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Das seit fast zwei Jahren leerstehende Einfamilienhaus im Meierhofquartier macht von aussen den Eindruck eines verwunschenen Hauses: Hohe Bäume und dichte Büsche verbergen einem im ersten Moment fast den Blick auf das Transparent, auf dem trotzig steht: «Belebt, Villa Kunterbunt.» Bei der Garageneinfahrt zeigt sich dann die volle Wucht der Farben: Graffitikünstler haben die Fassade kunstvoll gestaltet, oben auf einem halb offenen Fenster guckt frech das Konterfei Speedy Gonzales’ herunter, darunter der Spruch: «Liebe für die ganze Welt».
Ja, dieses Haus an der Kehlstrasse, das voraussichtlich im Juli einem Neubau weichen wird, ist wirklich belebt. Oder kulturell zwischengenutzt, wie es das zehnköpfige Kollektiv nennt. Das Kollektiv, das sind zehn junge Männer, die alle in Baden wohnen. Von einer illegalen Besetzung kann man aber nicht sprechen, wie ein Besuch an einer sogenannten Barnacht zeigt. Jon, Elias, Koray und Noah (alle Nachnamen der Redaktion bekannt) sind zwischen 18 und 20 Jahre alt und sind alles andere als Häuserbesetzer. Sie stehen mit beiden Füssen im Leben und sind Kantischüler, machen eine Lehre als Koch, Maler oder arbeiten in einer Kindertagesstätte. «Wichtig ist uns, dass wir Räume kreativ gestalten können. Dies muss aber legal sein. Deshalb haben wir den Eigentümer ausfindig gemacht und gefragt, ob wir das Haus zwischennutzen dürfen», sagt der 18-jährige Jon stellvertretend für das Kollektiv. Noah, Elias und Koray ergänzen: «Wir bezahlen auch für Strom und Wasser und stehen ständig im Austausch mit den Nachbarn.» Die vier Vertreter des Villa-Kollektivs müssen dennoch eingestehen, dass von den Anwohnern auch Reklamationen eingehen: «Wir bemühen uns aber, dass wir den Lärmpegel und die nachbarschaftlichen Beziehungen nicht überstrapazieren.» Dennoch kommt es vor, dass Partygänger auf dem Nachhauseweg etwas lauter sind. Aus diesem Grund hat das Kollektiv im Juni einen ganztägigen Anlass organisiert. Man wollte das Konzept der Villa Kunterbunt den Quartierbewohnern erklären. Das Interesse an diesem Event im derzeit einzigen zwischengenutzten Einfamilienhaus in Baden war gross. «Über den Tag verteilt hatten wir rund 200 Besucher. Und es war ein sehr durchmischtes Publikum im Alter von 8 bis 80 Jahren», sagt Jon stolz. Jeden Donnerstag organisieren sie zudem alternierend eine Barnacht oder einen Filmabend. Für Jon ist aber klar: «Wir zeigen keine Blockbuster, sondern alternatives Kino oder Dokumentarfilme.» Schnell wird klar: Das Kollektiv der Villa Kunterbunt will sich zwar von klassischen Häuserbesetzern abgrenzen, ist aber von der gleichen Philosophie beseelt: Kein Konsumzwang und selbstregulierend.
Das Haus im Meierhofquartier ist das einzige, das in Baden zurzeit zwischengenutzt wird, so das Kollektiv; auch Stadträtin Sandra Kohler (parteilos) sind aktuell keine Zwischennutzungen bekannt, wie sie auf Anfrage erklärt. Wird ein Wohnhaus umgenutzt, muss die Stadt dies bewilligen. Sandra Kohler: «Wir hatten bis jetzt zwar keine Kenntnis von der Zwischennutzung, aber ich begrüsse grundsätzlich solche Initiativen. Vor allem, wenn sie im guten Einklang mit der Nachbarschaft stattfinden." Umnutzungen seien jedoch bewilligungspflichtig», hält Sandra Kohler fest. Dabei gehe es vor allem um feuerpolizeiliche Vorschriften. «Wir werden das Gespräch mit den Veranstaltern suchen, um eine Lösung zu finden», sagt Sandra Kohler. Die Baubewilligung für den Neubau wird voraussichtlich vor den Sommerferien erteilt.
Auf die Frage, wie die Eltern der vier jungen Männer auf ihr Partyprojekt reagiert haben, meinen sie einstimmig: «Sie finden es gut, weil wir etwas Kreatives machen. Wichtig ist ihnen einzig, dass alles legal ist. Zudem übernachten wir auch nicht im Haus, sondern brauchen die Räume als Atelier oder für kulturelle Anlässe.»
Ein Blick ins Innere der Villa Kunterbunt bestätigt: Mit viel Liebe zum kreativen Detail hat man eine Bar gezimmert, daneben steht ein Champagnerkübel als Kollekte. Draussen im Garten sitzen derweil andere Jugendliche, die eine spontane Gartenparty feiern. Es ist eine derartig friedliche Atmosphäre, dass es schon fast wieder bieder wirkt. Aber die Villa lebt, wenn auch röchelnd in ihren letzten Atemzügen.