Nach langer Abwesenheit ist sie wieder da: Die Familie Flöz zeigt «Dr. Nest» im Kurtheater Baden. Das Publikum feiert sie.
Seid ihr das, liebe Mitglieder der Familie Flöz? So sieht und hört man euch doch ansonsten nicht. Ihr macht Lärm, ihr klettert über Stuhlreihen im Parkett, ihr tragt keine Masken und ihr kommt – ganz in Weiss – so daher, als ob ihr aus einer psychiatrischen Klinik ausgerissen wärt. So ist umschrieben, was Prolog ist zu «Dr. Nest»; einem Stück, das tief eintaucht in die zwanghaften, bizarren, komischen und traurigen Gedankenwelten von psychisch versehrten Menschen.
Literarische Fallbeschreibungen aus dem Feld der Neurologie sind der Ausgangspunkt für das Stück «Dr. Nest» der Familie Flöz, die schon länger nicht mehr im Kurtheater zu sehen war. Hier feiert man das für diese Produktion aus fünf Mitgliedern bestehende Ensemble so, wie man es in Baden stets gefeiert hat: enthusiastisch.
Der Beifall, in dem viel Publikumsliebe zur Familie mitschwingt, kommt nicht von ungefähr. Die Faszination der Flözes ist ungebrochen, weil sie zeigen, dass Masken untrennbar mit dem Theater verbunden sind. Masken werden von der Familie so belebt, dass wir glauben, in glatte oder verwitterte, in traurige oder lachende Gesichter zu blicken.
«Dr. Nest» ist ein Paradebeispiel für eine wortlose Kunst, die – dank minutiösem Körpereinsatz und ausgeklügelter Choreografie – Figuren erschafft, die für den Zuschauer leben und eine Geschichte erzählen können. Wie diejenige von «Dr. Nest», der morgens von Stimmen geweckt wird. Wo ist er? In der Heilanstalt «Villa Blanca», die er bestens kennt.
Dorthin wurde er als junger Arzt berufen; dort lernte er Patientinnen und Patienten mit rätselhaften Gepflogenheiten kennen. Doch was ist Jahre später? Dr. Nest klammert sich an seine Mappe, in der sämtliche Aufzeichnungen von einst stecken. Nach und nach erhellt sich seine Vergangenheit, doch am Ende weiss trotzdem keiner, wer Dr. Nest ist – nicht einmal er selbst.
Ein Arzt fällt aus seiner Rolle
Die Familie Flöz (Regie: Hajo Schüler und Michael Vogel) erzählt diese Suche nach sich selbst als ebenso klinisch-weiss, wie nachtblau ausgeleuchteten Traum. Die Wände werden oft verrückt, was auch auf die verrückte Psyche der Klinikbewohner schliessen lässt.
Diese leben in einer eigenen Welt: einer zittert sich zum Klavier; eine wickelt ein Handtuch stets so, dass man einen Säugling zu erkennen glaubt; ein anderer kann ohne seine Trommeln nicht sein. Das anfängliche Unverständnis von Dr. Nest wandelt sich zur Empathie, die den Arzt gar aus seiner Rolle fallen lässt. Er beginnt, im Wettbewerb mit dem Patienten, ebenfalls zu trommeln – bis zum rhythmischen Gleichklang mit diesem.
Diese Szene ist grossartig: und steht stellvertretend für viele andere Szenen. Sie ist wie ein Ballett mit fast, aber wirklich nur fast stürzenden Körpern inszeniert; sie variiert mit dem Tempo; vor allem aber ist sie eines: zutiefst menschlich. Das Scheitern ist darin eingeschlossen. Wir lachen darüber, aber im Grunde sind wir verletzlich – und gerade dadurch offen für Emotionen, die die Familie Flöz zu wecken weiss.