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Sandro Güntert ist Teil des Teams von «Badener Bestattungen» mit Sitz in Wettingen und einer von nur zwei Einbalsamierern in der Schweiz. Wie sein Leben mit dem Tod aussieht.
Er wäscht und massiert, frisiert und pudert. Was Sandro Güntert aber von den Pflegefachleuten, Kosmetikern und Coiffeuren abhebt, sind die Menschen, die er «herrichtet». Denn: Sie weilen nicht mehr unter uns. Der 33-Jährige ist Teil des Teams von «Badener Bestattungen» mit Sitz in Wettingen an der Etzelstrasse. Verstirbt jemandes Angehöriger, kommt er und holt den Verstorbenen ab, um ihm mit einer sogenannten Ganzkörperpflege die letzte Ehre zu geben.
Doch Güntert ist kein gewöhnlicher Bestatter: Er ist einer von zwei Schweizern, die eine Befähigung zum Thanatopraktiker, auch genannt Einbalsamierer, besitzen. «Während ein Bestatter den Verstorbenen von aussen pflegt, also zum Beispiel mit der Kosmetik und dem Frisieren, geht ein Thanatopraktiker über die oberflächliche Pflege hinaus und desinfiziert den Körper von innen», erklärt Sandro Güntert.
«Mithilfe einer Infusion kann der Einbalsamierer den Vergänglichkeitsprozess eines Körpers herauszögern sowie gewissermassen rückgängig machen.» Dies gebe den Angehörigen einerseits mehr Zeit, Abschied von ihrem geliebten Familienmitglied zu nehmen. Andererseits könnten Veränderungen des Körpers, wie zum Beispiel Wasser in Gliedern, behoben werden. «Es kann unter Umständen sehr verstörend für die Angehörigen sein, wenn sich ein Familienmitglied aufgrund der Vergänglichkeitsprozesse verändert hat.»
Sandro Güntert verkörpert das Gegenteil von dem, was die meisten von einem Bestatter erwarten. Sein Lachen ist herzlich und nicht unheimlich, sein Blick ist freundlich und nicht düster, seine Witze sind lustig und nicht schaurig. «Ein Bestatter ist auch nur ein Mensch. Das vergessen viele.» Und: «In den Filmen sieht der Zuschauer bei Bestattern nur schwarze Dinge. Unser Institut wählt bewusst andere Farben», sagt Güntert, der heute mit seiner Partnerin in Olten wohnt. So erscheint das Auto des Bestattungsinstituts in Bordeaux-Rot und das Zimmer, wo Kunden empfangen werden, ist hell und offen. «Das Thema Tod ist selbst schon genug dunkel. Was bringt es da, wenn wir die traurige Stimmung der Angehörigen mit dunklen Farben noch verstärken?»
Während sein Arbeitsalltag vom Thema Trauer geprägt ist, gestaltet Sandro Güntert seine Freizeit fröhlich und heiter. «Seit 2016 bin ich Mitglied bei der Guggizunft zu Olten, zuvor war ich für fünf Jahre bei einer Guggenmusik in Schaffhausen dabei.» Zu seinen Lieblingsbeschäftigungen zählen auch Spaziergänge mit seiner Hündin Bridget. «Da ist es auch schon vorgekommen, dass mich ehemalige Kunden auf der Strasse ansprachen und sich bei mir bedankten oder erzählten, wie es ihnen heute geht.» Dass sein berufliches Glück im Bestattersein liegt, wurde Güntert erst in seinen Zwanzigern bewusst. Aufgewachsen in Neuhausen am Rheinfall, machte er eine Lehre zum Polymechaniker. «Ich merkte, dass mich dieser Beruf nicht glücklich machen würde. Bei der Arbeit mit Metall fehlte mir etwas Lebendiges.»
Nach Abschluss der Lehre arbeitete er noch ein halbes Jahr auf dem Beruf, bis sein Leben im Alter von 20 Jahren eine bedeutende Wendung nahm: Infolge eines Autounfalls war er zwei Jahre lang arbeitsunfähig. Diese Zeit nutzte er, um die beruflichen Pläne zu überdenken. Sein Vater hatte da ebenfalls seine Hände im Spiel: «Eines Tages zeigte er mir eine Jobanzeige für eine Stelle als Bestatter», erinnert sich Sandro Güntert. «Der Vorschlag verdutzte mich schon für einen Moment.» Doch in seiner Familie sei das Thema Tod nie ein Tabuthema gewesen. «Mein Grossvater arbeitete als Friedhofsgärtner und ich besuchte meine Mutter oftmals bei ihrer Arbeit im Altersheim.»
Also beschloss er, sich auf die Sache einzulassen und bewarb sich beim Bestattungsamt der Stadt Zürich. Dort führte man Sandro Güntert während dreier Jahre an das Bestattersein heran, sodass er im Jahr 2010 den Fachausweis erhielt. Doch damit nicht genug: Beim Verband deutscher Einbalsamierer (VDT) liess sich Güntert danach zum Thanatopraktiker ausbilden. Bei der Prüfung schloss er so gut ab, dass er 2016 nicht nur ein europaweit, sondern ein weltweit anerkanntes Diplom erhielt und als erster Schweizer Bestatter in den Europäischen Verband (EAE) aufgenommen wurde. «Deshalb arbeite ich pro Jahr je mindestens zwei Wochen bei Instituten in England und Deutschland.»
Was Sandro Güntert am Beruf schätzt, sind zum einen die Begegnungen: «Ich führe viele schöne Gespräche mit den Angehörigen und merke, dass meine Arbeit ihnen viel zurückgeben kann.» Zum anderen bedeutet es ihm viel, dass er den Trauernden ermöglichen kann, so vom Verstorbenen Abschied nehmen zu können, wie sie es möchten. Mühe habe er mit der Endgültigkeit des Todes: «Dass die Menschen vor mir auf dem Tisch nie mehr aufwachen werden, auch wenn es scheint, als schliefen sie, ist manchmal schwer zu begreifen.» Der Beruf habe ihm das Bewusstsein gegeben, dass der Mensch vergänglich ist. «Man weiss nie, wie lange man noch lebt. Die Leute sollten den Moment darum mehr geniessen.»