Die Klosterführung öffnet die Tore zu Kunstschätzen und gewährt Einblicke ins Leben der Zisterziensermönche, die einst das Kloster Wettingen bewohnten. Das Wettinger Kloster ist das besterhaltene mittelalterliche Kloster weit und breit.
Ein Gemurmel hallt dumpf durch den Kreuzgang. Mattes Licht dringt durch die Glasscheiben. Das Gemurmel schwillt an, als ob die Mönche ein Gebet sprechen würden. «Ich lade Sie ein, mir in die Kirche zu folgen», sagt eine klare Stimme. Klosterführer Alfred Hämmerli öffnet das schwere Holztor und gewährt Einlass. Ehrfürchtig schreiten die rund 90 Personen in die Kirche – sie alle nahmen am Sonntagnachmittag an der öffentlichen Führung durch das Kloster Wettingen teil.
Kreuzgang als Friedhof
Der Kreuzgang lädt zum Verweilen ein. Mit Neugierde mustern einige Besucher die detailreichen, frisch restaurierten Glasfenster. «Wenn die Mönche frei hatten, wandelten sie im Kreuzgang, lasen hier die Schriften oder liessen sich die Haare schneiden», berichtet Alfred Hämmerli. Er weist auf die Inschriften auf dem Boden: «Hier war ein Friedhof», erklärt er. «Die Gräber unter den Füssen sollten jeden daran erinnern, dass irgendwann das letzte Stündlein schlägt.»
Die tragische Seite des Mönchslebens eröffnet Hämmerli den Zuhörern mitten in der Klosterkirche: «Im Kloster wurde kein Raum geheizt, abgesehen vom Kalefaktorium», sagt er. «Daher lag die Lebenserwartung der Mönche um die 30 Jahre.» Ein Raunen geht durch die Reihen. Im geschnitzten Chorgestühl aus Eichenholz sitzend, friert es einen an die Füsse, Mitte April. Wie mögen die Mönche das im tiefsten Winter ausgehalten haben?
Zum ersten Mal im Gemäuer
«Es ist spannend, von einem fachkundigen Führer etwas über das Leben im Kloster zu erfahren», sagt Carlos Hebeisen-Takahama aus Killwangen. Mit seiner Familie habe er das Kloster schon öfter von aussen gesehen, drinnen waren sie noch nie. Seit Vreni Gisler an den Klosterspielen mitgewirkt hat, hegt sie eine Faszination für das Kloster Wettingen. «Ich komme aus Neuenhof – da muss man doch etwas über die Geschichte des Klosters wissen», sagt Gisler. Wer zum ersten Mal seinen Fuss ins Kloster Wettingen setzt, glaubt sich in einem Irrgarten wiederzufinden – es ist jedoch gleich aufgebaut wie andere Zisterzienserkloster. «Das Wettinger Kloster ist das besterhaltene mittelalterliche Kloster weit und breit», sagt Alfred Hämmerli – die Klostergeschichte reicht 785 Jahre zurück.
Schulranzen statt Mönchskappe
Seit der kantonalen Klosteraufhebung im Jahre 1841 leben keine Mönche mehr im Haus: Stattdessen wurden die Räumlichkeiten als Seminar und später als kantonale Mittelschule genutzt. Wo einst die Mönche wandelten, strömen heute 1100 Schüler ein und aus.
Religion war das Mass aller Dinge
Vor rund 20 Jahren wurde das Zisterzienserkloster saniert – Hämmerli war als Bauingenieur massgebend an den Restaurationen des Kulturdenkmals mitbeteiligt und kennt die Klosteranlage in- und auswendig. Er möchte den Menschen die Anlage näherbringen und ihnen das Leben der Mönche verständlich machen. «Leider zeigt die Geschichte oft nicht auf, wie die Menschen damals gelebt haben, was ihre Mentalität und ihre Präferenzen waren», sagt der Klosterführer. Die Religion beispielsweise sei im Mittelalter das Mass aller Dinge gewesen. «Heute wird Religion als das Hinterletzte betrachtet; das Geld steht an oberster Stelle.» Er sagt es mit Nachdruck. Die Besucher werden einige Denkanstösse mit nach Hause genommen haben.
Öffentliche Führungen durch das Kloster Wettingen finden im Sommerhalbjahr an einem Sonntag pro Monat statt. Treffpunkt jeweils um 14.30 Uhr im Kreuzgang. Nächste Führungen: 20. Mai, 17. Juni, 8. Juli, 19. August, 30. September. Keine Anmeldung erforderlich.