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Die Regionalen Verkehrsbetriebe Baden-Wettingen RVBW haben den ersten vollständig elektrisch betriebenen Bus eingeweiht.
Dass montagmorgens um 11 Uhr ein mit Erwachsenen vollgestopfter Bus der Linie 8 von Wettingen bis Neuenhof fährt, ist wohl eher ungewöhnlich.
Kein Wunder, machten manche Menschen draussen auf den Trottoirs grosse Augen, als der neue Bus der Regionalen Verkehrsbetriebe Baden-Wettingen (RVBW) mit der Aufschrift «Hier fährt die Zukunft des öffentlichen Verkehrs» und den vielen grünen Blättern vorbeifuhr – mit rund 80 sitzenden und stehenden Gästen aus Politik und Wirtschaft an Bord.
Es handelte sich um die Jungfernfahrt des ersten rein elektrisch betriebenen Busses im Aargau, der ab heute Dienstag offiziell im RVBW-Netz für die Linie 8 eingesetzt wird.
Eins vorweg: Es ist nicht wie von einigen erwartet ein ruhiges Dahingleiten. «Ab 40 Stundenkilometern hat er in etwa die gleiche Lautstärke wie ein dieselbetriebener Bus», erklärte RVBW-Direktor Stefan Kalt im Nachgang zur Jungfernfahrt. Das liege an den Rädern, und je schneller ein Bus fahre auch am Wind.
Drinnen fühlt man sich ebenso fast wie in einem herkömmlichen Bus. Der Billettautomat ist der gleiche wie in anderen Bussen, was hingegen (noch) ungewohnt ist, sind die USB-Anschlüsse oberhalb der Stoppklingeln, an den Stangen bei den Sitzen, wo die Fahrgäste ihre stromgetriebenen Geräte aufladen können.
Ausserdem sind rund um den Bus Kameras installiert, was die Unfallgefahr verringern soll – wenn sich zum Beispiel ein Velofahrer zu nah beim Bus befindet.
Der neue Bus hat auch einen Namen: «Bevisa» heisst er und ist das jüngste Kind der Firma Scania, dem grossen schwedischen Nutzfahrzeughersteller.
«Und wie der Name schon sagt, muss das Fahrzeug in den nächsten zwei Jahren beweisen, was das schwedische Werk entwickelt hat und ob das im Einsatz auch funktioniert», sagte Claudio Albrecht von Scania Schweiz.
Danach hat er gemeinsam mit Rico Furrer von Furrer+Frey, dem Entwickler der Schnellladestation, Carlo Degelo vom Kanton Aargau, welcher die RVBW beim Vorhaben finanziell unterstützte, und deren Direktor Stefan Kalt das rote Band durchgeschnitten – als Zeichen für das neue Zeitalter, das mit diesem Bus nun bei den RVBW angebrochen ist.
Im Jahr 2018 war im Rahmen der Flottenpolitik entschieden worden, in den kommenden Jahren auf elektrisch betriebene Stadtbusse zu setzen. Die Einführung erfolge schrittweise mit zwei «Innovationslinien», die dazu dienen, Erfahrungen im Bereich der Elektromobilität zu sammeln.
Als Erstes jetzt auf der Linie 8, in einem zweiten Testlauf ab nächstem Fahrplanwechsel im Dezember 2020 auch auf der Linie 5 nach Ennetbaden, wo vor kurzem das Baugesuch für eine Ladestation behandelt wurde. Dort werden aber Elektrobusse der Firma Hess mit von der ABB entwickelten Batterien eingesetzt.
«Die nächsten zwei Jahre wird getestet, ob sich der Bus von Scania wirklich bewährt. Nach der Testphase wird er vollständig auseinandergenommen», erklärte Stefan Kalt. Alles werde untersucht und getestet, um den Bus weiter optimieren zu können.
