Wohlenschwil
Nach 40 Jahren im selben Beruf: «Jetzt will ich einmal auf null runterfahren»

Markus Jost ist seit 40 Jahren Gemeindeschreiber und hat am Freitag seinen letzten Arbeitstag.

Ursula Burgherr
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Er hat das Dorf geprägt: Markus Jost geht in Pension.

Er hat das Dorf geprägt: Markus Jost geht in Pension.

Alex Spichale

Markus Jost trägt beim Empfang der Presse im Gemeindehaus Wohlenschwil ein legeres Sommerhemd und Jeans. Er wirkt total entspannt. Wie ein Mann, den nichts so schnell aus der Ruhe bringen kann. Ist das so? «Meistens», meint er und seine Augen blitzen schelmisch. Dann wird er wieder ernst und rückt seine Brille zurecht: «Aber nicht immer.» Man sieht ihm an, dass sein Gedankenkarussell läuft, als er sagt: «Wenn die Gemeinde ungerecht behandelt wird und ich mit persönlichen Beleidigungen konfrontiert werde, kann ich auch laut werden.»

40 Jahre hat der wenige Tage vor der Pensionierung stehende Jost das kleine Dorf als Gemeindeschreiber geprägt – und so manche hitzige Diskussion führen müssen. «Seit ich hier bin, steht praktisch kein Stein mehr auf dem anderen. Wir haben ein Gemeindehaus, zwei Schulhäuser und eine Turnhalle gebaut. Aus anfänglich 735 Einwohnern wurden 1600. Es entstanden entsprechend mehr Häuser und Wohnungen. Sämtliche Leitungen und Strassen wurden erneuert», so der gebürtige Müheler. «Ich kann mit Stolz sagen, dass wir der kommenden Generation eine Kommune mit einer intakten Infrastruktur und gesunden Finanzen hinterlassen.» Dies, obwohl Wohlenschwil finanziell nie gut dagestanden sei und immer um jeden Franken gekämpft wurde.

Bei der neuen Turnhalle (Halle blau) musste er sich weit zum Fenster hinaus lehnen und sich gegen viele Widerstände behaupten. «Heute profitiert die Jugend davon», erzählt der 65-Jährige. Auch die Zusammenlegung der Schulen Mellingen und Wohlenschwil, der Bauämter Mägenwil und Wohlenschwil sowie der Feuerwehren Mellingen, Wohlenschwil, Tägerig und Mägenwil stiess Jost mit an. Trotz anfänglicher Opposition. «Wenn wir den Kritikern ehrlich die Vor- und Nachteile aufzeigten, kam es meistens gut», erklärt er und gibt sich pragmatisch: «Man kann es nie allen recht machen.»

Auch an Leib und Leben bedroht

Die grösste Herausforderung in seinem Job sei für ihn denn auch, sich abzugrenzen. «In meiner öffentlichen Position war ich oft Blitzableiter für angestauten Frust.» Grosse Niederlagen habe er in den vier Jahrzehnten keine erlebt. «Gescheitert bin ich ein paar Mal bei Menschen in sozialen Notlagen», gesteht Jost und sein Blick umwölkt sich: «Wir taten alles, um ihnen wieder Boden unter den Füssen zu geben. Und es kam oft rein gar nichts zurück. Im Gegenteil: Ich wurde sogar schon an Leib und Leben bedroht. Da fühlte ich mich dann machtlos.» Bereut er etwas? «Ja», kommt es wie aus der Pistole geschossen, «ich habe Tochter Jasmin und Sohn Matthias wegen meines beruflichen und militärischen Engagements als Major oft zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Das würde ich heute anders machen.»

Jost, der auch für die Bauverwaltung zuständig ist und als früherer Zivilstandbeamter in Wohlenschwil rund 200 Paare traute, bezeichnet sich als Generalist. «Eines der Urgesteine, die im heutigen Spezialisierungstrend langsam von der Bildfläche verschwinden», sagt er und lacht wieder. Er war einer, der bei Rechtsstreitigkeiten versuchte, im persönlichen Gespräch zu vermitteln, statt den Amtsschimmel zu bemühen. Einer, der fast immer um 6 Uhr morgens im Büro war und sich für «seine» Gemeinde genauso verantwortlich fühlte wie für die Familie.

Frau Barbara ist eine Wohlenschwilerin und Tochter vom einstigen Gemeindeammann Paul Friedli, der Markus Jost damals anstellte. Ihm folgten Albert Ducret und schliesslich Erika Schibli, mit der er seit 24 Jahren erfolgreich zusammenarbeitet. Für die Gemeinderäte in all den Jahren hat er nur lobende Worte: «Sie liessen mir viel Handlungsspielraum, und wir funktionierten als Team immer gut. Wenn man sich heute umhört, ist das längst nicht überall so.»

Er habe viel zur Dorfkultur von Wohlenschwil beitragen dürfen. «Da ist ein Kitt entstanden. Ich hoffe, das spürt man», sagt Jost im Rückblick. Seine heutige Wahlheimat musste der ehemalige Mitarbeiter der Bally Schönenwerd und der Kantonsverwaltung einst auf der Landkarte suchen, als er sich für den ausgeschriebenen Posten als Gemeindeschreiber bewarb. Heute könnte er sich keinen anderen Wohnort mehr vorstellen. «Hier will ich zusammen mit meiner Frau alt werden», bekundet er. Aber wie? «Ich habe noch so viel zu tun, dass ich gar keine Zeit hatte, mich mit diesem Gedanken zu befassen», erwidert er.

Wandern und ein E-Bike kaufen

Ob er nicht befürchtet, in ein Loch zu fallen? «Das fragt mich meine Frau jeden Tag.» Markus Jost sieht seine Zukunft positiv: «Ich habe 40 Jahre alles gegeben. Jetzt will ich wieder einmal auf null runterfahren. Ein Buch lesen, ohne tausend andere Gedanken im Kopf zu haben. Jeden Tag eine Stunde wandern. Und mir ein E-Bike zulegen. Davon träume ich schon lange.»