«Aarau hat aufgeholt, und Baden muss aufpassen», sagt der letzte Chefredaktor des «Badener Tagblatts», Hans Fahrländer. Im Gespräch mit Patrik Müller, «Schweiz am Sonntag»-Chefredaktor und publizistischer Leiter des BT, erinnert er sich.
Viele Leser haben 1996 bedauert, dass sie ihre Zeitung verloren, und jetzt freuen sie sich, dass sie zurückkehrt. Das «Badener Tagblatt» galt als sehr gute Zeitung, als Klassiker unter den Regionalzeitungen, und es zog immer gute Journalisten an. Wahr ist aber auch, dass das BT oft in der Kritik stand, vor allem in der letzten Phase – wegen seines rechtsbürgerlichen Kurses. Das hat man vielleicht vergessen. Rückblickend erinnert man sich vor allem an das Gute.
Ich bin ein Aarauer, der nach Baden emigriert ist. Was mir hier schnell auffiel: Es gibt in Baden einen harten Kern von Leuten, die aus Baden sind und die für Baden leben. Vielleicht machen sie die Ausbildung auswärts, aber sie kehren wieder zurück. Baden hat eine starke Identität – das hängt auch mit der Geschichte als BBC-Stadt zusammen, und mit der Geschichte als Bäderstadt.
Ja.
Baden neigt tatsächlich zur Selbstüberschätzung. Als ich vor 35 Jahren nach Baden kam, lebte und sprudelte die Stadt. Das zeigte sich insbesondere in der Kultur: Claque war das einzige professionelle Theater im Kanton und landesweit bekannt. In Aarau sparte man damals gerade die Innenstadtbühne zu Tode. Baden war eine stolze Marke, und ich war stolz, hierherzuziehen. Heute würde ich sagen: Aarau hat aufgeholt, und Baden muss aufpassen.
Städtebaulich ging anderswo wesentlich mehr. Die Staus sind ein Problem, in den Bädern wartet man schon sehr lange auf den Befreiungsschlag, der Ladenmix lässt zu wünschen übrig. Vieles ist blockiert, die grosse Aufbruchstimmung von damals spüre ich nicht mehr. Es ist doch so: Der Badener Geist erhält sich nicht von selbst, er muss gepflegt werden. Baden lebt nicht von der Vergangenheit und von einem stolzen Fest alle fünf oder zehn Jahre.
Ich stiess 1979 zur Redaktion. Die 80er-Jahre waren klar geprägt von Otto Wanner. Er war es, der auf der Redaktion den Ton angab. Sein Sohn Peter Wanner, der heutige Verleger, war zwar sehr aktiv, er baute eine Geschäftsleitung auf und investierte früh ins Regionalfernsehen und -radio, aber er wurde erst später auch fürs Publizistische zuständig. Otto Wanner führte die Redaktion als Verleger, einen Chefredaktor gab es nicht. Erst Anfang 1990 wurden «normale» Zeitungsstrukturen geschaffen, das war auch ein Bedürfnis von Peter Wanner, und so gab es eine Redaktionsleitung ausserhalb der Verlegerfamilie.
Und diesem Gremium standen Sie vor.
Ja, anfänglich aber nur als Primus inter pares. Wir waren zu viert in der Redaktionsleitung: Woldemar Muischneek, Edgar Zimmermann, Hansueli Sonderegger und ich. Die drei Kollegen standen Otto Wanner politisch näher als ich. Dennoch wählte er mich zum Leiter. Der Einfluss von Peter Wanner wuchs dann stetig, und 1993 sagte er, er wolle keine Teamführung mehr, sondern einen Chef. Und so wurde ich bis zum Ende des BT 1996 Chefredaktor.
Die Zeitungen heute und vor 20, 30 Jahren lassen sich nicht vergleichen. Damals hatte die Tageszeitung eine ganz andere Stellung in der Gesellschaft: Sie war fester Bestandteil des Alltags. Jeder las Zeitung. Wir hatten zu BT-Zeiten Gemeinden mit 84 Prozent Haushaltsabdeckung. Heute ist Zeitunglesen bloss noch eine Option, aber keine Verpflichtung mehr. Man liest, was man will, und nicht, was man muss.
Ja, sie bringen tendenziell mehr Unterhaltung und weniger klassische politische Information. Das ist es ja, was Kurt Imhof kritisiert. Ich bin zwar auch der Meinung, dass die Zeitungen sich nach wie vor als demokratisches Aufklärungsmittel verstehen müssen. Aber die Zeitungen sind heute nicht schlechter als damals. Im Gegenteil, es wird viel professioneller gearbeitet.
Ich will nicht in Kulturpessimismus machen und sagen: Die Jungen können kein Deutsch mehr. Aber mir scheint, dass unsere Gesellschaft weniger Wert auf gute Sprache legt, und das zeigt sich schon auch in den Texten der Zeitungen. Mir tut es auch weh, zu sehen, wie bei den Korrektoraten gespart wurde.
Ja, was muss sie überhaupt noch? Früher musste sie das Protokoll der Grossratssitzungen publizieren, das war drei Seiten lang. Es braucht heute weniger, aber immer noch Service public, das ist wichtig für das Funktionieren der Demokratie. Entscheidend ist, dass sich die Zeitung – zumindest bei den interessierten Leuten der Region – unentbehrlich macht. Dass man sie gelesen haben muss, dass man über sie redet, dass man sich auch mal über sie aufregt. Dazu braucht es eine Prise Frechheit und Angriffigkeit. Das wiederum setzt aber voraus, dass die Journalisten viel wissen und ihr Handwerk verstehen.