Bezirksgericht Baden
Patient erleidet Herzinfarkt nach Notfallbesuch – Kantonsspital Baden hat Sorgfaltspflicht verletzt

Das Bezirksgericht verurteilt das Kantonsspital Baden zur Zahlungen in sechsstelliger Höhe. Ob das Urteil weitergezogen wird, ist noch offen.

Martin Rupf
Drucken
Die Notfallaufnahme des Kantonsspitals Baden.

Die Notfallaufnahme des Kantonsspitals Baden.

az/Archiv

Es war ein besonders tragischer Fall, der sich im Februar 2014 beim Kantonsspital Baden (KSB) zutrug. Der damals 49-jährige Georg (Name geändert) begab sich mit Beschwerden und Druck hinter der Brust in den KSB-Notfall. Nach der üblichen Eintrittstriage wurde Georg von einer Ärztin in der angrenzenden Notfallpraxis untersucht.

Da diese nichts Verdächtiges feststellen konnte, wurde Georg wieder entlassen. Der Vater zweier Kinder im Vorschulalter begab sich zur KSB-Bushaltestelle, wo er einen Herzinfarkt erlitt. Zwar eilten zufällig Rettungssanitäter herbei, doch die Hilfe kam zu spät. Georg erlitt als Folge des Herzinfarkts irreversible Hirnschäden und fiel ins Koma. Gut zwei Jahre wurde Georg gepflegt, ehe er verstarb und seine Frau und zwei Kinder hinterliess.

Emotionaler Verlust und hohe Kosten

Nebst dem emotionalen Verlust für die Hinterbliebenen entstanden auch sehr hohe, sechsstellige Kosten. Kosten, die das KSB übernehmen müsse, so die Ansicht der Hinterbliebenen, weshalb sie eine Haftungsklage gegen das Kantonsspital einreichten.

Die Teilklage in Höhe von 100'000 Franken deckt zwar nur einen kleinen Teil der Kosten. Der Klägerin und ihrem Anwalt geht es denn auch nicht primär um die Teilklage. Vielmehr wäre mit der Bejahung der Haftung die Grundlage geschaffen, dass die Versicherung die restlichen Kosten übernimmt.

Zur grossen Erleichterung der Hinterbliebenen als Klägerin hat das Bezirksgericht Baden unter Leitung von Gerichtspräsident Daniel Peyer die Haftung des KSB vollumfänglich bejaht. Pikant: Zum Verfahren kam es nur deshalb, weil das KSB einen von der Klägerin angestrebten Vergleich ausschlug.

Herzinfarkt des Bruders verschwiegen – wirklich?

Für den Klägeranwalt war klar: «Der tragische Fall ist ganz klar die Folge von Unterlassungen.» Am Ursprung habe die falsche und ungenügende Eintrittstriage gestanden. «Zudem sind die Aussagen des Triagisten und der untersuchenden Ärztin, die sie in anschliessenden Befragungen getätigt haben, wenig glaubwürdig», so der Klägeranwalt weiter.

Zudem hätte die Ärztin auf frühere Dokumente des Verstorbenen zurückgreifen müssen, woraus ersichtlich gewesen wäre, dass dieser sich schon zweimal wegen Herzangelegenheiten im Kantonsspital Baden untersuchen liess.

Und schliesslich der Gipfel aus Sicht der Klägerin: Laut des Triagisten soll Georg auf die Frage, ob jemand in seiner Familie schon einmal von einem Herzinfarkt betroffen gewesen sei, mit «Nein» geantwortet haben.

Und dies, obwohl Georgs Bruder erst vor ein paar Jahren an einem Herzinfarkt gestorben war – und dies in den Armen von Georg. «Also entweder hat der Triagist die Frage gar nicht gestellt oder er hat die Antwort des Verstorbenen nicht richtig wiedergegeben.»

Kurzum, so der Klägeranwalt: Hätte man den Verstorbenen im Spital zur Untersuchung belassen, hätte der Herzinfarkt rechtzeitig behandelt und somit auch der Sauerstoffmangel im Hirn und die daraus folgende Schädigung des Hirns vermieden werden können.

Die Verteidigung sah das naturgemäss diametral anders: Insbesondere verwehrte sie sich dagegen, dass er auf den Triagisten und die Notfall-Ärztin, respektive deren Aussagen, Einfluss genommen habe.

«Wieso sollten die beiden nicht die Wahrheit sagen? Sie haben ja nichts zu befürchten.» Der Verstorbene habe nur über Schmerzen in der Bauchgegend geklagt, nicht mehr und nicht weniger. Es gebe also keinen Hinweis auf eine Sorgfaltspflichtverletzung, so die Verteidigung.

Schlimmstenfalls hätte gar ein Strafverfahren gedroht

Nicht zuletzt gestützt auf einer ausführlichen Expertise eines unabhängigen Gutachters bejahte das Bezirksgericht aber ebendiese Sorgfaltspflichtverletzung. Und es schlägt in seinem Urteil deutliche Worte an. Gesamthaft sei der Arztbericht der behandelnden Ärztin – insbesondere in Bezug auf die Anamnese – sowohl inhaltlich wie quantitativ eindeutig ungenügend, so das Bezirksgericht.

Und anders als der Verteidiger stützte das Gericht die These nicht, wonach der Triagist und die behandelnde Ärztin nichts zu verlieren hätten. «In Bezug auf deren Glaubwürdigkeit ist zu beachten, dass diese in die Organisation der Beklagten eingegliedert sind und bei einer Sorgfaltspflichtverletzung allenfalls gar mit einem Strafverfahren zu rechnen hatten.» Dies sei bei der Würdigung ihrer Aussage zu berücksichtigen.

Die Triage wurd nicht korrekt durchgeführt und das Kantonsspital Baden muss sich Organisationsfehler anlasten lassen.

(Quelle: Urteil des Bezirksgerichts Baden)

Auch für das Bezirksgericht Baden sei nicht nachvollziehbar, warum der Verstorbene die Frage, ob bereits ein Familienmitglied an einem Herzinfarkt gestorben sie, verneint habe. Denn der Verstorbene hatte im Gegenteil laut mehreren Zeugen aus seinem Umfeld wegen des Schicksals seines Bruders grosse Angst vor genau einem solchen Herzinfarkt.

Weiter sei auch schon die Triage nicht korrekt ausgeführt worden und das KSB müsse sich «Organisationsfehler» anlasten lassen. So habe die dienstleistende Notfall-Ärztin nicht gewusst, wie sie auf frühere Berichte des Verstorbenen hätte zugreifen können.

Die Verteidigung lässt Weiterzug des Urteils offen

Aus diesen hätte sich ergeben, dass der Verstorbene in Sachen Herzinfarkt und in familiärer Hinsicht «eindeutig vorbelastet war». Die ärztliche Dokumentation sei über alles gesehen ungenügend. In der Summe bejahte das Bezirksgericht eine Sorgfaltspflichtverletzung der Beklagten einstimmig.

Es verurteilte das KSB nicht nur zur Zahlung der Teilklage in Höhe von 100'000 Franken, sondern erlegte ihm gleich noch die Gerichtskosten in Höhen von knapp 30'000 Franken sowie eine Parteientschädigung in Höhe von nochmals knapp 30'000 Franken auf.

Zieht die Verteidigung das Urteil des Bezirksgerichts Baden weiter? Auf Anfrage sagt der Verteidiger: «Wir werden das Urteil analysieren und dann das weitere Vorgehen entscheiden.» Ob Weiterzug oder nicht: Die Angehörigen glauben an Gerechtigkeit – das Urteil des Bezirksgerichts macht ihnen Mut.