Bezirksgericht Baden
Prügel wegen Provokationen im Nachtzug: Bahnhof-Schläger aus dem Kosovo entgehen dem Landesverweis

Sie waren angetrunken und fühlten sich provoziert: Zwei Brüder schlugen einen jüngeren Mann am Bahnhof Killwangen-Spreitenbach zusammen – nun standen sie vor Gericht.

Philipp Zimmermann
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Tatort Bahnhof Killwangen-Spreitenbach: Auf dem Perron flogen in der Juli-Nacht die Fäuste. (Archivbild)

Tatort Bahnhof Killwangen-Spreitenbach: Auf dem Perron flogen in der Juli-Nacht die Fäuste. (Archivbild)

David Egger

Die Anklage hatte es in sich: Fünf Jahre Landesverweis wegen eines Angriffs forderte der Staatsanwalt für Jeton und Latif (alle Namen geändert). Ein Angriff gilt als Katalogtat, für die der Landesverweis obligatorisch ist. Für die beiden Brüder aus dem Limmattal, 24 und 23 Jahre alt, hätte das einschneidende Konsequenzen gehabt. Die beiden sind Kosovaren, aber in der Schweiz geboren und aufgewachsen. Den Kosovo kennen sie nur von Ferien und Besuchen bei Verwandten. Dementsprechend hofften sie, dass das Bezirksgericht vom Landesverweis absah.

Die beiden hatten an einem Freitag im Juli 2018 eine Geburtstagsparty in Zürich besucht. Zu später Stunde in jener Sommernacht ging es, angetrunken und bekifft, mit dem Nachtzug zurück in Richtung Baden. Die beiden Brüder fühlten sich provoziert, weil ihnen von einer sechsköpfigen Gruppe der Weg durch das Zugabteil versperrt worden sei. Danach gab ein Wort das andere. Die genauen Umstände blieben vor Gericht unklar; die Aussagen von Jeton und Latif sowie von Manuel (20) und Laura (20), ihrem späteren Opfer und seiner Begleiterin, zu sehr auseinander. «Eigentlich war es zuerst lustig. Irgendwann ist es gekippt», sagte Manuel.

Am Bahnhof Killwangen-Spreitenbach verliessen die Brüder den Zug ebenso wie Manuel und dessen Mitbewohnerin Laura. Laut Anklageschrift der Staatsanwaltschaft geschah nun Folgendes: Latif versperrte Manuel bei der Unterführung den Weg.

«Willst du mich nicht alleine nehmen?», fragte Latif.

«Du willst nur, dass ich als erstes zuschlage», antwortete Manuel.

Latif schlug nun auf Manuel ein, dann auch sein Bruder. Als Manuel zu Boden ging, traten sie ihn mit den Füssen gegen seinen Oberkörper. Die Schläger gingen nun die Treppe hinunter, doch als Manuel aufstand, kehrten sie zurück und forderten sein Portemonnaie, das aber leer war. Jeton und Latif traktierten Manuel mit weiteren Schlägen, bis er wieder zu Boden ging. Er trug Beulen und Schürfungen davon. «Ich hatte am ganzen Körper Schmerzen. Drei bis vier Tage lag ich nur im Bett.»

Schläger wollen nicht alleine schuld sein

Jeton und Latif versuchten, ihre Schuld zu relativieren. Manuel habe zuerst und mit einer Musikbox zugeschlagen. «Der erste Schlag kam nicht von uns; sonst wäre das nicht eskaliert», sagte der selbstbewusste Latif. Manuel habe ihm die Nase gebrochen und seine Brille beschädigt. Jeton sprach von psychischen Problemen. Therapeutische Hilfe hat er sich aber nicht gesucht. «Ich wollte nicht als schwacher Mann dastehen», sagte er. Es tue ihnen leid, sagten sie, wiesen aber auch darauf hin, dass sie keineswegs allein schuld wären. Schliesslich seien sie provoziert worden.

Gerichtspräsidentin Gabriella Fehr, die als Einzelrichter amtete, hielt sich in ihrem Urteil vor allem an die Aussagen der ersten Einvernahmen, also die Beteiligten noch nicht über die Vorfälle gesprochen und sich womöglich abgesprochen hatten. Sie verurteilte die Brüder nicht wegen eines Angriffs, sondern wegen einfacher Körperverletzung und versuchtem Diebstahl.

Für Jeton, wegen eines Drogendelikts als Jugendlicher vorbestraft, bedeutete das eine Geldstrafe von 150 Tagessätzen à 100 Franken; für Latif eine bedingte Geldstrafe von 180 Tagessätzen à 80 Franken, bei einer Probezeit von vier Jahren. Bei Latif kam eine Busse von 2500 Franken dazu, weil er, ohne Führerausweis, mehrfach die Autos seines Vaters und einer Bekannten entwendet und gefahren hatte. Zudem müssen die Brüder Manuel 200 Franken Genugtuung zahlen.

Das Urteil ist die letzte Chance

Richterin Fehr hätte bei diesem Urteil einen fakultativen Landesverweis aussprechen können, sah aber davon ab. Jeton lebt mit zwei Schwestern bei den Eltern in der Region Baden, der jüngere mit seiner Ehefrau und der kleinen Tochter eine eigene Wohnung bezogen. Zwar haben beide eine Lehre abgebrochen, doch sie haben beide einen Job in der Transportbranche und haben keine Schulden. Fehr machte vor allem dem jüngeren Latif klar, dass er dieses Urteil als letzte Chance annehmen soll. «Ich bin heute ein anderer Mensch», hatte er über sich gesagt. Nun ist es an ihm, dies zu beweisen.