Entweder mehrer Operationen am Stück oder eine ruhige Nacht: Oberarzt Anästhesie Gaston Voney weiss nie, was ihn erwartet, wenn er eine Nachtschicht antritt.
Ihre Schreie hallen durch die leeren Gänge. In regelmässigen Abständen krümmt sich die hochschwangere Patientin vor Schmerz. Ihr Baby soll per Kaiserschnitt auf die Welt kommen.
Gaston Voney, Oberarzt für Anästhesie am Kantonsspital Baden, führt eine Spinalanästhesie durch. Ein paar Sekunden, nachdem der Arzt die lange Nadel durch im Bereich der Lendenwirbel der Patientin gestochen hat, verstummen die Schreie.
In der Gebärabteilung sind sieben Personen mit der Operation beschäftigt, ansonsten herrscht im Chirurgie-Bereich Stille. Es ist ein Uhr morgens an einem Wochentag, Gaston Voney hat Nachtschicht.
In der Nacht werden in der Regel nur notfallmässige Operationen durchgeführt. Als Anästhesist ist Gaston Voney bei jeder dabei, sei es um eine bestimmte Körperregion oder den ganzen Patienten zu betäuben.
Seine Nachtschicht beginnt jeweils um 17 Uhr. Nach der Übergabe mit der Tagesschicht ist Voney zuständig für den Operationssaal, den Aufwachraum, die Intensivstation sowie den Reanimationsraum.
Heute bleiben ihm nach der Übergabe ein paar freie Minuten, gut gelaunt sitzt er in seiner blauen OP-Kleidung im Kafistübli des Operationstrakts, die kurzen blonden Haare unter einer Haube. «Im Nachtdienst kann man nichts planen», erklärt er. Jeden Augenblick kann das Telefon mit der Ankündigung für eine Operation oder einen Notfall läuten.
Voney hat pro Monat zwei bis vier Nachtdienste, diese dauern jeweils vierzehn Stunden. «Mir macht das nichts aus. Ich achte darauf, dass ich insgesamt zu sechs Stunden Schlaf komme, dann bin ich am nächsten Tag wieder fit», erklärt er.
Wenn es eine ruhige Nacht ist, kann er im Spital schon vorschlafen. Der Wechsel von der Arbeit zur Ruhepause ist für ihn kein Problem. «Ich schlafe sofort ein, wenn ich mich hinlege». Er ist froh, dass er heute mit einem erfahrenen Assistenzarzt eingeteilt wurde.
Nach wenigen Minuten ist es auch schon so weit. Eine Patientin, die am Morgen operiert wurde, blutet wieder. Mit schnellen Schritten macht sich Voney auf den Weg in den OP. Das gesamte Personal trägt Plastik-Clogs, Voney hat auf seinen die Botschaft «Do not touch» angebracht, die andere davon abhalten soll, seine Schuhe aus dem Regal zu nehmen.
Wieder läutet das Telefon. Ein Anruf aus der Gynäkologie, bei einer Patientin zeichnet sich ein Kaiserschnitt ab. Jetzt ist organisatorisches Talent gefragt, Voney kann nicht an zwei Orten gleichzeitig sein.
«Wenn beide Operationen gleichzeitig durchgeführt werden, muss ich eine Anästhesiepflegekraft aus dem Pikett holen», erklärt er. Zeit für eine Entscheidung. Nochmals ein Telefongespräch mit der Gynäkologie. Der Kaiserschnitt kann warten. Es bleibt noch kurz Zeit, um ein paar Scheiben Bündnerfleisch direkt aus der Packung zu essen.
Dann geht alles ganz schnell. Mit der Geschwindigkeit und Präzision einer Formel-1-Equipe während des Boxenstopps bereitet das Operations-Team den Saal vor. Masken auf. Die Patientin wird hineingefahren.
Voney und seine Pflegerin schliessen sie an die Überwachung an, bald schläft sie ein. Die Operation beginnt. Wer meint, dass ein Anästhesist während eines Eingriffs hauptsächlich Däumchen dreht, irrt gewaltig.
Gaston Voney ist ständig in Bewegung, während er den Zustand der Patientin überwacht. Aus vielen Schubladen wählt er kleine Glasampullen aus, die er mit geübter Bewegung aufbricht und auf Spritzen aufzieht.
Er arbeitet Hand in Hand mit der Anästhesiepflegerin, die alle verabreichten Medikamente schriftlich festhält. Das Blut der Patientin will nicht gerinnen, auch da kann Voney nachhelfen. Ab und zu piept einer der Monitore, was die Augen über der Maske mit einem prüfenden Blick quittieren.
Nach der Operation folgt Voney der Patientin in den Aufwachraum. Masken runter. Nach dem Informationsaustausch mit der Pflege macht Voney eine Pause. Das heisst in seinem Fall: In fünf Minuten stehend ein Joghurt löffeln.
Die späte Stunde kann der guten Laune des Oberarzts nichts anhaben. Er scherzt mit den Pflegerinnen, dann geht er in die Gebärabteilung, der Kaiserschnitt ist unausweichlich. Masken auf.
«Am besten nicht über die Trennwand schauen», rät Voney dem werdenden Vater, der auf der weniger blutigen Seite des gespannten Operationstuchs Platz nehmen darf. Gaston Voney gefällt es, auf dieser Seite zu arbeiten.
Zusammen mit seinem Team wacht er über den Menschen auf dem Tisch und hat dabei die volle Verantwortung und Kontrolle. Als Anästhesiearzt hat er keine eigenen Patienten, am Abend – oder am Morgen – ist sein Dienst abgeschlossen. «Manchmal nimmt es mich schon wunder, wie es mit den Menschen nach der Operation weiter geht», räumt er ein.
Der Kaiserschnitt ist vorbei, ein gesundes Mädchen ist zur Welt gekommen. Gaston Voney hätte nichts dagegen, wenn er sich ein bisschen hinlegen könnte. Es ist sein einziger Nachtdienst diese Woche.
Doch daraus wird nichts, praktisch nahtlos folgt ein weiterer Kaiserschnitt. Nach diesem Einsatz sieht Voney die Gelegenheit für ein paar ruhige Minuten im Bereitschaftszimmer.
Doch lange wird er nicht schlummern können. Sein Assistenzarzt ist bereits auf dem Weg zur nächsten Periduralanästhesie. «Die Patientin ist schon über 20 Stunden in den Wehen. Das wird die Nächste», meint er mit einem Lächeln und huscht davon.