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Baden
Ein Rundgang rund um den Bahnhof mit dem Architekten und Journalisten Werner Huber, der sagt: «Baden hat manchmal ein bisschen Grössenwahn.» Er zeigt Bauwerke der letzten Jahre, die gelungen sind – oder eben nicht.
Es waren heftige Worte, die der Badener Robert U. Vogler vor kurzem in einem Leserbrief fand. Zum Neubau am Schlossbergplatz, das gerade den letzten Feinschliff bekommt, schrieb er unter dem Titel «Architekturwüste Baden» folgendes: «Leider sind die schlimmsten Befürchtungen eingetreten: Man sieht sich in Baden einfallsloser, uninspirierter und langweiliger Architektur gegenüber.»
Und: «Ein besonderes Highlight des Badener Planens und Bauens ist ausserdem die seit Jahrzehnten schmuddelige Ecke vor dem Eingang zum LWB beim Blinddarm. Es gibt in Baden kaum eine neue Baute der letzten 20 Jahre, die architektonisch besonders herausragt. Dafür viele verpasste Chancen.»
Wir haben die Probe aufs Exempel gemacht und Voglers Zeilen zum Anlass genommen, die jüngere Architektur in der Innenstadt etwas genauer unter die Lupe zu nehmen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit und durchaus aus einem persönlichen Blickwinkel. Einer, der Baden gut kennt und trotzdem die Unabhängigkeit eines Auswärtigen hat, ist der Zürcher Architekt Werner Huber. Der 54-Jährige arbeitet seit 18 Jahren als Architekturjournalist bei der Zeitschrift Hochparterre.
Huber erzählt: «Als ich als Kind in den Siebzigerjahren einmal mit meinen Eltern über die Lägern nach Baden gewandert bin, war der Bahnhof noch bunt bemalt. Das hat mich sehr beeindruckt.» Auch während seines Studiums kam er immer wieder nach Baden, etwa um die Backstein-Überbauung an der Bahnhofstrasse oder die Betonsanierung der Städtischen Werke an der Haselstrasse zu bewundern. Schon früh habe er gemerkt, dass Baden mit seiner Industrie- und Eisenbahngeschichte ein städtebaulich besonderer Ort ist: «Baden hat mich immer fasziniert.»
Mit den grossen Verkehrssanierungen und dem Metroshop habe Baden eine Art Grossstadtallüre entwickelt. «Die Stadt hat manchmal ein bisschen Grössenwahn. Aber daraus sind städtebaulich viele gute und interessante Aspekte entstanden.»
2007, pünktlich zur Badenfahrt, erschien unter der Federführung von Werner Huber eine Sonderbeilage zum «Hochparterre» mit dem Titel: «Baden – Kleine Stadt auf grosser Fahrt.» Es war die Zeit, als kurz nacheinander unter anderem der neue Bahnhofplatz, das Langhaus, das Nordhaus, der Falken und der neue Theaterplatz gebaut wurden.
Wir treffen uns für unseren Rundgang mit Werner Huber auf dem Bahnhofplatz und betrachten als Erstes das Coop-City-Haus, das 2014 eine neue Fassade aus Holz und schwarzem Metall erhielt. Das BT titelte damals zum Umbau: «Vom hässlichen grünen Klotz zum schmucken Wohnobjekt». Die Fassade des ehemaligen EPA-Hauses gestalteten die Badener Architekten Zulauf und Schmidlin zusammen mit der Künstlerin Ruth Maria Obrist.
«Das ist generell ein schwieriger Ort», sagt Huber und lacht. «Aber für Baden ein typischer.» Ein Warenhaus, über eine Strasse gebaut, sei in der Schweiz eine Seltenheit. «Die grüne Blechfassade war ziemlich skurril. Jetzt steht das Haus zumindest nicht mehr ganz so quer in der Landschaft.» Die neue Fassade sei eine deutliche Verbesserung zur früheren Situation. «Im Gegensatz zum NAB-Gebäude gleich nebenan», sagt Huber.
