Baden
Kehrtwende im Einwohnerrat: Wie der Budget-Deal zustande kam

Der Badener Einwohnerrat hat sich an einer historischen Sitzung auf einen überraschenden Lösungsvorschlag im Budgetstreit geeinigt. Nun werden Hintergründe des Kompromisses bekannt – zerbricht der Bürgerblock daran?

Pirmin Kramer und Martin Rupf
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Der Einwohnerrat tagte diese Woche zweimal – die Sitzungen werden in die Badener Politikgeschichte eingehen.

Der Einwohnerrat tagte diese Woche zweimal – die Sitzungen werden in die Badener Politikgeschichte eingehen.

Alex Spichale

Im Badener Budgetstreit kam es am Mittwochabend zu einer Art Friedensvertrag. Der Rat einigte sich darauf, sämtliche in der Sitzung vom Dienstag beschlossenen Kürzungen rückgängig zu machen. Quasi als Gegenleistung genehmigten die Linken einen aus ihrer Sicht viel zu tiefen Steuerfuss von 92 Prozent. Und sie stimmten bereits jetzt Kürzungen in Höhe von 1,5 Millionen Franken im Budget 2019 zu.

Diesen Lösungsvorschlag brachten CVP und FDP auf den Tisch – für viele erstaunlich, hatten sie doch tags zuvor die lang ersehnten Budgetkürzungen für 2018 erfolgreich durchgeboxt.

Adrian Humbel (FDP) erklärt die Beweggründe: «Es war uns ein Anliegen, einen Weg zu finden, unsere Sparziele mit einem klaren Auftrag langfristig zu erreichen, ohne einen Scherbenhaufen zu hinterlassen.» Die Budgetkürzungen hätten bei Verwaltung, linker Ratsseite und Stadtrat aufgrund der Kurzfristigkeit grossen Unmut ausgelöst, ist er überzeugt. «Jetzt liegt aus unserer Sicht eine Lösung auf dem Tisch, die deutlich besser ist.»

Mit dem Auftrag, Kürzungen im Umfang von 1,5 Millionen durchzusetzen, stelle sich nicht mehr die Frage, ob und wie viel gespart werden müsse, sondern nur noch wo und wie. Erste Gespräche zur Ausarbeitung dieses Friedensangebots habe er am Mittwochnachmittag mit Peter Conrad (CVP) geführt, gefolgt von Dutzenden weiteren Gesprächen.

Fünf Bürgerliche abwesend

Aus FDP-Kreisen ist zu hören, dass es noch einen zweiten Grund für die Kehrtwende gab – und dieser war taktischer Natur. Schon am Nachmittag war klar, dass fünf bürgerliche Einwohnerräte abwesend sein würden.

Weniger als eine Handvoll Abweichler hätten genügt, um bürgerliche Mehrheiten zu verhindern. Darum kamen bei FDP und CVP offenbar Zweifel auf, ob die Sparanträge wie tags zuvor noch durchgebracht werden könnten. Um kein Risiko einzugehen, wollten sie ihre Hauptziele, darunter den tiefen Steuerfuss, mit einem Kompromiss ins Trockene bringen.

Die FDP sieht sich als Siegerin und spricht davon, zusammen mit der CVP die Linken schachmatt gesetzt zu haben. Allerdings könnten sie das Manöver teuer bezahlen – der Frust bei der SVP sitzt so tief, dass der oft zitierte Bürgerblock bröckelt. «Was wir am Mittwoch erlebten, könnte man als Bankrotterklärung der bürgerlichen Zusammenarbeit bezeichnen», sagt Daniel Glanzmann (SVP). «Von einem geeinten Bürgerblock zu sprechen, entspricht angesichts der Ereignisse von dieser Woche nicht mehr der Realität.»

Vertreter von FDP, SVP, CVP und GLP hätten sich vergangene Woche getroffen und beschlossen, die Sparanträge durchzuziehen. «Als wir in der ersten Sitzung am Dienstag eine Ratsmehrheit von den Budgetkürzungen überzeugen konnten, dachte ich, wir würden endlich den richtigen Weg einschlagen», sagt Glanzmann.

Doch am Mittwochnachmittag habe vor allem die CVP plötzlich für einen Rückkommensantrag zu lobbyieren begonnen. «Offenbar ist die Partei eingeknickt, hat sich vom Druck der Verwaltung und des Stadtrats umstimmen lassen», sagt Glanzmann. «Auch die FDP war dann leider nicht mehr bereit, Verantwortung zu übernehmen.» Er frage sich, wie die Zusammenarbeit mit diesen beiden Parteien in Budgetfragen künftig ablaufen werde. Das Wendehalsmanöver von CVP und FDP sei eine schwere Enttäuschung, so Glanzmann. Wenig Positives kann er dem Vorschlag abgewinnen, dem Stadtrat bei der Erarbeitung des Budgets 2019 eine einwohnerrätliche Kommission zur Seite zu stellen. «Es wird sich dabei um nicht mehr als ein Schattenkabinett handeln. Denn der Stadtrat hat die Macht bei der Erstellung des Budgets.»

