die Gefahren sind wohl nicht zu unterschätzen? «Überfälle durch Strassenräuber sind nie auszuschliessen. Ich bin aber immer mit dem Schrecken davongekommen», sagt Meyer schmunzelnd.

Inzwischen ist Meyer 72 Jahre alt geworden. Die letzte Etappe im Sommer war eine Herausforderung. Mit Temperaturen um die 40 Grad und oft miserablen Strassenverhältnissen durch die Wüste und das Hindukusch-Gebirge hat er sich einiges zugemutet. Mit 24 Kilo Gepäck am Rad fährt er rund 80 Kilometer pro Tag. «Ich begegnete auf der ganzen Route keinem einzigen Fernradfahrer», sagt er. Afghanistan ist kein Tourismusland. Aber ein «mossaffer», ein Reisender, sei eine bekannte Erscheinung.

Doch warum reist der pensionierte Biologe alleine? «Wer sich der Fremde alleine aussetzt, kommt den Menschen und dem Land rasch näher», sagt Meyer. «Auch ist es nicht leicht, jemanden zu finden, der gleiche Interessen hat.» Jeden Morgen steigt Meyer um 4.30 Uhr aufs Rad, radelt, bis die Hitze unerträglich wird. Meist bis Mittag. Sucht sich die Unterkunft. Findet sie in Choykhonas, einer Art Teestube, wo alle am Boden liegen. Leib an Leib. Zusammen mit Fernfahrern. Meyer in verstaubten Kleidern und übel riechend wie alle andern auch.

Und nie kalte Füsse bekommen? «Nein, nie», sagt er ohne zu zögern. Polizisten haben ihn oft aufgehalten. «Den Pass konnten sie nicht lesen, vom Land ‹Swiss› hatten sie noch nie gehört. Sie haben mir aber gute Reise gewünscht.»

Ob er nie an einen Überfall gedacht habe oder an die Tatsache, dass bei einem Kidnapping die Schweiz zu Hilfe eilen müsste?» Doch, doch» sagt er dezidiert. «Ich hatte ein Satellitentelefon mit Nottaste dabei. Ich konnte damit gleichzeitig an meine Frau zu Hause, die Polizeizentrale in Kabul und an die Schweizer Botschaft im weit entfernten Pakistan – in Afghanistan gibt es keine Schweizer Botschaft – meine Koordinaten und eine vorbereitete SMS-Meldung ausschicken.» Er hat sich auch jeden Tag bei der Polizei über die lokale Sicherheitslage informiert. «Ich bin in Afghanistan gut und sicher unterwegs gewesen, weil ich mich auf keine Abenteuer einliess und mich anpasste. Gar an den Ramadan.»

Und wie war das mit der Faust im Sack? «Ab und zu ja. Wie etwa beim Grenzübergang von Usbekistan nach Afghanistan, wo man mich auf der usbekischen Seite drei Stunden lang gefilzt hat.» Der Biologe holt seinen Pfefferspray und sein Sackmesser aus dem Schrank, lacht und sagt: «Bei allen Kontrollen haben sie Spray und Messer nie erwischt.» Die Sprühdose hat er in einer kleinen Schachtel versteckt und diese mit Alufolie umwickelt, sodass sie im Scanner nicht erkennbar war. Auch sein Satellitentelefon ist ihm auf der ganzen Reise geblieben.

Und was sonst noch war ihm auf der Route lebenswichtig? «Die sechs Flaschen Wasser pro Tag. Damit musste ich äusserst sorgsam umgehen, damit es bis zum nächsten Ort reichte.» Mit den Strapazen hat der Rentner allerdings ein paar Kilos an Körpergewicht verloren. Dies, obwohl er mit Reis, Schaffleisch und Gemüse doch recht gut gelebt habe.

Afghanistan sei eine irrsinnige Machorepublik, hält Dieter Meyer rückblickend fest. «Auf meiner Route bin ich kaum einer Frau begegnet.» Ein Auskommen auf dem Land sei schwer. Daher würden viele Junge in die bereits überbevölkerten Städte ziehen. Jede Frau hat durchschnittlich 6,5 Kinder. Es fehle an Bildung. Viele könnten nicht lesen, auch den Koran nicht, da er in arabischer Sprache geschrieben ist. «Das macht sie von den Mullahs abhängig», gibt Meyer zu bedenken. Trotz immensen Problemen der Bevölkerung habe er nie Feindschaft gespürt, betont der Biologe: «Ich bin überall freundlich und manchmal augenzwinkernd mit dem Ausruf ‹Afchonih›, Afghane, empfangen worden.»