Live-Blasmusik als Soundtrack für eine atemberaubende und fulminante Turnshow funktioniert. Den Beweis dazu lieferte «Harmonize».
Nahezu ein Drittel der Halle ist von den Akteuren belegt. Im hintersten linken Eck ist Raum für die Musik, die Harmonie Wettingen-Kloster (HWK). Davor, mit vier Mattenstrassen, haben sich die Aktiven des STV Wettingen aufgebaut. Die Zuschauer sitzen in Stuhlreihen, die im mittleren und hinteren Teil auf Podesten stehen, um auch von weiter weg eine gute Sichte aufs Geschehen zu haben. «Da die Kantihalle über keine Tribüne verfügt, mussten wir so verfahren», sagt STV-Präsident Basil Baumgartner. Es ist nicht die einzige Herausforderung und nicht die grösste.
Mehr Kopfzerbrechen machte im Vorfeld das Unterfangen, die Musikstücke so zu timen, dass sie zeitlich abgestimmt auf das Turnprogramm waren. Baumgartner: «Wir hatten Erfahrungen auf diesem Gebiet, jedoch mit einem Profi-Orchester und nur für eine Nummer.» Jetzt geht es darum, mit Laien einen Abend gemeinsam zu gestalten. Der Präsident: «Etwas Derartiges hat es meines Wissens in Wettingen und Umgebung noch nie gegeben.» 500 wollen sich die Premiere in der Abendvorstellung nicht entgehen lassen – ausverkauft.
Beim Sprung-Auftakt der Aktiven halten sich die Musiker noch zurück. Vermutlich hätten sie mit dem enormen Tempo ohnehin nicht mithalten können. Aber sonst harmonieren die beiden Akteure des Abends bestens miteinander – sei es bei «A Tribute to Amy Winehouse» und «Sie & Er», sei es bei «Hotel California» und den Einzelübungen. «Schliesslich sollen heute Abend nicht nur die Musiker ihre Soli haben, sondern auch die Turner», sagen die Moderatoren, Daniela Rosato vom STV und David Chételat von der Harmonie.
Beide haben einen Doppeljob: Sie kommt beim Turnen aus der Puste, er beim Schlagzeugspielen. Und auch sonst muss das Duo Sportlichkeit an den Tag legen. Immer wieder geraten sie in die Umbauarbeiten hinein und müssen ihren Standplatz wechseln. Aber sonst ist die Rollenverteilung klar: Die Best-Agers der Musik sorgen für den guten Sound, die jungen Sportler für die Show, die dem Publikum so gut gefällt, dass es immer wieder Szenenapplaus spendet. Eine Ausnahme macht höchstens Luciano Bizzozero. Der erst 24-jährige HWK-Dirigent betritt die Halle beschwingt und dynamisch, wirbelt mit seinem Hut und blendet die Leute mit seiner roten Glitzerjacke.
Zwei Wettinger Traditionsvereine spannen zusammen und können auf diese Weise ein Publikum erreichen, was sie es alleine wohl nie gehabt hätten. Dabei ist es aus einer Not überhaupt erst zum Anlass gekommen. «Aufgrund der Tägi-Renovation konnte die HWK ihr Jahreskonzert nicht wie sonst im Saalbau des Tägi aufführen», erklärt HWK-Präsidentin Natalie Lussi. Daraufhin erfolgte die Kontaktaufnahme zum Turnverein. Basil Baumgartner: «Mit einer grösseren Show und mehr Personen lässt sich einfacher eine passende Lokalität finden. Mit der Dreifachturnhalle der Kanti Wettingen sind wir gut bedient, ohne uns in den finanziellen Ruin schlagen zu müssen.»
Der TV Wettingen nennt sich selbst «erfolgreichster Turnverein der Schweiz». Bei der Show können die Zuschauer das Attribut gut nachvollziehen. Gibt es doch, gleich ob an Reck, Ringen, Barren oder Boden, Turnen auf höchstem Niveau. Und eines ist auch klar: Um den Nachwuchs muss sich der Verein keine Sorgen machen. Die Reihen der Kinder- und Jugendabteilungen sind rappelvoll. «Und wie sieht es mit eurem Nachwuchs aus?» Auf die Frage von Daniela Rosato wird HWK-Schlagzeuger David Chételat ein wenig schmallippig. «Nicht ganz so gut.» Aber vielleicht ist der heutige Abend ja für manche ein Aha-Erlebnis: Schau einmal an, die von der Harmonie sind ja eigentlich auch ganz cool.