Amy Bollag ist 1924 an der Bruggerstrasse in Baden geboren. Seine Familie lebte seit fünf Generationen in der Stadt. regelmässig schreibt er aus seinem bewegten leben. Diesmal, wie die Aargauer Abteilung 14 1944 lernen musste, Handgranaten zu werfen.
1944. In den Artillerie-Einheiten, vorab den, mit sechs Pferden gezogenen, bespannten und berittenen Geschützen, war es weder Pflicht noch üblich, im Handgranatenwerfen ausgebildet zu werden. Mitte 1944 erfolgte aber ein Befehl, dass auch wir lernen müssten, mit dieser Waffenart umzugehen. So bekam auch unsere Aargauer Abteilung 14 einige hundert dieser Mordwerkzeuge zugeteilt. Alles, was es auf diesem Gebiet gab, erhielten wir. Offensiv-Defensiv- und Stielhandgranaten. Sogar die sogenannten «Grossmütter», ein zweieinhalb Kilo schwerer Sprengmantel, der um die Stielhandgranaten montiert werden musste und eine beträchtliche Sprengkraft aufwies, war uns zugedacht.
Doch, oh Schreck, mit der Zuteilung war es nicht getan. Niemand wollte solche Granaten werfen. Dies hätte man noch nie getan, und wir seien ja Artilleristen und die Munition für die Geschütze sei ja Waffe genug. Es gab Diskussionen, aber scheinbar wollte niemand diese, für uns neue, Zusatzwaffe und somit auch keine neue Ausbildung. Schlussendlich wurde ein Ausweg gefunden. Laut dem Kadi sollten sich Freiwillige melden, die dann ausgebildet werden sollten.
Jung und dumm, wie man mit 20 Jahren sein konnte, meldeten sich nur Funker Leutenegger aus Wettingen und ich als Artilleriereiter. Ohne zu zögern, begannen wir, unter Leitung eines blutjungen Spreng-Leutnants, unsere Ausbildung. Tagelang lernten wir, aus allen möglichen und unmöglichen Orten und Stellungen diese Teufelsdinger explodieren zu lassen. Zuerst die Granate entsichern, und schön langsam – einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig – zählen, um dann mit gezieltem Wurf das vorgesehene Ziel zu sprengen.
Nach einigen Tagen, wir hatten noch genug Vorrat, hiess es auf einmal, Offiziere und Unteroffiziere sollten doch noch an dieser Waffe ausgebildet werden. Der junge Leutnant, Leutenegger und ich waren nun die Instruktoren: Nun erschien der Lohn der Angst. Jetzt kamen fast alle Offiziere und Unteroffiziere, die sonst im wahrsten Sinne des Wortes auf dem hohen Ross sassen, als kleine und ängstliche Menschen zu uns. Kein Hauch von Überheblichkeit. Ein Oberleutnant, der zu mir immer sehr anständig und rücksichtsvoll war, wurde mir zugeteilt. Die Kandidaten kamen einzeln in den Steinbruch, um die Granaten zu werfen. Ich spürte sofort, dass er vollständig entnervt und entgeistert war. Die Situation schien ihn vehement zu überfordern. Ich beruhigte ihn, er brauche sich nicht zu überwinden, und riet ihm, vor der Splitterwand zu warten, ich werde seine Granaten werfen. So geschah es und niemand bekam dies mit. Für mich war es eine seltene Gelegenheit, einem hochanständigen Offizier und Menschen – das war damals in der Kriegszeit beileibe keine Selbstverständlichkeit – meine Dankbarkeit zu zeigen.
Amy Bollag, 1924 an der Bruggerstrasse
in Baden geboren. Seine Familie wohnte
seit fünf Generationen in der Stadt. 1950
zog er nach Zürich. Regelmässig schreibt
er in der az über seine Erinnerungen.