Ennetbaden
In ihren Fotos lebt Anita Volland-Niez weiter

Die Ennetbadenerin Anita Volland-Niez war in den 50er- und 60er-Jahren eine der wenigen Fotoreporterinnen der Schweiz. Anfang Oktober ist sie im Alter von 88 Jahren gestorben.

Drucken

fotostiftung schweiz

Am 1. Oktober ist Anita Volland-Niesz im Alter von 88 Jahren gestorben. Anita Volland-Niesz, die in Ennetbaden geboren wurde und bis vor wenigen Jahren in Ennetbaden lebte, bevor sie ins Altersheim Margoa in Lengnau zügelte, war Fotografin. Sie gehörte in den Fünfziger- und Sechzigerjahren als Fotoreporterin zu den wenigen Frauen in dieser von Männern beherrschten Domäne.

Von 1944 bis 1948 besuchte Anita Niesz, geboren 1925 als Tochter eines Genfer Ingenieurs und einer in Brasilien aufgewachsenen Schweizerin, die Fotoklasse der Kunstgewerbeschule Zürich beim legendären Hans Finsler. Allerdings löste sie sich schon während der Ausbildung von Finslers strenger Sachfotografie und wandte sich der lebendigeren Reportagefotografie zu. Eine frühe Arbeit sind ihre Bilder von der eindrücklichen Wallfahrt nach Flüeli Ranft anlässlich der Heiligsprechung von Bruder Klaus 1947.

Ab 1949 fotografierte sie für die Wochenendausgabe der «Neuen Zürcher Zeitung », für die Kulturzeitschrift «Du» und das Architekturmagazin «Werk». Sie reiste in den Fünfzigerjahren nach Frankreich, nach Italien oder nach Irland und brachte Bilder nach Hause, die das Leben der einfachen Menschen in diesen Ländern zeigen. Menschen, denen man die harte Arbeit ansieht, aber auch Menschen – immer wieder Kinder –, die Lebensfreude ausstrahlen. Niesz lichtet Buben und Mädchen in erwartungsfroher Lebendigkeit ab, aber auch alte Menschen, denen die letzte Stunde schlägt. Sie besuchte die Zigeuner in Saintes-Maries-de-la-Mer, die Torfstecher auf den irischen Aran Inseln oder die Marmor-Steinbrüche in Carrara.

1961 heiratet Anita Niesz den Architekten August Volland. Der Ehemann stirbt noch im selben Jahr, Sohn Christian kommt erst nach dem Tod seines Vaters zur Welt. Als Mutter muss sie ihre Reisetätigkeit einschränken. Aber sie fotografiert weiter. Sie macht Bilder für die Schweizerische Flüchtlingshilfe, für das Kinderdorf Pestalozzi in Trogen, für die Behindertenorganisation Pro Infirmis oder die Pro Juventute.

Die Kinderporträts werden zum Markenzeichen ihrer Fotokunst. Niesz gehört zu den angesehensten Lichtbildnern der Schweiz. Als das Kunsthaus Zürich 1974 eine grosse Ausstellung «Fotografie in der Schweiz 1840 bis heute» veranstaltet, sind ihre Fotos selbstverständlich Teil der Schau. 1989 – Anita Volland-Niesz ist inzwischen im Pensionsalter – widmet ihr das Kunsthaus Aarau eine grosse Retrospektive. Der damalige Kunsthausdirektor Beat Wismer schreibt im Vorwort zum Ausstellungskatalog: «Beeindruckend, wie diese Kompositionen nie aufgesetzt oder berechnet wirken. So, wie man sich Anita Niesz kaum anders denn intuitiv arbeitend vorstellen kann, so erscheinen ihre Kompositionen auch als intuitiv richtig.

Sie dürfte sich bei ihrer Arbeit kaum an Lehrsätze Finslers erinnert haben, dessen präziser Gestaltungswille aber scheint ihren Blick immer beherrscht zu haben, wenn sie ihn auf die Ereignisse des menschlichen Lebens lenkte. Anita Niesz ist ein Anteil nehmender Mensch, aber sie hat sich in ihrer Arbeit offenbar immer jene Distanz bewahrt, aus der heraus der gestaltende Wille wirksam werden kann. Darin liegt der Grund, dass diese Fotografien, die aus einer ‹distanzierten Betroffenheit› heraus entstanden sind, noch heute betroffen machen: dies stellt ihre besondere Qualität dar», so Wismer.

Jetzt ist Anita Volland-Niesz gestorben. Die Schweiz hat eine grosse Fotografin verloren. In ihren Bildern lebt sie weiter. (ep)