Nach dem erfolgreichen Rechnungsabschluss steht die für das nächste Jahr vorgesehene Steuerfusserhöhung auf der Kippe – drei von acht Wettinger Parteien wollen aber daran festhalten.
Eine gute Nachricht konnte der Wettinger Gemeinderat vergangene Woche verkünden: Statt mit einem budgetierten Defizit von 4,4 Millionen schloss die Gemeinde das Jahr 2021 mit einem Zwei-Millionen-Franken-Überschuss. Wettingen hat zum ersten Mal seit Jahren auch einige Brocken seines Schuldenbergs abgetragen, um 12 auf 111 Millionen Franken.
Mit einem solchen Ergebnis werde es jedoch schwierig, der Stimmbevölkerung eine Steuerfusserhöhung schmackhaft zu machen, erklärte Gemeindeammann Roland Kuster (Mitte CVP) bei der Präsentation der Rechnung. Eine solche war für nächstes Jahr vom Gemeinderat angekündigt. Und auch wenn sie noch nicht vom Tisch ist, so deuten viele Zeichen daraufhin, dass 2023 der Steuerfuss weiterhin bei 95 Prozent bleibt.
SP, WettiGrüen und das Forum 5430 halten das für keine gute Idee. Sie wünschen sich dennoch eine Erhöhung. Die Reduktion der Schuldenlast sei zwar ein erfreuliches Resultat, sagt SP-Parteipräsident Christian Oberholzer. Die Schulden in Wettingen seien aber immer noch extrem hoch. «Wer deswegen den Steuerfuss nicht mehr erhöhen will, agiert ein wenig naiv», findet er. Und wer nicht populistisch, sondern finanziell verantwortungsvoll handeln wolle, bleibe weiterhin dabei, dass eine Erhöhung unumgänglich sei. Oberholzer:
«Die detaillierte Analyse des Resultats zeigt, dass wir uns nicht täuschen lassen dürfen.»
Im Budget 2021 seien die Empfehlungen des Kantons übernommen und die Ausgaben mit Kürzungen in diversen Positionen entsprechend tief gehalten worden. «Darunter leidet das Angebot für unsere Bevölkerung massiv», ist Oberholzer überzeugt.
WettiGrüen ist sich bewusst, dass eine Erhöhung finanzrechtlich bei einem solchen Überschuss schwierig werden würde. Dennoch ist die Partei für höhere Steuern. «Noch ein Jahr und wieder ein Jahr zuwarten wird uns nicht von den Schulden befreien», sagt Einwohnerrat Leo Scherer stellvertretend für Parteichef Jürg Meier. Allein wegen einer oder zwei positiven Rechnungen sei die Finanzlage der Gemeinde längst noch nicht saniert. Im Gegenteil: «Die Finanzlage bleibt weiterhin sehr angespannt.»
Marco Kaufmann, Präsident vom Forum 5430, will lieber noch etwas zuwarten und die politische Lage beobachten bevor die Steuerfusserhöhung einfach abgeschrieben wird. «Corona kann auch 2022 noch nachwirken und die Auswirkungen und Tragweite des Ukraine-Kriegs sind bei weitem noch nicht bekannt», sagt Kaufmann. Eine moderate Anpassung des Steuerfusses, im Hinblick auf einen weiteren deutlichen Schuldenabbau, sei aus der Sicht seiner Partei immer noch vertretbar.
Vier Parteien sprechen sich gegen eine Steuererhöhung aus. FDP und GLP argumentieren ebenfalls mit dem Ukraine-Krieg, kommen aber zu einem anderen Schluss als Marco Kaufmann. «Unter den gegebenen Umständen wäre es aus mehreren Gründen das falsche Zeichen, die Steuern zu erhöhen», so FDP-Parteipräsident Simon Burkart. Der Bevölkerung könne im Moment keine höhere finanzielle Belastung zugemutet werden, «und auch die Inflation ist in den vergangenen Wochen durch die politische Weltlage ungewöhnlich stark gestiegen».
Die GLP führt noch einen weiteren Punkt an: «Die weltweiten Lieferengpässe haben die Rohstoff- und Agrarpreise auch in der Schweiz in die Höhe schnellen lassen», sagt Parteipräsident Orun Palit. Auch deshalb solle man die Wettinger Steuerzahlerinnen und -zahler nicht mit höheren Steuern belasten. Die GLP ist froh, dass der Gemeinderat das Signal aussende, für das nächste Jahr keine Steuerfusserhöhung in Betracht zu ziehen.
Wie für die Grünliberalen, so sind auch für die SVP Steuerfusserhöhungen nur das letzte Mittel, sagt Parteipräsident Jürg Baumann. Nachdem alle Sparmöglichkeiten ausgeschöpft seien. «Das ist weiterhin nicht der Fall.» Wettingen gebe nach wie vor Geld für Dinge aus, die man nicht benötige oder mit weniger Geld effizienter erhalten könnte.
Weiter zeige der Rechnungsabschluss 2021 eindrücklich auf, wie wichtig es gewesen sei, dass sich die SVP vor zwei Jahren gegen die geplante Steuerfusserhöhung auf 100 Prozent gewehrt habe. Baumann:
«Damals hat das Volk der SVP
recht gegeben, jetzt die Finanzzahlen
der Gemeinde.»
Der neue EVP-Präsident Lukas Rechsteiner führt ebenso den Ukraine-Krieg, aber auch die Wirtschaftslage durch Corona an, weshalb eine Erhöhung «kurzfristig» für nächstes Jahr nicht realistisch sei. «Das würde die Bevölkerung nicht verstehen», sagt er. Längerfristig hingegen sehe es kritischer aus: «Zwar bringt der positive Rechnungsabschluss eine Entspannung für 2023, es braucht aber noch sehr viele solcher Jahresabschlüsse, damit die noch immer sehr grosse Schuldenlast auf ein gesundes Niveau sinkt.» Zudem stünden der Gemeinde grosse Investitionen bevor, zum Beispiel in Sachen Schulraum.
Die einzige Partei, die sich noch nicht in die Karten blicken lässt, ist die Mitte CVP. Präsidentin Ursi Depentor sagt aber, dass der Druck auf eine Steuerfusserhöhung kurzfristig sinke. Im Jahr 2021 reduzierte sich die Pro-Kopf-Verschuldung auf 5239 Franken (Vorjahr 5803). Diese Schuldenlast sei im Vergleich zum kantonalen Richtwert von 2500 Franken pro Einwohner aber nach wie vor sehr hoch. Und deshalb: «Der Steuerfuss wird nicht mit der Rechnung, sondern mit dem Budget beschlossen. Wir sind gespannt, was im Herbst der Blick in die Zukunft bringt.»