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«Parvaneh»-Regisseurin Talkhon Hamzavi erzählt nach der Rückkehr von ihren Eindrücken vor und an der Oscar-Verleihung. Und sie verrät ihre filmischen Zukunftspläne. Klar ist: Nach dem Oscar-Rummel will sich Hamzavi keine Pause gönnen.
«Müde», das sei ihr allumfassendes Gefühl momentan, sagt Talkhon Hamzavi. Die Nussbaumer Regisseurin und Drehbuchautorin hat gerade einen 12-Stunden-Flug hinter sich gebracht. Eben noch war Hamzavi mit ihrem Kurzfilm «Parvaneh» die grosse Schweizer Oscar-Hoffnung; die erste Frau der Schweiz überhaupt, die für eine goldene Statuette nominiert worden ist; von den Medien ausgefragt, porträtiert und gefeiert.
Der Titel des Kurzfilms «Parvaneh» ist auch der Name der jungen afghanischen Frau, deren Geschichte der Film erzählt. Die 17-jährige Parvaneh lebt als Flüchtling in der Schweiz und will ihrem kranken Vater Geld überweisen. Dafür muss sie allerdings zuerst vom Asylzentrum in den Bergen nach Zürich fahren. In der Stadt angekommen, muss sie sich in der fremden Welt von Konsum und Anonymität zurechtfinden. Sie trifft auf ein Mädchen, das Parvaneh zuerst abzocken will, dann aber entwickelt sich eine Freundschaft zwischen den ungleichen Frauen.
Den 24-minütigen Kurzfilm hat Talkhon Hamzavi 2012 als Masterarbeit an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) eingereicht. Die heute 35-Jährige erhielt dafür die Bestnote. Der Film, dessen Budget 120 000 Franken beträgt, war bereits an zahlreichen Filmfestivals zu sehen. An den Festivals von Gijón in Spanien und Derry in Nordirland holte «Parvaneh» den Sieg. 2013 machte Hamzavi mit ihrem Film den zweiten Platz bei den Studenten-Oscars.
Die jetzige Oscar-Nominierung geht ins Geld: Die «Parvaneh»-Crew mit Talkhon Hamzavi, Produzent Stefan Eichenberger (30) und Schauspielerin Nissa Kashani (28) hat für ihre Los-Angeles-Reise ein Budget von rund 50 000 Franken zur Verfügung. 20 000 Franken braucht die Crew allein für Spesen. Bis zu 25 000 Franken gibt man vor Ort für die PR-Arbeit aus. Unterstützt wird die Crew unter anderem von der ZHdK und von Swiss Films. (gal)
Für das Badener Tagblatt hat Talkhon Hamzavi einige Minuten Zeit, bevor sie mit ihrer Familie heim nach Nussbaumen fährt. «Wenn man endlich erfährt, wer den Oscar gewonnen hat, fallen der ganze Druck und die Anspannung von einem ab», sagt Hamzavi über den Moment, als bei der Oscarverleihung nicht «Parvaneh» als bester Kurzfilm genannt wird, sondern «The Phone Call». Und «ja natürlich», fügt sie gleich hinzu, «ich war im ersten Moment enttäuscht».
Bei der Frage, wie es denn gewesen sei im Dolby Theatre mit all den Stars, fällt ein wenig von Hamzavis Müdigkeit ab und sie erzählt, als ob sie von einem Kinofilm sprechen würde, bei dem man plötzlich mitten in der Kulisse steht. «Es hatte extrem viele aufgestylte Menschen und das ist am Anfang sehr befremdend.» Auch seien die Dimensionen ganz anders, wenn man vor Ort sei. «Ich habe mir alles grösser vorgestellt», sagt sie. «Im Fan-Sektor haben die Leute losgekreischt, wenn jemand vorbeigelaufen ist, auch wenn sie die Person gar nicht erkannt haben.»
Als Hamzavi von einem ganz anderen Moment ihrer Los-Angeles-Reise erzählt, fängt sie an zu strahlen: An der «Women in Film Nominees» stand sie direkt neben Schauspieler-Grösse Meryl Streep. «Wir haben kurz miteinander geredet, das war sehr speziell.» Streep sei eine Frau, die sie fasziniere, sagt Hamzavi.
Mama Hamzavi, Ranja Tan sowie Hamzavis Lebenspartner und ihr Bruder Mani stehen ein paar Meter abseits und warten das Interview-Ende ab. Dass sie alle mächtig stolz sind auf Tali, steht ausser Frage. Auf der Fahrt zum Flughafen haben ihre Mutter und Ranja Tan erzählt, wie gelassen Tali noch kurz vor der Verleihung gewirkt habe. «Für uns hat sie schon gewonnen,» sagte Tan, und Soraya Hamzavi erklärte, dass es grossartig sei, wenn jemand mit einem Abschluss-Film der Hochschule bereits für einen Oscar nominiert worden sei. Später, beim Warten und Kaffeetrinken, erzählt ihre Mutter: «Schon in der Oberstufe hat Tali gefilmt und fotografiert.» Ranja Tan erinnert sich, wie Tali ihren Bachelor-Film in Tans Wohnung in Nussbaumen gedreht hatte.
Nach dem Oscar-Rummel will sich Hamzavi keine Pause gönnen. «Auch wenn die vergangenen 14 Tage sehr streng waren, schreibe ich bald an meinem aktuellen Drehbuch weiter.» Zu viel will sie noch nicht verraten. Die Geschichte handelt von einer jungen Frau, die erwachsen wird und auf der Suche nach sich selbst ist. «Es soll eine Tragikomödie werden.» Bereits munkelte man, die Hauptfigur werde iranische Wurzeln haben – wie Hamzavi selber. Doch die Drehbuchautorin stellt gleich klar, die Geschichte habe nichts mit ihr zu tun. «Mit der iranischen Mentalität bin ich einfach vertraut.» Während ihrer Recherchen musste sie allerdings feststellen, dass es nicht viele Iraner gibt in der Schweiz, «deshalb wähle ich vielleicht eine andere Nationalität».
Das Drehbuch schreibt Hamzavi zusammen mit dem Zürcher Co-Autor Lorenz Suter. Am liebsten schreibt sie zu Hause in Nussbaumen oder in einem Café in Zürich. Dort habe es mehr Lokale mit Internetzugang als in Baden, sagt sie ein wenig verlegen. Dann schaut sie zu ihrer Familie. «Ich sollte langsam gehen, es warten schon alle.»