«Das ist auch so eine Kiste aus den Siebzigerjahren. Das ehemalige Gewerbebank-Haus war mit seiner dunklen Blechfassade, den verspiegelten Fenstern und dem GB-Logo ein Charakterkopf am Bahnhofplatz.» Das sei seit der Aussenrenovation 2005 nicht mehr der Fall. «Das Haus hat an Prägnanz verloren. Es ist eher banal geworden.»
Die neue, helle Fassade sei ein Rückschritt – aber immerhin vertrage sie sich so besser mit dem Schwarz des Coop-City-Gebäudes. «Das NAB-Haus stört nicht am Bahnhofplatz. Aber es fällt auch nicht positiv auf.»
An der Baustelle auf dem Postareal vorbei und über die Haselstrasse gehen wir zum Nordhaus auf der anderen Seite des Bahnhofs. Das Haus wurde 2004 als Gegenstück zum benachbarten Langhaus (2001) fertiggestellt. Hier wird Huber deutlich: «Die Fassade des Nordhauses ist banal. Die Alufenster zwischen den Betonpfeilern wirken beliebig.»
Das Langhaus, das mit seiner gläsernen Fassade parallel zur Bahnlinie verläuft, habe im Gegensatz dazu eine ganz eigene Kraft. «Die Ausgangssituation war für das Langhaus einfacher», sagt Huber. «Aber man hat dort das Thema mit den Glasbändern konsequent durchgezogen. Das Nordhaus ist eher 08/15.»
Eigentlich sei die leicht versetzte Lage von Langhaus und Nordhaus in ein und derselben Flucht sehr gelungen. Beide Gebäude wurden vom Brugger Architekturbüro Metron geplant. Aber: «Das war hier vermutlich die Schwierigkeit – etwas ganz anderes am selben Ort bauen zu müssen.»
Das Erdgeschoss mit den roten Scheiben und der halb-öffentlichen Nutzung im Nordhaus wirke seltsam, findet Huber. «Die abweisende Fassade macht einen ziemlich traurigen Eindruck. Das Haus zeigt zum Platz hin nicht sein Gesicht, sondern sein Hinterteil.» Es wecke auf jeden Fall keine Erwartungen, wenn man darauf zugehe. Und: «Man bekommt das Gefühl, dass hier manche Ideen nicht zu Ende gedacht wurden.» Das Haus der Regionalwerke (früher Städtische Werke) gleich vis-à-vis, das 1934 gebaut und 1987 vom Badener Büro Eppler Maraini sorgfältig saniert wurde, sei ein gelungenes Beispiel des Badener Bauens. Das Haus wird denn auch im Schweizerischen Inventar der Kulturgüter von nationaler Bedeutung geführt.
Wir spazieren am Langhaus vorbei zur Einfahrt des Coop-Parkhauses (über der Einfahrt soll irgendwann einmal das Südhaus als Pendant zum Nordhaus entstehen). Zur Einfahrt sagt Huber: «Das ist ein eigenartiges Möbel. Man fragt sich, warum das Dach wie eine Rampe aussieht – es wirkt wie ein schräger Glassarg in der Stadt.»
Die benachbarte Velostation sieht Huber mit gemischten Gefühlen: «Ich habe auf den ersten Blick gar nicht wahrgenommen, was das ist. Die Velostation sieht ziemlich zusammengestaucht aus.» Architektonisch passiere hier sehr viel auf kleinem Raum. «Die Form des Daches hat etwas Anspruchsvolles. Wozu allerdings der breite graue Rand da sein soll, bleibt unklar.
Er wirkt unpräzise, den hätte es nicht gebraucht.» Zudem wirke das weit auskragende Dach über der Paketstation der Post sehr massiv: «Das sieht aus wie eine Bushaltestelle.»
Auch die Häuser Gstühl-Center und City-Corner sieht Huber nicht als architektonischen Gewinn für die Stadt: «Städtebaulich ist es absolut richtig, dass hier die letzten Brachen aufgefüllt wurden. Dass aber mit dem Restaurant Seerose und der Kleiderfabrik die Zeugen des alten Gstühlquartiers abgebrochen wurden, statt sie ins neue Stadtgewebe einzufügen, ist schade. Und die Architektur ist noch einmal eine ganz andere Frage.»
