«Montaigne-Platz»
Neue Strassennamen in Baden? Stadt soll berühmte Kurgäste würdigen

Im Herbst eröffnet das neue Thermalbad. Die richtige Gelegenheit, um Poggio Bracciolini und Michel de Montaigne zu ehren, fordert ein FDP-Einwohnerrat. Die beiden Denker schrieben vor rund einem halben Jahrtausend über ihren Aufenthalt im Bäderquartier Sätze wie diesen: «Ich sehe nicht, was diesem Orte fehlen könnte zu vollendeter und in jeder Beziehung zur Vollkommenheit gebrachter Lust.»

Pirmin Kramer
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Eine Bewohnerin hat die Treppe in Baden bereits eigenhändig umbenannt – der Name soll nun offiziell werden.

Eine Bewohnerin hat die Treppe in Baden bereits eigenhändig umbenannt – der Name soll nun offiziell werden.

pkr (12. Juli 2021)

Inoffiziell heisst die Treppe im Bäderquartier bereits Scaletta Poggio Bracciolini. Eine Badenerin hat ein entsprechendes Schild an der Wand angebracht. FDP-Einwohnerrat Caspar Zimmermann findet: In Baden sollen Plätze oder Strassen dauerhaft und offiziell nach dem italienischen Humanisten umbenannt werden. Und auch Michel de Montaigne, einer der einflussreichsten Philosophen der französischen Renaissance, soll auf diese Weise gewürdigt werden.

Poggio Bracciolini (1380-1459): «In Baden feiern die Leute Festtage, wie es ihnen beliebt»

Poggio Bracciolini (1380-1459): «In Baden feiern die Leute Festtage, wie es ihnen beliebt»

Dea Picture Library / De Agostini Editorial

Der Grund: Beide waren einst Kurgäste in Baden, und beide haben ihre Erlebnisse dokumentiert. Poggio Bracciolini, der Sekretär von insgesamt acht Päpsten, war vor ziemlich genau 600 Jahren, genau genommen im Jahr 1416, zu Gast in der Stadt. Sein «Brief über die Bäder zu Baden» an einen Freund in Florenz ist aus philosophischer Sicht bedeutend, weil er eine Gegenwelt gegen die brutale religiöse Dogmatik des frühen christlichen 15. Jahrhunderts enthält, wie es im Vorstoss von Zimmermann heisst.

«...dann und wann werden verborgene Teile des Körpers enthüllt»

Der Brief zeigt gleichzeitig auch anschaulich, wie es damals in Baden zu und herging. «An recht vielen Orten benützen Männer und Frauen denselben Eingang in die Bäder, sodass es sehr oft vorkommt, dass ein Mann einer halb nackten Frau, eine Frau einem spärlich bekleideten Mann begegnet», schreibt Bracciolini, und weiter: «Die Frauen haben die Gewohnheit, wenn Männer von oben auf sie herabschauen, scherzhaft um eine Spende zu bitten. Also wirft man ihnen kleine Münzen zu – und zwar den schöneren –, die sie teils mit den Händen auffangen, teils, indem sie die Leinengewänder aufspannen, und dabei drängt die eine die andere zur Seite; bei diesem Spiel werden auch dann und wann verborgenere Teile des Körpers enthüllt.»

Bracciolini schreibt weiter: «Wenn Lust ein glückseliges Leben bewirken kann, so sehe ich nicht, was diesem Orte fehlen könnte zu vollendeter und in jeder Beziehung zur Vollkommenheit gebrachter Lust.» Und er bilanziert über das Leben in den Bädern: «Immerzu lechzen wir in unersättlicher Gier nach materiellen Gütern und widmen uns niemals unserem Gemüt, niemals unserem Körper. Die Leute hier jedoch leben, mit wenig zufrieden, in den Tag hinein, feiern Festtage, wie es ihnen beliebt, ohne auf ganz und gar nutzlose Reichtümer aus zu sein, freuen sich an dem, was sie haben, erschaudern nicht vor Zukünftigem; wenn ihnen etwas Widriges widerfahrt, tragen sie es mit Gelassenheit. So macht sie reich allein der Spruch ‹Solange er lebte, hat er gut gelebt›.»

Michel de Montaigne verbrachte 1580 eine Woche in Baden. Er erwähnte lobend, dass die Badener mit Messer und Löffel und nicht mit den Fingern ässen.

Michel de Montaigne verbrachte 1580 eine Woche in Baden. Er erwähnte lobend, dass die Badener mit Messer und Löffel und nicht mit den Fingern ässen.

Sepia Times / Universal Images Group Editorial

Michel de Montaigne weilte vom 1. bis zum 7. Oktober 1580 zur Kur in den Bädern. In seinem «Reisetagebuch» lobt er die «grossartigen» Unterkünfte, die Badener Kachelöfen und die «schönen Promenaden am Fluss entlang». Über die Badener sagt Montaigne, sie seien «sehr umgänglich, vor allem, wenn man sich den ortsüblichen Gebräuchen anpasst». Lobend erwähnt Montaigne zudem, dass die Badener mit Messer und Löffel und nicht mit den Fingern ässen und grosse Servietten benutzten.

Zurück in die Gegenwart: Caspar Zimmermann findet, beispielsweise die Treppe, oder auch ein Abschnitt der Limmatpromenade oder allenfalls ein Park könnte nach den beiden Denkern benannt werden. «Das gäbe der Stadt einen Hauch Internationalität, und es wäre auch eine Marketing-Massnahme, die kaum Geld kostet.» Wichtig sei, dass keine offiziellen Postadressen umbenannt werden müssen. Als Nächstes wird sich der Einwohnerrat mit der Idee befassen, danach allenfalls der Badener Stadtrat.