Anders als das Bezirksgericht Baden sieht das Aargauer Obergericht keinen schweren Härtefall für den 29-Jährigen.
Es begann mit einem harmlosen Fest im Skatepark beim Shoppi Spreitenbach. Im Sommer 2017 lud die «Skate Organisation Spreitenbach» zu einem Abend mit Wurst, Bier und geselligem Beisammensein. Gesellig blieb das Fest aber nicht: Nach Mitternacht kam es zu einem Streit, der rasch eskalierte. Der damals 26-jährige James (Namen geändert) wurde von seinem Bekannten Daniel mündlich und körperlich angegriffen und zu Boden geworfen.
Als andere Festbesucher die Streithähne trennten, stach der Beschuldigte James zu: Das Sackmesser, mit dem er zuvor die Würste am Grill einritzte, rammte er Daniel in die Schulter und in den Bauch. So rekonstruierte die Staatsanwaltschaft den Vorfall nach der Tat. Mit viel Glück trug Daniel keine bleibenden Verletzungen davon.
Das Aargauer Obergericht verurteilt James, der als Zwölfjähriger mit seiner Mutter aus Brasilien in die Region Baden kam, nun zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren und zu einem anschliessenden Landesverweis für die Dauer von zehn Jahren. Das geht aus dem schriftlichen Urteil hervor, das dieser Zeitung vorliegt. Das Obergericht verschärft damit das erstinstanzliche Urteil des Badener Bezirksgerichts deutlich – und folgt den Forderungen der Staatsanwaltschaft.
Staatsanwalt Marc Dellsperger hatte schon bei der Verhandlung vor dem Bezirksgericht im Januar eine Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren samt Landesverweis gefordert, wegen versuchter schwerer Körperverletzung. Der Beschuldigte habe «wissentlich und willentlich gezielt in den Bauch und die linke Schulter» des Gegners gestochen.
Vor dem Badener Strafgericht machte James im Januar einen reumütigen Eindruck. Der zierliche junge Mann wirkte dabei alles andere als aggressiv. Seine Tat gab er zu. Sein Motiv, warum er mit dem Sackmesser zugestochen habe, konnte er aber nicht erklären. Was selbst seine amtliche Verteidigerin festhielt: James war zum Tatzeitpunkt «stockbesoffen». Sein Gegner Daniel sei hingegen als Provokateur bekannt, der früher der rechten Szene angehörte.
Das Badener Gericht sprach James schuldig und verurteilte ihn zu zwei Jahren bedingter Freiheitsstrafe und einer Busse von 1000 Franken. Von einer Landesverweisung sah es aber ab. Das Gericht begründete das damit, dass es für James ein persönlicher Härtefall gewesen wäre. Er sei grösstenteils in der Schweiz aufgewachsen, spreche fliessend Schweizerdeutsch, habe hier sein soziales Netz und sei gut integriert.
Seit der Umsetzung der Ausschaffungsinitiative müssen straffällige Ausländer bei sogenannten Katalogtaten (wie etwa schwerer Körperverletzung oder Tötung) zwingend des Landes verwiesen werden. Das Gericht kann davon absehen, wenn dies einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde. Anders als das Bezirksgericht erkannte die Strafkammer des Obergerichts unter dem Vorsitz von Oberrichter Jann Six nun keinen Härtefall mehr.
Pikantes Detail: SVP-Richter Six sorgte in den Medien schon mehrfach für Aufmerksamkeit als «harter» Richter. Er führte als Präsident der strafrechtlichen Abteilung am Obergericht unter anderem die Berufungsverfahren gegen Daniel H., den Mörder von Lucie Trezzini, und auch gegen Thomas N., den Vierfachmörder von Rupperswil. Im vorliegenden Fall kam das Obergericht zum Schluss, dass das Urteil des Bezirksgerichts Baden in Anbetracht der Gesamtumstände als unangemessen mild erscheine.
Von einem Härtefall könne man nicht sprechen: Abgesehen von seiner Mutter und seinem Stiefvater habe James in der Schweiz keine Verwandten. Der Vater und weitere Verwandte würden in Brasilien leben, James spreche seine portugiesische Muttersprache gut. Sein übriges soziales Netzwerk in einem Fussballverein und in einem Thaibox-Club sei nicht besonders stark, stellt das Obergericht zudem fest.
Und: «Ohne ersichtlichen Grund ist er seit einigen Jahren nur sporadisch arbeitstätig, hat Schulden angehäuft und treibt scheinbar ziellos vor sich hin, weshalb die wirtschaftliche Integration höchst zweifelhaft erscheint.» Von James gehe eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, es kann vor Bundesgericht angefochten werden.