Kolumne
Mein Freund A. – der sogar im Spital über die vergessene Kamera in seinem Dünndarm lacht

In seiner neuen Kolumne schreibt Weinhändler Daniel Cortellini über einen Spitalbesuch, eine überraschende Begegnung und ein fast unglaubliches Versäumnis.

Daniel Cortellini
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Der Mann musste mehrere Wochen im Spital bleiben – wegen einer vergessenen Kamera in seinem Dünndarm. (Symbolbild)

Der Mann musste mehrere Wochen im Spital bleiben – wegen einer vergessenen Kamera in seinem Dünndarm. (Symbolbild)

Keystone

Wer geht denn schon gerne ins Spital! Und wenn schon, dann lieber als Besucher! Wie mir kürzlich ergangen, als ich meinen Freund A. besuchte. 12. Stock, Zimmer 13 – und da sehe ich ihn auch schon. Neben seinem Bette. Angezogen und quietschfidel, als ob er selber sein Bett besuchen würde. Ohne Hut, aber in edler Leine erzählt er mir, wie ihm ergangen ...

Eigentlich fast ganz harmlos, musste er doch nur «ein bisschen Blutverlust» im Dünndarm abklären lassen und – händ sie gmacht! – sagt er mir mit seinem unverkennbar ungarischen Akzent, mit schelmischem Lächeln!

Die Abklärung sei ohne nennenswertes Resultat vonstatten gegangen, dies mit einer Kamera, doch leider sei diese wunderbare Kamera im Dünndarm meines Freundes vergessen worden, quasi liegen geblieben. Und weil so ein Ding ja ganz ordentlich Geld kostet, wollten die Spitalmenschen nun eben ihre Kamera zurück. Weshalb sie zwei Wochen lang allerlei Mittel an ihm ausprobiert hätten ...

Daniel Cortellini

Daniel Cortellini betreibt an der Rathausgasse in Baden ein Fachgeschäft für Schweizer Weine. Er ist in Baden aufgewachsen und war während fünf Jahren Präsident der Unteren Altstadt Baden.

Nun kann man lachen oder weinen ob dieser Konstellation – doch A. lacht natürlich! Und das herzhaft! Aber wiederum schelmisch. Denn er weiss genau, was dies bedeuten könnte, die Spitalmenschen guseln da ganz bös in seinem angejahrten Organismus ... Heikle Sache als Ü80! Wir teilen deshalb auch mal Endzeit-Gedanken und ich verdrücke eine Träne, denn ohne ihn wärs irgendwie farblos in unserem Städtchen. Ich will es mir noch lange nicht vorstellen.

Doch dann sprüht er weiter, mit der Sicherheit eines Menschen, der schon viel erlebt hat. Wir sprechen über Badener Persönlichkeiten und ich staune, dass er mir nach wie vor noch immer einen Schritt voraus ist! Seine schnarrende Stimme kratzt am Lack unserer Mitmenschen und Politiker genau dort, wo sie am schönsten glänzen.

Er bestätigt mir meine geheimsten Gedanken in einer Selbstverständlichkeit und Raffinesse, die mich schwer beeindrucken. Er nimmt die neuesten Erkenntnisse auf wie ein Jungspund und integriert sie in seine Haltung. So quittiert er meine bescheidenen Gesprächs-Beigaben zum Schluss quer durchs Spitalkaffee: Ich danke Dir, für diese neuen Gedanken – die muss ich unbedingt bei mir einfliessen lassen. Sagt er und zieht ab in Richtung Röntgenarzt. Weil, die wollten ihm glaub auch noch was sagen ...

Natürlich hat er bereits alle freundlichen Menschen im Spital mindestens einmal umarmt und angesteckt mit seiner listigen Persönlichkeit und seinen blitzenden graublauen Augen. Denn er ist gleichzeitig ein philosophisches Perpetuum mobile, mein Freund ... Als einer von zahlreichen ungarischen Flüchtlingen ist er vor Jahrzehnten in unserer Stadt gestrandet und hat diese lieben gelernt und ebenso selbstbewusst wie hoch talentiert auch mitgeprägt. Er hat eine wunderbare Balance zwischen gesunder Selbstbezogenheit und öffentlicher Bereicherung gefunden und zahlreiche regionale Persönlichkeiten dazu gebracht, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Denn in uns allen schlummert die Wahrheit, aber darauf bin ich auch ohne ihn gekommen.

Mein Freund A. hat mich ganz am Anfang meiner «Kolumnen-Karriere» dazu angehalten, auch mal eine «zärtliche» Kolumne über einen Badener Menschen zu schreiben. Dass sie über ihn sein würde, hat uns jetzt wohl beide ein bisschen überrascht.