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Gemeinderat Beat Gomes bezeichnete in seiner Zeit als «Reussbote»-Redaktor einen Simmbürger aus Stetten als notorischen Nörgler. In zweiter Instanz wurde er nun freigesprochen.
Im Januar dieses Jahres musste sich Gemeinderat und Journalist Beat Gomes am Badener Bezirksgericht verantworten. Zur Last gelegt wurde ihm mehrfache Beschimpfung.
Zur Erinnerung: Gomes hatte, als er noch ausschliesslich «Reussbote»-Redaktor war, in einer Berichterstattung über die Stetter Gemeindeversammlung im November 2016 einen Stimmbürger als «notorischen Nörgler» bezeichnet. Im Februar 2017 schrieb Gomes in einem weiteren Artikel, dass der besagte Stimmbürger an der letzten Winter-Gmeind mit «seiner Nörglerei» einige Stimmberechtigte regelrecht in Rage brachte. Während Einzelrichter Daniel Peyer das Wort «Nörglerei» nicht als Beschimpfung sah, wurde Gomes bezüglich des Artikels von November 2016 zu einer bedingten Geldstrafe von 1600 Franken und einer Busse von 400 Franken verurteilt. Gegen das Urteil legte Gomes Berufung beim Obergericht ein.
Nun hat das Obergericht Beat Gomes freigesprochen. In seinen Erwägungen schreibt das Gericht, dass sowohl die Staatsanwaltschaft mit ihrer Anklage wegen Beschimpfung als auch die Vorinstanz beim Ausdruck «notorischer Nörgler» von einem reinen Werturteil ausgegangen sind. Doch: «Dieser Qualifikation folgt das Obergericht nicht.» Werde jemand als «notorischer Nörgler» bezeichnet, so werfe man diesem ein konkretes Verhalten vor, das grundsätzlich überprüfbar sei und mindestens einen erkennbaren Bezug zu Tatsachen habe; in diesem Fall ein konstantes, wiederkehrendes, vielfach kritisierendes Verhalten. Somit sei zu prüfen, ob es sich beim Ausdruck «notorischer Nörgler» überhaupt um eine strafrechtlich relevante Ehrverletzung handelt – und wenn, sei zu prüfen, ob eine Verurteilung wegen übler Nachrede erfolgen müsse.
Für das Obergericht ist Ersteres nicht gegeben. Der Ausdruck «notorischer Nörgler» habe die Schwelle der Ehrenrührigkeit nicht überschritten: «Wer als jemand dargestellt wird, der sich stets sehr kritisch zeigt und Dinge lieber einmal mehr hinterfragt, als sie ruhen lässt, wird nicht in seiner sittlichen Ehre verletzt.» Aber auch wenn die Schwelle der Ehrenrührigkeit überschritten würde, wäre der Beschuldigte freizusprechen. Denn: Um zu prüfen, ob es sich beim Tatbestand um üble Nachrede handelt, wäre Gomes, entgegen der Vorinstanz, zum Wahrheitsbeweis zugelassen. «Dieser würde – wie zu zeigen sein wird – gelingen», so das Obergericht.
Konkret: Gomes legte sechs Protokolle der vergangenen Gemeindeversammlungen in Stetten zu den Akten. Dazu bemerkt das Obergericht, dass sich die kritischen und bemängelnden Äusserungen des Strafklägers über mehrere Gemeindeversammlungen hinweg erstrecken, womit sich der Ausdruck «notorisch» erklären lasse. Weiter lasse sich das Verhalten des Strafklägers, immer wieder seine Meinung kundzutun und lange Ausführungen zu machen, durchaus als nörgeln bezeichnen. «Dem Beschuldigten würde damit der Wahrheitsbeweis gelingen und er wäre – sollte von einer Verletzung der Ehre ausgegangen werden – deshalb freizusprechen.»
«Ich bin froh, dass die Gerechtigkeit obsiegt hat», sagt Beat Gomes auf Anfrage. Jedoch ist er gleichzeitig verärgert: «Was kann am Ausdruck ‹notorischer Nörgler› ehrenrührig sein?», fragt er und bezeichnet den Ehrverletzungsprozess am Bezirksgericht als «Pfusch». So sei dieses beim Ausdruck «notorischer Nörgler» nicht von einer Tatsachenbehauptung nach Artikel 173 Absatz 1 des Strafgesetzbuches (üble Nachrede) ausgegangen, sondern von einem reinen Werturteil nach Artikel 177 StGB (Beschimpfung), was kein Wahrheitsbeweis zulasse. «Zum Glück hat das Obergericht korrigierend eingelenkt», sagt Gomes.
Die erstinstanzlichen Verfahrenskosten gehen zulasten der Staatskasse. Die obergerichtlichen Verfahrenskosten von 1652 Franken gehen zur Hälfte zulasten des Strafklägers, im Übrigen zur Staatskasse. Zudem muss die Obergerichtskasse dem Beschuldigten eine Entschädigung von 2240,50 Franken ausrichten.