Startseite
Aargau
Baden
Die Gewerbler von Mellingens Altstadt blicken in die Zukunft, wenn das Städtli vom Durchgangsverkehr mit täglich 15'000 Autos befreit wird. Nicht überall herrscht uneingeschränkte Freude.
Mellingens wunderschöne Altstadt − 1228 erhielt das Kleinod an der Reuss das Stadtrecht − lädt zum Verweilen ein. Doch davon bekommt derzeit praktisch niemand etwas mit: Rund 15'500 Fahrzeuge drängen sich pro Tag schneckenähnlich (meistens geht es im Schritttempo) von Tor zu Tor durch die Hauptgasse, um weiter nach Baden, Lenzburg oder ins Freiamt zu gelangen.
Am kommenden Wochenende, 14. und 15. November, haben in der Mellinger Altstadt rund 20 Geschäfte und Restaurants geöffnet, um auf die Vorweihnachtszeit einzustimmen. Möglicherweise wird Besuchern der Altstadt erst dann bewusst, wie massiv die Verkehrsbelastung ist. Nach jahrzehntelangem Kampf konnte in diesem Sommer endlich mit den Bauarbeiten für die Umfahrung begonnen werden. Die Gewerbetreibenden und Gastwirte in der Altstadt freuen sich alle darauf.
Ihre Reaktionen sind dennoch sehr unterschiedlich: Einige haben schon sehr konkrete Vorstellungen und Wünsche − zum Beispiel, dass die gesamte Altstadt auf einer Ebene sein wird und die Trottoirs verschwinden. Andere haben sich über die Zeit ohne Durchfahrtsverkehr noch keine Gedanken gemacht oder gehen davon aus, dass sich für sie praktisch nichts ändern wird. Während einige Gewerbler auf einen markanten Anstieg der Laufkundschaft hoffen, befürchten andere Läden Einbussen durch den dereinst wegfallenden Verkehr.
Auf jeden Fall wird sich das Erscheinungsbild deutlich verändern, wenn endlich die langersehnte Umfahrung eröffnet werden kann und dadurch die Altstadt massiv vom Durchgangsverkehr entlastet werden soll. Wer wüsste das besser als Franz Meier? Der rüstige Rentner ist aus der Altstadt nicht mehr wegzudenken, steht er doch an der Hauptgasse seit mehr als 62 Jahren täglich in seinem Coiffeursalon. «Natürlich freuen wir uns drauf», meint der 81-jährige Mellinger. «Die Leute scheuen doch den Verkehr», ist er überzeugt.
Das sagen die restlichen Gewerbler dazu:
Nicht ganz so lange, aber auch schon seit 34 Jahren bedient Claudia Haus-Widmer in der Drogerie «C. Haus» ihre Kundschaft. Auch sie freut sich wie alle anderen. «Aber es darf nicht völlig verkehrsfrei werden. Man muss schon noch mit dem Auto zum Geschäft fahren können», betont sie.
Noch ein Jahr länger führt Barbara Liechti das Bijouterie-Geschäft an der viel befahrenen Hauptgasse. «Ich denke, für die Geschäfte könnte es schlechter werden. Aber zum Wohnen in der Altstadt wird es sicherlich massiv besser», ist sie überzeugt. Der ehrgeizige Plan ist, dass sofort nach der Eröffnung der Umfahrung mit den Bauarbeiten in der Altstadt begonnen werden kann. Diese Zeit macht Liechti besonders Bauchschmerzen: «Dann können wir uns gleich in die Ferien abmelden», befürchtet sie. Trotzdem blickt sie positiv in die Zukunft: «Bremgarten hat es auch geschafft.»
Andi Schweizer führt schon 20 Jahre lang die Harlekin-Bar. «Ich habe die Hoffnung, dass es besser wird. Aber wir sind im ersten Stock und ich denke, dass sich für uns wenig ändern wird. Ich habe mir auch noch nicht so viele Gedanken gemacht», gibt er zu.
Und sein herzhaftes Lachen «sieht» man auch unter der Maske. Im Erdgeschoss, unter der Harlekin-Bar, befindet sich der Imbiss Viva Pizza Kebab von Süleyman Dogan. «Für das Geschäft ist Verkehr immer gut», meint der 56-jährige Türke. Aber leider sei das meiste nur Durchgangsverkehr. Ruhe würde Besserung bringen, findet auch Dogan.
Seit drei Jahrzehnten ist Anita Serino aus Büblikon Wirtin im Hotelrestaurant Löwen. «Ich habe etwas Bedenken für die Geschäfte. Der Denner war der letzte Lebensmittelladen. Es fehlt ein Metzger oder ein Kleiderladen», gibt sie zu bedenken. Aber sie würde sich natürlich freuen, wenn sie ein paar Tische rausstellen könnte und dort Gäste verweilen: «Es hat eine wunderschöne Abendsonne hier.»
Neben den alteingesessenen gibt es auch Wirte, die ganz neu an der Hauptgasse sind: Die Vorarlbergerin Sabrina Fraissler hat das Gasthaus Weisses Kreuz genau wie Claudia Lindauer die Gadestube zum Scharf Eck erst kurz vor Weihnachten 2019 übernommen. Kaum gestartet, wurden sie durch Corona schon wieder gestoppt. Doch beide hoffen, von der Umfahrung zu profitieren und den flanierenden Passanten ein paar Tische im Aussenbereich anbieten zu können.
Andere Gewerbler sinnieren nun bereits, selbst Teil der Altstadt-Passanten sein zu können. Sabrina Saindo vom Coiffeursalon Hairlich möchte mit ihrer dreimonatigen Tochter dereinst durchs Städtchen spazieren. Für Mellingen ergibt sich eine Chance, sich neu zu positionieren.