Jedes Teil sei bei Scania selbst hergestellt und dabei die neueste Technologie verwendet worden. «Der Bus ist eine echte Innovation in Europa», schwärmte Kalt, «es gibt erst sieben Stück davon, fünf in Schweden, und einen hat China bestellt», sagt er.
Weil die RVBW ein Testbetrieb des schwedischen Herstellers sind, sei das Ganze für den regionalen Busbetrieb finanziell tragbar, sagte Kalt bereits im März zu dieser Zeitung. Der Elektrobus sei nur unwesentlich teurer als ein Dieselbus.
Finanziell unterstützt wird das Elektrobus-Projekt vom Kanton Aargau. Dieser beteiligte sich an den Kosten für die Ladestation, dem sogenannten Pantografen, der im Areal der Verkehrsbetriebe in Wettingen realisiert worden war. Das Geld dafür sei dem Topf «ÖV-Spezialfinanzierungen Kanton Aargau» entnommen worden, sagte Kantonsvertreter Carlo Degelo.
Die Schnellladestation selbst hat das Schweizer Unternehmen Furrer+Frey entwickelt, und dabei mit dem Elektrizitäts- und Wasserwerk Wettingen zusammengearbeitet, mit dessen Naturstrom die Busbatterien aufgeladen werden.
Auch für die Busfahrerinnen und Busfahrer der Linie 8 beginnt eine neue Zeitrechnung. Yves Signer, Chauffeur und Ausbilder bei den RVBW, durfte bei der gestrigen Jungfernfahrt am Steuer sitzen. Er wird auch weiteres Fahrpersonal für den Elektrobus schulen.
Das Fahren mache Spass, sei aber eigentlich nicht viel anders als in einem normalen Bus, erklärte er. Wichtig zu wissen sei die Bedienung der Knöpfe und wie man mögliche Fehlermeldungen wieder wegbringe.
Auch das Parkieren bei der Ladestation sei keine grosse Sache. Nur die Kunden des Strassenverkehrsamts müssten nun besser schauen, dass sie bei den Parkplätzen auf dem Platz nicht zu weit vorne parkieren, damit die Busfahrer, wenn sie zum Aufladen kommen, genug Platz haben, um richtig hinzufahren.
Genau das hatte nach der Jungfernfahrt für Signer eine Herausforderung dargestellt, hatte doch einer der Gäste sein Auto etwas zu weit vorne parkiert. Deshalb musste der Buschauffeur den Bus so zirkeln, dass er das Auto nicht touchierte und trotzdem so unter dem Pantografen zu stehen kam, damit den Gästen auch das Aufladen an der Ladestation präsentiert werden konnte.
Auf dem Boden ist genau eingezeichnet, wo der Bus halten muss, damit der Bügel des Pantografen ausgefahren werden, beim Busdach andocken und die Batterien mit Strom aufgeladen werden können. «In zweieinhalb bis drei Minuten ist der Bus aufgeladen, damit er auf die nächste Runde kann», so Stefan Kalt.
«Bevisa» dürfe dabei nicht voll, also 100 Prozent geladen werden, die Ladung aber auch nicht unter 30 Prozent fallen, führte er weiter aus. Zudem können die Batterien im Sommer mehr leisten als im Winter: «Dann kann der Bus ohne weitere Ladung vier bis fünf Runden drehen, im Sommer bis zu zehn.»
In Kilometern sind das 50 bis 60 Kilometer im Winter und bis zu 100 Kilometer im Sommer. Zum Vergleich: Die Dieselbusse der RVBW machen täglich durchschnittlich 330 Kilometer. Mit dem jetzigen «Opportunity Charging»-System, den Gelegenheitsladungen bei der Endstation, soll dieser Nachteil etwas abgefedert werden.
In der Nacht wird der Bus im Innern des RVBW-Bushofs aufgeladen. Wer hier ebenfalls eine aufwendige Ladestation erwartet, irrt sich aber gewaltig: «In der Nacht wird der Bus ganz klassisch am Stecker bei 380 Volt geladen», so Kalt schmunzelnd.