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Seit 30 Jahren kurvt «Milchmann» Daniel Rub (53) nun schon mit seinem «Milchexpress» herum – und bietet einen Treffpunkt. Er ist in seiner Aufgabe ganz in seinem Element.
Vor dem Eingang des Alterszentrums Kehl in Baden tut sich nicht viel. Wo an wärmeren Tagen die Leute bereits draussen stehen und «ungeduldig auf den Milchexpress warten», wie es die Rezeptionistin des Alterszentrums beschreibt, wartet an diesem Dienstagnachmittag niemand ungeduldig auf das weisse Gefährt mit der blauroten Aufschrift «Milchexpress». Es ist zu kalt. Dann ist es so weit: Der auffällige Lieferwagen kurvt den Hügel zum Kehl hinauf, stoppt direkt vor der Eingangstür und bimmelt – das unverkennbare Zeichen für alle Kunden: Der «Milchexpress» ist da! Und plötzlich tut sich noch viel mehr. Immer mehr Bewohner des Alterszentrums kommen langsam aus ihren warmen «Verstecken» und stellen sich in die Reihe vor den Eingang des Verkaufswagens.
Seit 30 Jahren kurvt «Milchmann» Daniel Rub (53) nun schon mit dem rollenden Verkaufswagen herum und beliefert an sechs Tagen die Woche, von Montag bis Samstag, mit seinem «Milchexpress» die Menschen in und rund um Wettingen. Am 12. Dezember letzten Jahres konnte er auf sein 30. Dienstjubiläum anstossen, obwohl er es gar nicht an die grosse Glocke hängen wollte; bescheiden, wie er ist: «Ich dachte wirklich, das wüsste sowieso niemand.» Er wurde eines Besseren belehrt: «Um mir zum Jubiläum zu gratulieren, haben sich einige meiner Stammkunden zusammengetan und an den verschiedenen Stellen, an denen ich Halt mache, kleine Plakate aufgehängt», erinnert er sich mit Freude. An diesem Tag empfingen sie ihn am Ende seiner Tour mit einer «30» aus brennenden Kerzen und gemeinsam stiessen sie bei einem Apéro auf sein Jubiläum an. Über diese Wertschätzung seiner Arbeit freut er sich sehr.
Daniel Rub ist in seiner Aufgabe als «Milchmann» ganz in seinem Element. Nicht alle seiner Kunden hier beim Kehl können selber in den Lieferwagen einsteigen, die drei Stufen sind eine unüberwindbare Hürde für sie. Und so hilft Rub ihnen bei ihrem Einkauf. Eine ältere Dame gibt ihm ihren Einkaufszettel ab: «Ich brauche Kaffee, Biberli und heute auch wieder einmal von diesen kleinen Schöggeli, die aussehen wie grosse», erklärt sie. Wer das Innern des Lieferwagens zum ersten Mal sieht, ist überrascht darüber, wie viel darin Platz findet. Natürlich nicht nur Milch, Käse und Joghurt, die in der Milchzentrale in Wettingen, der familieneigenen Molkerei, hergestellt werden, sondern viel mehr: «Er hat einfach alles», schwärmt einer der Senioren. «Von Mayonnaise über Teigwaren bis zu Wasch- und Putzmittel; hier können wir alles einkaufen, was wir benötigen.»
Ich finde es schön, mit dem Laden auch ein Treffpunkt für die Menschen zu sein.
(Quelle: Daniel Rub, «Milchexpress»)
Eine ältere Dame erzählt, dass es ihr sehr entgegenkomme, die schweren Sachen bei Rub kaufen zu können und nicht den beschwerlichen Weg in einen weiter entfernten Laden auf sich nehmen zu müssen. «Wir sind ‹gottefroh›, dass es ihn gibt», schwärmt die Kehl-Bewohnerin mit dem Einkaufszettel. Für sie packt Rub im Lieferwagen die gewünschten Dinge ein, steigt die Stufen wieder herunter und stellt ihr die volle Tasche auf den Rollator, damit die Dame ihre Einkäufe bezahlen kann. Er klaubt das Geld aus ihrem Portemonnaie, weil sie zu stark zittert.