City Corner und Gstühl-Center wirkten mit ihren zwei «Köpfen» zu den Bahngleisen hin eher unbeholfen, findet Huber. Immerhin sei die Fassade des Kunstgüetlis erhalten worden: «Solche Zeugen sind wichtig für eine gewachsene Stadt. Ob man etwas sanieren will oder nicht, ist vor allem eine Willensfrage.» Aber wenn die Investoren nicht gerade Schlange stünden, sei oft die Geldfrage ein schlagendes Argument. Wenn man hier die Augen zusammenkneife und sich umschaue, wirke alles sehr gleichförmig.
Zum schwarz verkleideten Minerva-Haus vis-à-vis (gebaut 2004 anstelle der alten Apotheke Hemmi) sagt Huber: «Das ist eigentlich gar nicht der Rede wert. Es sieht aus wie ein Bürohaus aus den Sechzigerjahren, ist es aber nicht. Man hat hier an dieser städtebaulich wichtigen Ecke etwas gar viel Beliebigkeit.»
Apropos Ecke: Wir schauen uns auch den Vorplatz vor dem LWB an und Huber sagt: «Die Treppe über dem LWB ist gelungen und hat etwas Skulpturales. Aber die schmuddelige Ecke darunter ist unverständlich.» Hier habe man bei der Bahnhofsanierung eigentlich vieles richtig gemacht. Etwa mit der Busrampe, die gut funktioniere. Das Parkhaus Gstühl City mit seiner Einfahrt sei dagegen missraten.
«Die ganze Situation hier ist städtebaulich nicht gelöst worden. Statt den Zugang zum Blinddarm (der Unterführung zum Schlossbergplatz) aufzuwerten, ist hier einfach eine Pinkel-Ecke entstanden.»
Werner Huber erzählt, er komme auch heute noch immer wieder nach Baden. Von der neuen Cordulapassage beim Schulhausplatz etwa war er positiv überrascht. «Auch wenn sich hier städtebaulich eigentlich nichts verändert hat und es immer noch eine Unterführung ist, finde ich die Passage gestalterisch sehr schön gelungen. Das Grundübel der Verkehrskreuzung löst das leider nicht.»
Wir beenden unseren Rundgang beim eigentlichen Stein des Anstosses, dem Haus Schlossberg: «Das Grau der Fassade stört mich nicht. Hingegen stimmt in meinen Augen die Gesamtkomposition nicht.» Der Blinddarm sei ein starker Einschnitt ins Terrain. «Vom Schlossbergplatz her gesehen ist das Haus sehr mächtig und hat mit dem Geländeeinschnitt schon einen ersten Sockel. Dann folgt auf der Höhe der neuen Bushaltestelle ein zweiter Sockel. Und darüber folgt mit der Büro-Etage noch ein drittes Sockelgeschoss. Und diese vielen Sockel tragen dann bloss zwei weitere Stockwerke.»
Zum Schlossbergplatz hin wirke das Gebäude deshalb unruhig: «Die Fassade verfällt in einzelne Teile, es gibt zu viele Schichten. Das alte Haus am Schlossberg war eleganter. Es war ein klarer, fast schwebender Riegel über dem Blinddarm.» Das neue Haus sehe eher aus wie eine Brücke zwischen Manor und Bahnhofstrasse, auf die man Wohnungen und Büros gestapelt hat.
Und Huber stellt die hypothetische Frage: «Ist es richtig, hier überhaupt ein Haus zu bauen?» Nach einer Schulnote gefragt, sagt Huber nach kurzem Nachdenken, er würde dem Haus Schlossberg trotz allem eine gute 4,5 geben. Denn: «Von der Architektur her sind wir hier schon auf einem ganz anderen, besseren Niveau als beim Gstühl-Center. Dort reicht es höchstens für ein 3,75.»