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Das Bezirksgericht verurteilt einen Lastwagenfahrer wegen eines Unfalls mit einem Velofahrer bei Hochbrücke wegen schwerer Körperverletzung.
Die in der Anklageschrift aufgeführten Verletzungen des Opfers und deren Folgen sind heftig. Mehrere Operationen, einen mehrwöchigen Spitalaufenthalt und zwei Wochen Reha musste es über sich ergehen lassen. Das Opfer, beim Unfall ein junger Mann, war an jenem Tag gegen 11 Uhr von der Hochbrücke kommend bei Grün in die Seminarstrasse eingebogen. Gleichzeitig tat dies, von Ennetbaden kommend, ein Lastwagen. Auf der Seminarstrasse hörte dessen Fahrer, dass ein hinter ihm fahrender Auto-Lenker hupte. «Im Rückspiegel sah ich etwas am Boden liegen, hielt an der Bushaltestelle an und hielt Nachschau», lässt der 62-jährige Heinrich (Name geändert) – angeklagt der fahrlässigen schweren Körperverletzung – vor Gericht übersetzen. Obwohl der Russland-Deutsche seit elf Jahren in der Schweiz lebt, ist sein Deutsch noch immer mangelhaft. Seine Frau und die beiden 18- und 20-jährigen Söhne haben Heinrich ans Gericht begleitet.
Einzelrichter Peter Rüegg will vom Beklagten wissen, weshalb es zu dem Unfall gekommen sei. «Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung. Als die Ampel auf Grün schaltete, habe ich links und rechts geschaut. Alles stand still, also habe ich die Kreuzung überquert und bin auf meiner Spur weitergefahren. Vielleicht hat der Velofahrer Angst bekommen und ist deshalb umgefallen.» Der Lenker des nachfahrenden Pw hatte als Zeuge bestätigt, dass der Lw nicht auf den Radstreifen geraten sei.
«Der konkrete Sachverhalt ist völlig unklar», betont der Verteidiger. Sein Plädoyer ist ein Trommelfeuer von Vorwürfen zuhanden der Polizei: Es sei weder eine professionelle Spurenanalyse gemacht, die Stelle des Aufpralls respektive eines Schadens dokumentiert, noch seien die Fahrgeschwindigkeit des Lw und die herrschenden Sichtverhältnisse festgehalten worden. «Die Unfallstelle wurde nicht einmal fotografiert.»
Der Anwalt stellt Beweisergänzungsanträge; unter anderem sei ein nachträgliches Gutachten zu erstellen. Überdies bezweifelt er vehement die Schwere der vom Opfer erlittenen Verletzungen. «Es gibt eine riesige Liste offener Fragen ans Spital.» Er bezweifelte, dass die betroffenen wichtigen Organe «unbrauchbar geworden» sind.
Grundsätzlich sei also hier nur von einer leichten Körperverletzung auszugehen. «Eine solche ist ein Antragsdelikt. Da das Opfer seine Strafanzeige jedoch schon länger zurückgezogen hat, ist selbst eine Verurteilung wegen leichter Körperverletzung hinfällig.» Sein Mandant sei folglich von Schuld und Strafe freizusprechen. Richter Peter Rüegg hat für die Argumente des Verteidigers wenig Musikgehör, lehnt die Beweisanträge ab und spricht Heinrich schuldig gemäss Anklage. «Zugegebenermassen war die Beweisaufnahme tatsächlich etwas mickrig ausgefallen.» Jedoch sei aufgrund der Akten genügend dokumentiert, dass der Velofahrer den Radweg nicht verlassen hatte. Andererseits habe der Zeuge einzig bestätigen können, dass das rechte Hinterrad des Lastwagens nicht auf dem Radweg fuhr – mehr nicht.
«Es ist klar, dass der Beklagte mit ungenügendem Abstand am Velofahrer vorbeigefahren war und der LKW diesen touchierte.» Klar sei ebenfalls, dass allein die Beckenfraktur eine schwere Körperverletzung ist.
Rüegg reduzierte beantragte bedingte Geldstrafe von 3600 Franken und 900 Franken Busse auf 2700 Franken, bedingt auf zwei Jahre und 500 Franken Busse, «weil wir einige vom Ankläger aufgeführte Vergehen gegen das Strassenverkehrsgesetz als nicht erfüllt erkennen.» Nebst der Busse muss Heinrich die Untersuchungs- und Gerichtskosten in Höhe von über 2000 Franken sowie seine Anwaltskosten berappen.