Geri Müller
«Nacktselfie-Affäre»: Versuchte Nötigung, Gehilfenschaft, illegale Aufnahmen – PR-Berater Wigdorovits erzählt seine Version

Der Prozess gegen den Zürcher PR-Berater Sacha Wigdorovits hat am Dienstag in Biel begonnen. Die Berner Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, in der «Nacktselfie-Affäre» rund um den ehemaligen Aargauer Nationalrat Geri Müller Straftaten begangen zu haben.

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Die Anklageschrift der Berner Staatsanwaltschaft gegen den PR-Berater Sacha Wigdorovits enthält folgende Vorwürfe: versuchte Nötigung, eventuelle Anstiftung dazu, eventuelle Gehilfenschaft zu versuchter Nötigung sowie Aufbewahrung, Auswertung, Zugänglichmachen und Kenntnisgabe von unbefugt aufgenommenen Gesprächen.

Konkret wirft die zuständige Staatsanwältin dem Zücher PR-Berater vor, als politischer Gegner von Geri Müller dessen Affäre mit einer jüngeren Bernerin zum Anlass genommen zu haben, «diesen zum Rücktritt von seinen politischen Ämtern zu bewegen».

Wigdorovits sei im Hintergrund geblieben und habe auf die psychisch instabile Frau eingewirkt. Daraufhin habe sie dann Müller «immer konkreter» in Aussicht gestellt, dass sie die für ihn kompromittierenden Chats, Fotos und Audiodateien der Öffentlichkeit zugänglich mache.

Am Dienstag erschienen sowohl Wigdorovits als auch Privatkläger Geri Müller vor dem Regionalgericht Berner Jura-Seeland in Biel. Zwei Tage hat der zuständige Einzelrichter für Einvernahmen und Plädoyers anberaumt. Am Freitag will er das Urteil sprechen.

Wigdorovits' Anwalt Valentin Landmann beantragte allerdings am Dienstagmorgen, das Verfahren sei gar nicht aufzunehmen. Es fehle an den Voraussetzungen dafür, da Geri Müller seinen Strafantrag zurückgezogen habe. Zudem sei die Anklageschrift ungenügend.

Geri Müllers Anwalt bestritt diese Darstellung. Darauf zogen sich der Bieler Einzelrichter und die Gerichtsschreiberin zur Beratung zurück.

Nackt-Fotos aus Stadthausbüro

Die Nacktselfie-Affäre hatte im Sommer 2014 für Aufregung gesorgt. Die «Schweiz am Sonntag» berichtete, dass der Badener Stadtammann und Nationalrat der Grünen Geri Müller von seinem Stadthausbüro aus einer Chat-Bekannten Nacktbilder geschickt hatte. Danach soll er die Frau aus dem Kanton Bern zum Löschen der Mitteilungen aufgefordert haben.

Als Folge der Affäre entband die Badener Exekutive Müller vorübergehend von seinen Führungs- und Repräsentationsaufgaben. Bei den Nationalratswahlen im Herbst 2015 trat Müller nicht mehr an.

Die ehemalige Chat-Partnerin Müllers wurde 2016 von der Staatsanwaltschaft Berner Jura-Seeland per Strafbefehl zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt. Sie wurde schuldig befunden der Beschimpfung, üblen Nachrede, versuchten Nötigung, Urkundenfälschung und des unbefugten Aufnehmens von Gesprächen. Die Frau akzeptierte den Strafbefehl.

Strafuntersuchungen liefen aber nicht nur gegen die Frau, sondern auch gegen Journalisten und Wigdorovits. Letztere wurden verdächtigt, private Gespräche zwischen der Bernerin und Müller verwendet, weitergegeben oder Dritten den Zugang dazu verschafft zu haben.

Mit der AZ-Mediengruppe einigte sich Geri Müller Anfang 2018 auf einen Vergleich. Dieser Verlag und Patrik Müller, Chefredaktor der «Aargauer Zeitung», drückten bei Bekanntgabe dieses Vergleichs ihr Bedauern gegenüber Müller aus.

Der Schweizer Presserat befand 2016, die «Schweiz am Sonntag» habe mit ihrem ersten Bericht über die Affäre die Privat- und Intimsphäre Geri Müllers in schwerer Weise verletzt.

