Baden
Märchenstunde vor Gericht: Klägerin und Beschuldigter übertrafen sich gegenseitig

Dieser Gerichtsfall verlangte viel Geduld von Richterin Gabriella Fehr. Die 50-jährige Klägerin beschuldigte ihren verflossenen On-Off-Liebhaber sie gewaltsam bedroht zu haben. Die Aussagen im Gerichtssaal sponnen das Bild eines Labyrinths aus Liebe und Lügen.

Rosmarie Mehlin
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Bezirksgericht Baden (Archivbild)

Bezirksgericht Baden (Archivbild)

Walter Schwager

Liebe, Intrigen, Gewalt, Lügen, Hoffnung, Enttäuschung – das ist der Stoff, aus dem gemeinhin Dreigroschen-Romane geschaffen sind. Vor Gericht war all dies sozusagen als Hörbuch zu verinnerlichen. Die beiden Protagonisten traten allerdings getrennt auf. Zum Verhandlungstermin im April war der beschuldigte Burim (alle Namen geändert) zufolge Krankheit nicht erschienen. So hatte Einzelrichterin Gabriella Fehr zunächst nur Klägerin Semira als Auskunftsperson befragt. Die 50-jährige gebürtige Türkin ist schlank, trägt zu den hautengen Jeans Stiefel mit klobigen Absätzen. Ihre Lippen sind wuchtig aufgespritzt, der rabenschwarze Pferdeschwanz ist aus seidigem Kunsthaar. Sie redet wie ein Wasserfall – mit Jahreszahlen allerdings steht sie auf Kriegsfuss.

Nebulöse On-Off-Beziehung

Klar wird einzig, dass sie Burim seit 2015 kennt. Dies bestätigt auch der 41-jährige gebürtige Albaner, als er acht Wochen später vor der Einzelrichterin sitzt. Obwohl hier aufgewachsen und längst eingebürgert, ist sein Deutsch ziemlich mangelhaft. Er habe, sagt Burim, im Dezember 2017 geheiratet und sei drei Tage später Vater geworden. Er habe ihr, sagt Samira, im März oder April 2018 einen Heiratsantrag gemacht. «Er beauftragte mich, bei der Gemeinde die Papiere zu besorgen, da er keine Zeit dafür habe.» Burim stellte all dies vehement in Abrede.

Einig sind er und Samira immerhin, dass sie eine On-Off-Beziehung führten – nebulös ist, wie lange diese dauerte. Burim sagt, als er im Januar 2018 im Spital lag, habe Samira ihn besucht. «Als dann ein Freund und meine Frau mit unsrem Kind kamen, ist sie gegangen.» Laut Samira war Burim 2017 im Spital. «Ich habe für ihn noch extra ein Pyjama kaufen müssen.»

Zwei geplatzte Heiraten

Wie auch immer – der dramatische Höhepunkt ereignete sich an einem Sonntag im Mai 2018. Laut Samira hatte «Bauunternehmer» Burim sie telefonisch in sein Magazin beordert. Dort war offenbar auch Arcun, ein Mazedonier, der Semira umgehend über Burims Heirat und Vaterschaft aufklärte. «Burim verneinte das, hat gleichzeitig aber unseren Ehevertrag zerrissen.» Danach, so Samira weiter, habe er sie am Nacken gepackt, mit einem Messer herumgefuchtelt und mindestens fünfmal ‹ich bring dich um› geschrien. «Wäre Arcun nicht dazwischen gegangen, hätte er mich verletzt oder getötet. Dabei habe ich ihn doch geliebt.»

«Das stimmt alles nicht. Sie hat mich einen ‹Huresohn› und meine Mutter eine Schlampe genannt, gesagt das Kind sei nicht von mir und mir eine Ohrfeige gegeben.» Unverhofft packt Burim vor Gericht einen wuchtigen Kerzenständer aus Glas aus: «Zwei solche hat Samira mir gestohlen.» Im Übrigen habe sie Arcun mal 4000 und mal 6000 Franken gegeben, «damit er vor der Polizei gegen mich aussagt. Zudem wollte Arcun Samira zwecks Erhalt einer Aufenthaltsbewilligung heiraten.» Leider war und ist Arcun nicht auffindbar und wollen weder Burim, noch Samira eine blasse Ahnung haben, wo er abgeblieben ist.

Burim, breitschultrig, in Jeans, Hemd und dunkelblauem Blazer, hat zwei kleinere bedingte Vorstrafen auf dem Kerbholz – eine wegen schuldhaftem Konkurs und eine, weil er Autoschilder nicht abgegeben hatte. Nun war er nebst mehrfacher Drohung und Tätlichkeit auch der Zechprellerei beschuldigt. Im Sommer 2017 hatte er rund zweieinhalb Monate im Motel City in Spreitenbach logiert, «weil ich keine Wohnung hatte». Als er ausgecheckte, blieb er die Zeche für die die letzten 10 Tage - 1000 Franken – schuldig. Warum? «Ich konnte nicht zahlen. Überdies hatte der Motel-Chef mich wegen einem grossen Stromausfall um Hilfe gebeten. Ich musste sogar Arbeiter anstellen, aber er hat mir keinen Rappen dafür bezahlt.»

Er habe auch Belege dafür, dass er die Arbeiter aus seiner eigenen Tasche entlöhnte, hatte Burim bei den Einvernahmen versichert, solche aber ebenso wenig vorgelegt, wie dem Gericht. «Ich habe sie daheim vergessen.» Nach wortreichem, wirrem Hin und Her, bekannte er sich schliesslich aber der Zechprellerei schuldig.

Richterin zeigt viel Geduld

Gabriella Fehr, die während beiden Verhandlungen sehr viel Geduld hatte aufbringen müssen, verurteilte Burim wegen Zechprellerei zu unbedingten 2100 Franken Geldstrafe und verpflichtete ihn zur Zahlung der ausstehenden 1000 Franken. Von Drohung und Tätlichkeiten sprach sie ihn frei: «Nicht weil ich ihnen glaube, sondern weil das Ganze eine sehr komische Sache ist und so viele Lügen und Unklarheiten darin stecken, dass im Zweifel für den Angeklagten entschieden werden muss.»