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Reproduktionsmedizinerin Martina Nordin aus Baden versucht, Paaren ihre Kinderwünsche zu erfüllen – und stösst manchmal an ihre Grenzen.
Ein riesiges Aquarium ist das erste, worauf das Auge im Wartezimmer des Kinderwunschzentrums Baden fällt. Munter schwimmen die Zierfische im Kreis und vermehren sich eifrig. Die Wartenden verfolgen ihre Wendemanöver und wünschen sich nichts sehnlicher als ähnlich viel Nachwuchs. In Reproduktionsmedizinerin Martina Nordin sehen viele Paare ihre letzte Chance, dass es damit doch noch klappt.
Der Weg der Medizinerin führt wie jeden Morgen zuerst ins Labor. «Hier sind meine Babys», sagt sie und lacht. Aufmerksam begutachtet sie die künstlich befruchteten Eizellen und Embryonen, die in einem Inkubator kultiviert werden. Auf dem Bildschirm ist ein im Reagenzglas entstandener Embryo zu sehen, der später in die Gebärmutter eingepflanzt werden soll. «Er ist perfekt», freut sich Nordin und strahlt übers ganze Gesicht. Die gebürtige Frankfurterin, die sich nach dem Medizinstudium auf Gynäkologie und Geburtshilfe spezialisiert hat, lacht gern und viel.
Der Optimismus, den sie ausstrahlt, steckt auch die Paare an, die sie konsultieren. Vor allem jene, die seit Jahren damit hadern, dass sich das Babyglück einfach nicht einstellen will. Sie haben Fehlgeburten hinter sich, oder versuchten es bereits erfolglos mit künstlicher Befruchtung. «Wenn es beim dritten oder vierten Mal nicht klappt, ist das für viele meiner Patientinnen und Patienten ein schwerer Schlag. Dann ist es meine Aufgabe, sie psychologisch aufzufangen und zum Weitermachen zu motivieren.» Es habe schon oft Fälle gegeben, bei denen die Chancen für eine Schwangerschaft klein waren. «Dann klappte es doch noch. Für mich persönlich ist der schönste Moment immer, wenn ich ein Geburtskärtchen in der Hand halte», meint die Reproduktionsmedizinerin.
Nordin kommt aber auch die unangenehme Aufgabe zu, Paaren beizubringen, dass es keinen Sinn mehr macht, die Kinderwunsch-Behandlung fortzusetzen. «Dann bricht für viele eine Welt zusammen. Ich war sozusagen die letzte Hoffnung in ihrer Lebensplanung, die sie sich ohne Nachwuchs nicht vorstellen können.» Ihre Enttäuschung führt manchmal zu vorwurfsvollem Verhalten gegenüber der Ärztin. Wie geht sie damit um? Die 44-Jährige überlegt lange. Dann kommt ihre Antwort wohlformuliert: «Ich arbeite daran, mich noch besser abzugrenzen».
In der Reproduktionsmedizin landete Nordin nach Stationen auf der Gynäkologie und Onkologie. Das Gebiet fand sie auf Anhieb spannend. Seit sieben Jahren arbeitet sie im Kinderwunschzentrum Baden. Der Betrieb war früher ins Kantonsspital Baden eingegliedert und ist seit 2014 eigenständig mit Praxisräumen im Ärztezentrum Täfernhof in Baden-Dättwil.
Mit ihrem schwedischen Ehemann Anders, der in der ABB arbeitet, teilt sich die Ärztin die Erziehung der beiden 8- und 10-jährigen Sprösslinge gleichberechtigt auf. «In Schweden ist es selbstverständlich, dass der Mann in der Kinderbetreuung von Anfang an genauso involviert ist wie die Frau», erzählt Nordin und fügt hinzu: «Ich kann nur eine gute berufstätige Mutter sein, wenn mein Partner am gleichen Strick zieht.» Könnte sie sich selber ein Leben ohne Kinder vorstellen? «Gott sei Dank musste ich mir diese Frage nie stellen und habe mich wahnsinnig gefreut, als ich mit über 30 noch schwanger wurde», meint sie und bedauert: «Andere haben dieses Glück leider nicht.»
Das fortgeschrittene Alter der Frauen mit Kinderwunsch ist für Nordin die Hauptursache, dass künstliche Befruchtungen zunehmen. «Eine 35-jährige Frau hat noch eine Chance von 15 bis 20 Prozent pro Zyklus, auf natürlichem Weg schwanger zu werden. Mit 40 sind es dann nur noch 5 bis 10 Prozent.» Erschwerend kommt hinzu, dass die Spermienqualität des Mannes in den letzten 50 Jahren weltweit abgenommen hat. Die hohen Kosten für eine künstliche Befruchtung (zwischen 8000 und 9000 Franken) sind für viele Paare das grösste Problem; denn sie müssen zu 100 Prozent selbst getragen werden.
Diskretion ist für Nordin oberstes Gebot. Die Journalistin muss vor dem Gespräch eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben. Sie sagt dazu: «Es gehört zum Berufsethos eines Arztes, dass das Patientengeheimnis gewahrt bleibt. Vor allem die Frauen wollen inkognito bleiben. Teilweise aus Angst vor einer Stigmatisierung; oder der Kündigung des Arbeitgebers, wenn in Erfahrung kommt, dass die sich in einem Kinderwunschzentrum behandeln lassen.» Mit all den Hoffnungen aber auch Enttäuschungen ihrer Patientinnen in Gedanken geht Nordin abends nach Hause. «Dort nehmen mich sofort die Kids in Anspruch.»
Baden ist ihre Wahlheimat und für sie der beste Ort der Welt. Nordin engagiert sich im Elternrat der Tagesschule im Ländli, ihr Mann ist Präsident im Quartierverein. «Wir haben uns gut integriert und lieben diese kleine Stadt, die so viel Kultur bietet.» Die Medizinerin lebt sehr bewusst, bezeichnet sich aber auch als Genussmenschen. «Mir tun die Frauen in meiner Praxis oft leid, die sich viele Jahre nur nach dem Eisprung richten. Die ganze Beziehung ist darauf fokussiert. Auch Paare mit Kinderwunsch sollten versuchen, ein normales Leben zu führen», findet sie. Aber Nordin weiss aus ihrer Praxis, dass das leichter gesagt als getan ist.