Prozess wird fortgesetzt

Der Prozess gegen den Zürcher PR-Berater Sacha Wigdorovits am Regionalgericht in Biel wird fortgesetzt. Der Richter wies am Dienstagmorgen einen Antrag von Wigdorovits' Anwalt ab, den Prozess wegen mangelnder Prozessvoraussetzungen abzusagen.

Richter Nicolas Wuillemin sagte nach der Beratung des Antrags, der von Anwalt Valentin Landmann ins Feld geführte Artikel des Strafgesetzbuches könne hier nicht zur Anwendung kommen. Auch sei die Anklageschrift zwar nicht in allen Teilen ausführlich, aber die Anklage sei präzis.

So reagiert Wigdorovits

Am Prozess sagte PR-Berater Sacha Wigdorovits, er habe die junge Bernerin nicht beeinflussen wollen. Sie habe den Kontakt zu Journalisten gesucht, nicht er.

In Kontakt gekommen zur Chatpartnerin des früheren Badener Stadtammanns und Nationalrats Geri Müller sei er, weil er eines Tages von einer unbekannten Person eine SMS erhalten habe. Das sagte Wigdorovits am Dienstag bei seiner Einvernahme am Regionalgericht Berner Jura-Seeland in Biel.

Dieses SMS stammte von der jungen Bernerin. Sie habe ihm geschrieben, es gebe belastendes Material zu ihm, Wigdorovits, und zu Müller. In der Folge habe er die Frau bei sich im Büro getroffen, so der frühere Chefredaktor des «Blick».

Es sei zwar schon so, dass er und Müller in der Nahostpolitik unterschiedliche Meinungen verträten, sagte Wigdorovits weiter. Wigdorovits ist aktiv bei der Stiftung Audiatur, welche sich nach eigenen Angaben für eine ausgewogene Berichterstattung zu Israel einsetzt. Müller ist Präsident der Gesellschaft Schweiz-Palästina.

Diese Auseinandersetzungen hätten er und Müller aber wiederholt öffentlich ausgetragen. Das habe er immer gern gemacht. Ein Interesse, Müller aus dem Amt zu drücken, habe er nicht gehabt. Er wohne ja auch im Kanton Zürich, nicht in Baden.

Eine Berner Staatsanwältin wirft Wigdorovits in ihrer Anklageschrift vor, als politischer Gegner Müllers die Affäre der jungen Bernerin mit Müller zum Anlass genommen zu haben, Müller «zum Rücktritt von seinen politischen Ämtern zu bewegen».

«Auskünfte erteilt»

Im weiteren Verlauf der Einvernahme sagte Wigdorovits mehr als einmal, er habe stets gesagt, er wolle nicht in diese Sache hineingezogen werden. Er habe der Frau auch keine Ratschläge oder Empfehlungen abgegeben, sondern lediglich Auskünfte erteilt und Tatsachen erläutert.

Die Frau habe ihn gebeten, Kontakt mit Medienleuten herzustellen, und das habe er auch getan, so zu den damaligen Chefredaktoren des «Blick» und der «SonntagsZeitung». Aber eben, es sei die Idee der Frau gewesen, einen «Medienrummel» auszulösen, nicht die seinige.

Der Bieler Richter hielt Wigdorovits immer wieder Auszüge aus einem umfangreichen «Extraktionsbericht» vor - offensichtlich der Inhalt des Chatverlaufs zwischen der jungen Bernerin und dem Zürcher PR-Berater oder der Bericht zum kompletten Inhalt des Mobiltelefons der jungen Frau.

Aus diesem Bericht geht laut dem Richter hervor, dass Wigdorovits mehrere Müller belastende Bild- und Tondateien erhielt.
Wenn er sich richtig erinnere, habe er der jungen Frau gesagt, Aufnahmen dürfe man nur mit Einverständnis des Aufgenommenen machen, sagte Wigdorovits. Ihm selber sei nicht bewusst gewesen, dass man sich strafbar mache, wenn man einem zugeschickte, unbefugt gemachte Aufnahmen nicht sofort lösche.