«Es gab keinen anderen Ausweg»

Und die Linksparteien? Für Stefan Häusermann, Fraktionspräsident der Grünen, ist der Kompromiss «okay, aber nicht mehr». Die Wende, welche die Debatte genommen habe, sei schon erstaunlich. «Beim Auftritt der rechten Ratshälfte am Dienstag kamen die Machtverhältnisse im Rat klar zutage. Am Mittwoch haben die bürgerlichen Vertreter wohl gemerkt, dass sie die Muskeln zu sehr hatten spielen lassen.»

Team-Fraktionspräsidentin Nadia Omar: «Wir sind froh, dass wir ein Schlachtfeld verhindern konnten. Wir hoffen nun, dass die nächste Budgetierung in geordneten Bahnen verlaufen wird.» Mit dem Kompromiss sei das Problem der Stadtfinanzen nicht gelöst. «Wir riskieren im Budget 2019 eine Steuerfusserhöhung von mehr als 100 Prozent. Dennoch haben wir uns aus Überzeugung für eine konstruktive Politik und das Wohl der Stadt entschieden.»

SP-Fraktionspräsident Martin Groves sagt: «Ich wusste zwar, dass die Bürgerlichen sich eventuell etwas bewegen. Doch vom Rückkommensantrag war ich dann doch überrascht.» Als Grund, weshalb die SP dann entgegen ihrer Ankündigung, nur ein Budget mit Steuerfuss von 100 Prozent zu unterstützen, doch dem Steuerfuss von 92 Prozent zustimmte, gibt Groves an: «Es gab schlicht keinen anderen Ausweg, da wir ein weiteres Hick-Hack auf der Verwaltung vermeiden wollten.» Kurz habe die SP sogar mit dem Gedanken gespielt, den Saal zu verlassen, «weil wir für dieses Budget keine Verantwortung mehr hätten übernehmen können. Doch das wäre nicht konstruktiv gewesen».

Nachgefragt bei Christian Villiger

Christian Villiger Der 50-Jährige ist seit dem 1. Mai 2015 Verwaltungsleiter der Stadt Baden und somit Chef von rund 320 Angestellten.

Christian Villiger Der 50-Jährige ist seit dem 1. Mai 2015 Verwaltungsleiter der Stadt Baden und somit Chef von rund 320 Angestellten.

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Herr Villiger, wie haben Sie als Verwaltungsleiter der Stadt Baden die Budgetsitzung am Dienstagabend erlebt, an der die Bürgerlichen diverse Sparanträge stellten?

Christian Villiger: Als die Sparanträge gestellt wurden, habe ich vor allem an die Mitarbeitenden gedacht und daran, was für Konsequenzen diese Sparanträge jetzt konkret mit sich bringen. Auch habe ich bereits während der Sitzung mit Personalleiter Peter Wyss gesprochen.

Zwar wurde immer wieder betont, wie gut die Verwaltung arbeite. Ist es nicht gleichwohl schwergefallen, die Sparanträge nicht auch als Misstrauensvotum aufzufassen?

Wir haben versucht, ruhig und besonnen auf die Sparanträge zu reagieren.

Aller Besonnenheit zum Trotz, haben Sie dann mit Abteilungsleitern während laufender Ratsdebatte eine kleine Parallel-Sitzung abgehalten. Man spielte offenbar gar mit dem Gedanken, den Saal zu verlassen. Was können Sie dazu sagen?

Es war uns ein Anliegen zu betonen, dass wir den Dialog suchen wollen und mit gutem Beispiel vorangehen. Damit war dieser kurze Impuls, den Saal zu verlassen, vom Tisch. Letztlich haben wir als Verwaltung die Aufträge des Einwohner- und Stadtrats auszuführen. Wir wollten aber die Gelegenheit haben, unsere Aufgaben sachlich zu erörtern.

Ich gehe davon aus, dass mit Schluss der Debatte um Mitternacht für Sie noch nicht Feierabend war?

Richtig. Wir hatten noch lange und intensive Diskussionen. Doch letztlich ist es Aufgabe der Exekutive, mit den Fraktionen entsprechende Gespräche zu führen.

Offensichtlich mit Erfolg. Am Mittwoch herrschte eine ganz andere Gesprächskultur, die darin gipfelte, dass die Bürgerlichen ihre Sparanträge zurückzogen. Sie müssen erleichtert gewesen sein?

Erleichterung ist das falsche Wort. Denn der Sparauftrag, verbunden mit einer abermaligen Verwaltungsreform, bleibt bestehen – diese Aufgabe werden wir jetzt angehen.

Auch wenn die Stellen in der Verwaltung im Moment nicht angetastet werden. Wie gross ist die Gefahr, dass die Debatte Ihre Mitarbeiter nachhaltig verunsichert bzw. gar demotivieren könnte?

Diese Gefahr besteht. Natürlich war am Mittwochmorgen die Verunsicherung auf der Verwaltung deutlich spürbar und wir haben sehr viele Gespräche mit Mitarbeitenden geführt. Doch ich glaube, wir gehen gestärkt aus der Situation hervor.

Wie bitte?

Ja, wir wissen jetzt, woran wir sind, und können intern mit jeder einzelnen Abteilung entsprechende Gespräche führen und vorsondieren. Entscheidend ist bei allem: Der Stadtrat und auch ich als Verwaltungsleiter stehen hinter den Mitarbeitenden und haben vollstes Vertrauen in ihre Arbeit.