Lehrer Patrick Hersiczky berichtet in seiner Kolumne "Aus der Geschützten Schulwerkstatt" aus seinem Arbeitsalltag. Heute schreibt er über den angeblich typischen Lehrer.
Kürzlich sagte mir jemand, ich sei kein typischer Lehrer. Wir hatten uns über Schule unterhalten und dabei hatte ich mich wie so oft kritisch geäussert. Ich sagte etwa, dass wir in den Schulen bald mehr therapieren als unterrichten. Dieses Mal gehts aber nicht um meinen Travel-Survival-Kit im erlebnispädagogischen Tipidorf. Sondern darum, dass ich kein typischer Lehrer bin. Und das ist gut so! Es ist wie ein pädagogisches Coming-out an: anders sein und doch nicht richtig dazugehören.
Aber definieren wir zunächst, was einen typischen Lehrer ausmacht. Sind wir wirklich die klagenden Ferientechniker, die endlos diskutieren können? Ja, das trifft leider zu – für fast alle Lehrpersonen zumindest. Wie man das aushält? Ein Lehrerkollege mit Herzproblemen hat mir schon Beta-Blocker angeboten. Ich habe wohl wirklich mies ausgesehen. Und die vielen Ferien? Ja, offiziell nennt man dies unterrichtsfreie Zeit. Aber Hand aufs Herz: Ein Saisonnier in einer Bündner Skihütte arbeitet den Winter über mehr als ich im ganzen Schuljahr.
Manche sagen auch, dass unser Studium nicht besonders anspruchsvoll sei. Nun ja, ich habe einst ein Ingenieurstudium an der ETH begonnen, dies nur zehn Tagen später erfolgreich abgebrochen, um mich dann für die Sekundarlehrerausbildung zu entscheiden. Eine Übungsstunde an der ETH war damals prägend: Bis ich die Matheaufgabe abgeschrieben hatte, posaunten Kommilitonen bereits die Lösung aus den hinteren Reihen heraus. Gegen diese Nerds, die sicher bis früh morgens an einer Studentenparty herumhingen, war ich chancenlos.
Patrick Hersiczky (47) unterrichtet im Kanton Zürich und lebt in Baden. Als freier Journalist schreibt er für die AZ und den Mamablog des «Tages-Anzeigers». Die Kolumnen sind wahrheitsgetreu, aber mit einer Prise Selbstironie versehen.
Was für ein tiefenentspannter Kontrast war danach das Studium am Seminar für Pädagogische Grundausbildung (SPG). Feierlich hat man uns gescheiterte Akademiker in der barocken Aula des SPG empfangen und mit Reden über vergangene Heldentaten von Pestalozzi eingelullt. Man wollte Hurra schreien und einer dachte bestimmt: Nun bin ich an der Spitze der pädagogischen Nahrungskette.
Im SPG ging es zudem gemütlich und kreativ weiter: Zeichnen, Musik und Schnürlischrift. Ja, nicht diese öde Basisschrift, die heute auch Microsoft im Angebot hat. Glücklicherweise hat mich damals eine Montessori-Lehrerin unterrichtet, denn mein schiefes Gekritzel hat sie gerade noch mit einer Genügend bewertet. Mein unvergessliches Highlight war aber die Projektwoche im Zoo: Wir mussten Pavian-Männchen beim Kopulieren beobachten und deren Anzahl Partnerinnen zählen. Und dies ohne intellektuelle MeToo-Debatte im Zoo-Café. Wir glaubten der gescheiterten Bio-Lehrerin, dass dies wissenschaftliches Arbeiten sein musste.
Hoffentlich haben Sie bis jetzt meine Nestbeschmutzer-Kolumne ertragen – oder darüber geschmunzelt (was mir lieber ist). Wenn Sie aber selber Lehrerin oder Lehrer sind und noch nicht aus dem Text ausgestiegen sind (ich staune), dann ergänze ich gerne: Wir leisten während des Semesters viel und müssen täglich pubertierende Jungs und Mädels ertragen. Oder sind Sie nicht Pädagoge? Ja, bestimmt (sonst hätten Sie nicht bis hier gelesen). Aber Sie sehen Ihre Klischees nicht bestätigt? Nun, ich bin wahrlich kein typischer Lehrer. Und das ist gut so!