Die Menschen vertrauen Daniel Rub. Er ist ein beständiger Ankerpunkt – und eine willkommene Abwechslung hier im Kehl, dem einzigen Standort in Baden, den er jeden Dienstag und Donnerstag beliefert. Man spürt, die Menschen sind wirklich froh um die Dienstleistung, die Daniel Rub und seine Familie mit dem rollenden Verkaufswagen anbieten.
Rub startet seinen Arbeitstag jeden Morgen um 7.30 Uhr bei der Milchzentrale in Wettingen, der Molkerei mit Laden, die von Vater Rub gegründet wurde und immer noch ganz in der Hand der Familie ist. Dort füllt er die Gestelle auf, bevor er um 8.30 Uhr zum ersten Standort losfährt. Die Idee mit dem Verkaufswagen kam von einem seiner zwei Brüder. Dieser hatte dasselbe Konzept in Solothurn entdeckt. Und so dachte sich Familie Rub, das funktioniere vielleicht auch hier in der Region. Gibt es doch auch hier Quartiere, die nicht gut mit Verkaufsläden erschlossen sind, und Menschen, die zwar noch zu Hause leben, aber nicht mehr so weit laufen oder gut tragen können.
Der «Milchexpress» ist aber nicht nur Einkaufsmöglichkeit, sondern auch Treffpunkt. «So sehe ich meine Nachbarn wenigstens wieder einmal», vertraute eine Quartierbewohnerin Daniel Rub einmal an. Das sei aber auch traurig, findet er: «Da wohnt man so nah und doch sieht man sich selten.» Dass er mit seinem «Milchexpress» auch als Treffpunkt dient, gibt ihm sehr viel. Ausserdem mag Rub den Kontakt mit Menschen, er hilft ihnen, wo Not am Mann ist, weiss bei vielen, was sie jedes Mal einkaufen – und auch wenn das Halte-Programm dicht ist, verliert er nie die Geduld. «Heute habe ich einer 98-jährigen Frau die Einkäufe bis nach Hause getragen. Ich finde es schön, dass ich einen Teil dazu beitragen kann, damit jemand wie sie, die sonst noch gut zwäg ist, weiterhin daheim leben kann.» Manchmal führt diese Hilfsbereitschaft auch zu Verzögerungen während der Tour. Das bringt ihn zwar nicht aus der Ruhe, aber es komme dann halt zu Reklamationen, weil er zu spät sei. Ihn bringt das aber nicht aus dem Konzept.
Was ihn viel mehr nervt, ist, wenn etwas an seinem Gefährt kaputt geht: «Es ist nervenaufreibend, wenn man unterwegs ist und plötzlich etwas nicht mehr funktioniert.» Immerhin: Erst einmal war es so prekär, dass der Wagen abgeschleppt werden musste. «Da blieb mir nichts anderes übrig, als mich an den Orten abzumelden, wo sie mich erwarteten», bedauert Rub. Bisher erwiesen die Fahrzeuge des «Milchexpress» aber sonst guten Dienst: In den 30 Jahren musste erst einmal ein neues her.
Ursprünglich hat Daniel Rub Schlosser gelernt, doch auf dem Beruf hat er nur ganz kurz gearbeitet. Die Aufgabe als «Milchmann» ist seine Herzensangelegenheit. Abends, wenn er fertig ist, widmet sich der alleinstehende Rub am liebsten seinem 25-jährigen Pferd Cinzana oder seiner Kunst aus Eisen. Seine Arbeiten, in liebevoller und stundenlanger Handarbeit erschaffen, schmücken seinen Garten am Wettinger Dorfrand. Er ist stolz auf seine «Bilder aus Eisen», wie er sie nennt, und fertigt sie auch auf Auftrag an. So steht eines seiner Werke, ein Leuchtturm, bei einer grösseren Firma in Wettingen.
Werbung macht er keine, weder für seine Kunst noch für den «Milchexpress». Online ist die Milchzentrale der Familie Rub (noch) nicht zu finden. Trotzdem: Die Mund-zu-Mund-Propaganda funktioniert. Obwohl inzwischen grössere Detailhändler mitmischen, sagt Rub: «Das Geschäft rentiert.» Er hofft, dass es so bleibt und er bis zu seiner Pension den Menschen mit dem «Milchexpress» Freude bereiten kann.